

… und raus bist du
Josef Redl in FALTER 3/2016 vom 22.01.2016 (S. 16)
Ein Kunstverein kämpft um seinen Verbleib in einer Gründerzeitfabrik. Ein Beispiel für Verdrängungsmechanismen am Immobilienmarkt
Die Fassade des Hauses Thelemangasse 4 in Wien-Hernals ist heruntergekommen. Der Putz ist an einigen Stellen so weit abgebröckelt, dass über große Flächen die nackte Ziegelmauer zu sehen ist. Die Haustür ist unverschlossen. Der Schriftzug „Have you seen our house“ über dem Garagentor und ein großes Transparent mit der Aufschrift „Festwerk“ lassen zumindest erahnen, dass sich im Inneren des Gründerzeithauses zuletzt ein pulsierendes Kulturleben entwickelt hat.
Vor fünf Jahren hat sich hier der Wiener Kunstverein picapica eingemietet und dem Ort den Namen mo.ë und ein Programm verpasst. Seit 2010 finden hier, in der unmittelbaren Nähe des Brunnenmarktes, Ausstellungen, Konzerte, Installationen statt. Voriges Jahr kamen rund 15.000 Besucher zu den unterschiedlichen Veranstaltungen im Kunstraum mo.ë.
Geht es nach dem Eigentümer des Hauses, soll es damit jetzt Schluss sein: Der Immobilienentwickler Vestwerk, der die Liegenschaft im Jahr 2013 übernommen hat, hat große Pläne für das Haus: Generalsanierung. Dachausbau. Loftwohnungen.
Der Kunstverein mo.ë spielt in diesen Plänen keine Rolle. Die Auseinandersetzung um die Thelemangasse 4 wird demnächst wahrscheinlich die Gerichte beschäftigen. Dabei geht es aber nicht nur um eine konkrete Mietrechtsfrage, sondern um die Konsequenzen eines Gentrifizierungsprozesses, wie er seit Jahren in vielen Großstädten stattfindet. Mit steigenden Immobilienveräußerungsgewinnen droht auch ein Verlust an urbaner Kultur einherzugehen.
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Das Türkenplatzl war zu einem Ort der Geschäftigkeit geworden – man hämmerte und brüllte, und alles klapperte, klirrte und klopfte.
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Dem Haus Thelemangasse 4 steht also eine unsichere Zukunft bevor. Auch die Vergangenheit der Thelemangasse lohnt eine Betrachtung. Der österreichisch-amerikanische Schriftsteller Frederic Morton hat die Thelemangasse in seinem teilweise autobiografischen Roman „Ewigkeitsgasse“ beschrieben. Im Buch lautet die Adresse Türkenplatzl. Die Familie Mandelbaum, so der Geburtsname von Frederic Morton, besaß mehrere Gebäude in der Thelemangasse, darunter auch das Haus Nummer 4.
Hier befand sich die k.u.k. Orden- und Medaillenfabrik Mandelbaum. Die Räumlichkeiten der Fabrik nutzt heute mo.ë. Von den Nazis „arisiert“, wurde das Gebäude nach dem Krieg restituiert. Die Familie Morton verkaufte das Haus mitsamt der kleinen Hinterhoffabrik, in der bis vor wenigen Jahren unter anderem Gürtelschnallen für das Bundesheer gefertigt wurden.
Zu behaupten, es gäbe einen Investitionsstau in der Thelemangasse 4, ist eine kühne Untertreibung. Im Hof fehlen etliche Scheiben des verwitterten Glasdachs, zur Sicherheit der Bewohner wurde aus Brettern behelfsmäßig ein überdachter Durchgang gezimmert. In den Räumen, die der Kulturverein in den letzten Jahren bespielt hat, fehlt es am Nötigsten: Es gibt keine Heizung, Kabel sind kreuz und quer über dem bröckelnden Putz verlegt. Dennoch strahlt die frühere Fabrik eine gewisse Industrieromantik aus, in die sich das Kulturprogramm und die improvisierten Künstlerateliers wie selbstverständlich eingefügt haben.
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Im Dezember 1889 verfügte der Flur jedes Hauses am Türkenplatzl über eine Toilette aus Eichenholz und ein Zinkbecken mit fließendem Wasser aus einem schwanenhalsförmigen Hahn.
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Mit Kaufvertrag vom 5. Juni 2013 hat die Vestwerk big living TH 4 GmbH & Co KG die Liegenschaft in der Thelemangasse übernommen. Auch wenn das Gebäude in einem lausigen Zustand ist – 870.000 Euro für 1350 Quadratmeter Nutzfläche sind ein Schnäppchen. Ein Quadratmeterpreis von rund 640 Euro in einem Bezirk, der in absehbarer Zukunft allein schon durch die neue U-Bahn-Linie U5 eine gehörige Aufwertung erfahren wird, ist eine Seltenheit. Es kommt aber noch besser: Vestwerk hat bereits eine Bewilligung für den Ausbau erhalten. Nach der Errichtung von Loftwohnungen soll die Nutzfläche auf 1950 Quadratmeter wachsen. Projektvolumen laut Vestwerk-Homepage: 6,2 Millionen Euro.
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Das Dach von Haus Nr. 6 war zu einem glasverkleideten musikalischen Garten geworden, mit Sandkasten und bewacht von kleinen Minaretten.
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Seit Vestwerk Hauseigentümer ist, hat sich das Leben dort grundlegend geändert. Das gilt vor allem für bis dahin leerstehende Wohnungen. „Es war wie in den Bettgeherwohnungen um die vorletzte Jahrhundertwende. Ein ständiges Kommen und Gehen. Alle paar Tage war die Fremdenpolizei im Haus“, schildert ein Hausbewohner, der nicht namentlich genannt werden will.
Zahlreiche Menschen hätten auf beengtem Raum gelebt. Und weiter: „Keiner der in den Wohnungen untergebrachten Menschen hatte einen Schlüssel für die Hauseingangstüre. Es kam häufig vor, dass mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden an der Gegensprechanlage durchgeklingelt wurde.“
Bis die Haustüre irgendwann gar nicht mehr versperrbar war. Seitdem sollen im Haus auch Drogendealer und Prostituierte ihrem Geschäft nachgegangen sein. Die Haustüre lässt sich bis heute nicht verschließen.
Handelt es sich dabei um die Schikanen eines Eigentümers, um die verbliebenen Mieter aus dem Haus zu bekommen? Diesen Vorwurf weist Vestwerk entschieden zurück. „Widrige Umstände wie angeführt sind mir nicht bekannt. Die ausgewiesene Hausverwaltung der Liegenschaft ist für etwaige Mängelbehebungen nach Beschwerden von Mietern zuständig, und Mängelbehebungen werden nach Prüfung durchgeführt“, erklärt Vestwerk-Geschäftsführer Klaus Molisch auf Anfrage.
Auf die geschilderten Zustände angesprochen, hat er eine andere Erklärung: „Der Verein führt regelmäßig Veranstaltungen durch, dies ist weder mietvertraglich gedeckt, noch ist das Mietobjekt dafür öffentlich-rechtlich und bautechnisch geeignet. Durch diese Frequenz externer dritter Personen kann es leider zu negativen Beeinträchtigungen kommen. Wir versuchen, leerstehende Wohnungen befristet an wohnbedürftige Menschen zu vermieten.“ Auch sei es nicht Ziel, das Haus bestandsfrei zu bekommen.
Eigentlich hätte Vestwerk Anfang Jänner mit den Umbauarbeiten beginnen wollen. Bloß: Das mo.ë zieht nicht aus, obwohl der befristete Mietvertrag eigentlich mit 1. Jänner ausgelaufen ist. „Es stellt sich die Frage, ob der Mietvertrag in dieser Form überhaupt rechtswirksam ist“, sagt Rechtsanwalt Harald Karl, der den Kulturverein vertritt. Das soll nun vor Gericht geklärt werden.
Es geht aber auch um Grundsätzliches. „Es geht immer mehr leistbarer Raum im städtischen Bereich verloren. Ehemalige Gewerbeflächen werden befristet zur Zwischennutzung an Kulturschaffende vermietet. Diese dürfen Viertel, in denen noch moderate Mietpreise gelten, durch ihre Arbeit aufwerten“, sagt mo.ë-Sprecherin Alisa Beck. Wenn die Preise dann anziehen, suchen sich die Hausherren betuchtere Mieter.
Die Stadtplanung hat mit dem Widmungsplan ein echtes Gestaltungselement in der Hand, sie muss es aber auch einsetzen. „Man muss aufpassen, dass wir in Wien keine Wohnmonokulturen schaffen. Insbesondere im 15., 16. und 17. Bezirk gibt es noch viele Gewerbeflächen in Gründerzeithäusern. Da stehen uns die Liegenschaftseigentümer auf der Dackn, damit sie eine Wohnwidmung erhalten“, sagt Christoph Chorherr, Planungssprecher der Grünen.
Ansonsten würde die Stadt zur Kulisse.
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Natürlich kam es vor, dass ein Mieter eine länger andauernde Beziehung zu seiner Wohnung entwickelte, doch dies führte nicht zu heimatlichen Gefühlen.