

Berlusconi-Dämmerung oder das schwarze Herz von Rom
Franz Kössler in FALTER 17/2015 vom 24.04.2015 (S. 22)
Ein Mafia-Krimi beschreibt die Verschränkung zwischen Korruption und Kriminalität in Rom besser als jedes Sachbuch
Seit Weihnachten hat die Gemeinde Rom einen Stadtrat für Legalität. So sehr hatten Misswirtschaft und kriminelle Machenschaften in der Stadtverwaltung überhandgenommen, dass der linke Bürgermeister einen unbestechlichen Anti-Mafia-Staatsanwalt aus Sizilien auf den Kapitolshügel berufen musste, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Von seinem Schreibtisch im Senatorenpalast hat Alfonso Sabella einen ungetrübten Blick auf die antiken Ruinen der Kaiserforen und auf das Geflecht von Korruption und Kriminalität, das Rom heute zu ersticken droht.
„Die Beamten sind noch korrupter als die Politiker“, sagte er der Tageszeitung La Stampa, „von über zehntausend Aufträgen, die die Gemeinde vergeben hat, sind nur ein paar Dutzend vorschriftsgemäß ausgeschrieben worden.“ Alle anderen wurden zu Notmaßnahmen erklärt und an Firmen vergeben, die oft von der Mafia kontrolliert wurden.
Anfang Dezember hat die Anti-Mafia-Einheit der Carabinieri in einer spektakulären Operation 37 Personen verhaftet: Politiker, Beamte, Unternehmer. Seither kommen viele Details über das kriminelle Netz ans Licht, das sich in den vergangenen Jahren über Rom gelegt hat und bis in die Paläste des Staates und des Vatikans reicht. Die Mafia ist kein Phänomen des unterentwickelten Südens mehr, sie ist ein Machtfaktor im politischen Zentrum des Landes.
Vielen Römern sind die Enthüllungen seltsam vertraut: 2013 erschien der Kriminalroman „Suburra“ von Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini, der die Geschichte rivalisierender Mafiabanden erzählt, die sich die Stadt aufgeteilt hatten. Während die Banden mit Brutalität, Folter und Mord ihre Einflusszonen sichern, kooperieren sie auch für ein gemeinsames Projekt: eine aus dem Boden gestampfte monströse Wohn- und Vergnügungsstadt zwischen dem westlichen Stadtrand und der Meeresküste, inklusive Kirchen, um sich das Wohlwollen sexbesessener vatikanischer Würdenträger und die Finanzen der Vatikanbank zu sichern. Konservative Politiker lassen sich ihr Kokain von der Unterwelt liefern und sind wegen heimlicher Sexorgien und vertuschter toter Prostituierter erpressbar.
Man könnte eine Übertreibung der Romanautoren vermuten, würde die Realität sie jetzt nicht voll bestätigen. Der Traum von der Riesenbauspekulation vor den Toren Roms stammt aus der Zeit der Regierung Berlusconis, dessen Verbindungen zur Mafia gerichtlich bestätigt sind.
Treffender als jedes Sachbuch beschreibt der Roman die Atmosphäre der Berlusconi-Dämmerung, in der die Grenzen zwischen Politik, Unternehmertum und organisierter Kriminalität so fließend geworden waren, dass der Premier sich in mehr als 40 Gerichtsverfahren nur durch ein Heer von Anwälten und eine Kette von Verjährungen dem Gefängnis entziehen konnte. Jetzt bestätigt die Staatsanwaltschaft die im Roman beschriebene Verschränkung zwischen Neofaschisten und Mafia, Korruption und Kriminalität in der damaligen Stadtverwaltung. Bis ins Detail stimmen Fiktion und Realität überein: Es sind die gleichen Personen, Bars und Restaurants, in denen die kriminellen Pläne geschmiedet werden, ja sogar ein japanisches Schwert, mit dem der Oberboss im Roman seine Gegner köpft, wird im Wohnzimmer des realen Mafiabosses gefunden.
Die Detailgenauigkeit liegt auch an den beiden Autoren: Giancarlo De Cataldo beschäftigt sich als Strafrichter in Rom mit Mord und Terrorismus, und Carlo Bonini kennt als investigativer Journalist der Tageszeitung Repubblica alle Schichten der Stadt. Es ist kein Zufall, dass die beiden in ihrem Roman die Zustände genau so beschrieben haben, wie sie die Staatsanwaltschaft jetzt aufgedeckt hat. Das Buch ist in einer guten deutschen Übersetzung von Karin Fleischanderl erschienen. Es ist aber ein besonderes Vergnügen, sich dem extrem vulgären, sexistischen Gangsterslang der römischen Unterwelt im italienischen Original hinzugeben: Er ist der Sound der untergehenden Berlusconi-Jahre.