

Blöde Geschichten pflastern seinen Weg
Thomas Leitner in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 14)
Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seit Marko in „Tschefuren raus!“ weg musste aus Fužine, einer Plattenbausiedlung bei Ljubljana. Goran Vojnović, Jahrgang 1980, knüpft an sein höchst erfolgreiches Debüt an, das die Teenagerjahre des Ich-Erzählers Marko schildert.
Tschefuren, das ist die abschätzige Bezeichnung der Slowenen für die aus dem Süden „Zugereisten“, Gastarbeiter zunächst, dann Flüchtlinge aus den Balkankriegen und den damit verbundenen „ethnischen Säuberungen“. In diesem Milieu entwickelt sich ein Soziolekt, vergleichbar der Kanak-Sprak aus Berlin: ein mit fremdsprachigen Elementen durchsetztes Slowenisch, als Jugendsprache überreich an Flüchen und Obszönitäten – für die Übersetzer Klaus Detlef Olof auch hier wieder ein überzeugendes Äquivalent gefunden hat.
Zunächst meint man, es mit dem aus dem Debüt bekannten Charakter zu tun zu haben, dem großsprecherischen, gewaltbereiten Mitglied einer Viererbande. Der Ton, beim Erscheinen von „Tschefuren raus!“ noch skandalös, ist ja der gleiche geblieben.
Doch Marko hat sich entwickelt. „Zum Manne gereift?“ Nicht wirklich. Um ihn aus den Dauerexzessen und oft übel verlaufenden Konfrontationen mit den „Ordnungskräften“ herauszulösen, wurde er von seiner Familie verschickt, zurück nach Bosnien, dann gar in die Republika Srpska. Doch auch dort immer wieder Probleme: weil Marko schwierig, überall fremd ist – zu bosnisch, zu serbisch, zu slowenisch.
Zurück in Fužine ist, gelinde gesagt, nichts besser geworden. Markos Freunde sind noch tiefer ins Drogenmilieu geraten, einer ist gar zum fanatischen Wahabiten geworden. Bei ihm selbst hingegen haben die Jahre der Verbannung Spuren der Selbstreflexion hinterlassen: Widerspruch und Auflehnung allein bringen’s nicht. Erstmals sieht er in einem Mädchen mehr als bloß ein Sexualobjekt, zeigt angesichts der Krebserkrankung seines Vaters sogar erste Anwandlungen von Empathie. Die eine oder andere „blöde G’schicht“ – und da steht einiges zur Auswahl! – bringt in zwar auf den Radar der Gesetzeshüter, aber mit sich selbst kommt Marko langsam ins Reine.
Sehr eindrucksvoll variiert Vojnović den Tonfall um minimale Nuancen: Ist der Beginn noch geprägt vom krassen, fast surrealistischen Ton einer Bösebubenballade à la „Clockwork Orange“, klingt die Hektik gegen Schluss ab und lässt leisere Gefühle zu, ohne kitschig zu werden. So wird aus der Milieuskizze von „Tschefuren raus!“ in „18 Kilometer bis Ljubljana“ fast so etwas wie ein Entwicklungsroman.