

Biber lecken und Kakerlaken zählen in NYC
Sebastian Fasthuber in FALTER 19/2010 vom 14.05.2010 (S. 21)
Nach vielen Jahren als verdienstvoller Übersetzer von Charles Bukowski, William S. Burroughs, J.G. Ballard und anderen tritt Carl Weissner (Jg. 1940) wieder mit eigenen Werken in Erscheinung. Hat er diese früher in seiner literarischen Erstsprache Englisch verfasst hat, ist er nun zum Deutschen übergewechselt. Nur beim Titel "Manhattan Muffdiver" ist er inkonsequent. Aber womöglich wäre "Manhattan Mösenlecker" nicht durchgegangen.
Bevor man zum guten Stoff gelangt, muss man durch die Einleitung von Fritz Ostermayer. Die grast etwas bemüht Dirty-Old-Man-Gemeinplätze ab und prahlt mit den vielen Achterln, die der Verfasser bei der Niederschrift intus hatte. Aufschlussreicher ist das Nachwort des Herausgebers Thomas Ballhausen, wenn es auch nicht an Jargon aus dem literaturwissenschaftlichen Seminar spart.
Dazwischen liegt ein als Roman ausgewiesenes Stück Literatur, das die Bastion gegen das konventionelle Erzählen verteidigt und eisern an der von Burroughs entwickelten Cut-Up-Methode festhält. Interessant ist, dass das Schnipseln und Kleben von eigenem und fremdem Material dennoch nicht überholt, sondern regelrecht erfrischend wirkt.
Als Rahmen dient der Versuch, in einem schäbigen New Yorker Apartment einen Paris-Krimi zu schreiben. In des Autors brieflichen Auskünften über das Vorankommen tritt dieses Projekt aber schnell in den Hintergrund. Die Stadt packt ihn. Das meint sowohl das reale New York als auch Fieberträume des heutigen New York und von jenem, das Weissner vor 40, 45 Jahren als junger Autor kennengelernt hat:
"Die Stadt hat ihn schon einmal fertiggemacht, und jetzt tut sie es wieder. Sie ist die überdrehteste Star-Wars-Metropole auf Erden (
). Sie ist von überirdischer Indifferenz und idiotisch teuer: Ein Suchtmittel. Ein Gift. Und er will das Gift."
Sprachlich ist manches an dem gegenkulturellen Duktus inzwischen zum Klischee geworden. Sieht man davon ab, teilt Weissner immer noch in alle Richtungen kräftig aus. Und mit "Das Ende des Suicide Kid" hat er als Bonustrack auch noch eine schöne Bukowski-Reminiszenz auf Lager.
Klartext, Beat und Tee statt Drogen
Sebastian Fasthuber in FALTER 19/2010 vom 14.05.2010 (S. 27)
Green Hills Memorial Park sieht nicht aus wie ein Friedhof und heißt deshalb auch nicht so. Es gibt keine Grabsteine, weil sie den Autofahrer unten auf der Western Avenue nur unnötig ablenken würden. Statt dessen gibt es genormte Grabplatten, neunzig breit, vierzig hoch, die in die Grasnarbe eingelassen sind."
Tot ist man trotzdem. Willkommen in Kalifornien. Am 14. März 1994 wurde Charles Bukowski in San Pedro zu Grabe getragen. Dass drei buddhistische Mönche in die Zeremonie eingebunden waren, wollte nicht so recht zum Image des harten Hundes passen, das der Autor stets sorgfältig gepflegt hatte.
Die sechs Sargträger waren da schon glaubhaftere Repräsentanten des way of life, den der dirty old man der US-Literatur gepflogen hatte; es waren: Verleger John Martin, der Bukowski 1970 als 50-Jährigen aus dem Postdienst geholt hatte und mit dessen Büchern sehr reich geworden war; Hollywood-Freund Sean Penn ("Wer eine Ehe mit Madonna überlebt hat, so viel ist klar, kann sich nur verbessern"); der Schwiegersohn, ein alter Antiquar, ein Pferdetrainer (der Bukowski auf der Rennbahn so manchen heißen Tipp gegeben hatte) sowie ein Zwei-Meter-Hüne namens Carl Weissner, Bukowskis Mann in Deutschland.
Weissner hat nicht nur den Löwenanteil von Bukowskis umfangreichem Werk ins Deutsche übersetzt, sondern hatte "Buk" als dessen Agent in den 1970ern im deutschsprachigen Raum durchgesetzt und damit entscheidend dazu beigetragen, dass dieser hier mit über vier Millionen Büchern besonders erfolgreich war und immer neue Generationen junger Leser erreichte.
In der Geschichte "Das Ende des Suicide Kid" aus seinem jüngsten Buch "Manhattan Muffdiver" erinnert sich der heute 69-jährige Weissner an die letzten Tage seines an Leukämie verstorbenen Freundes: "Auf seinem Stockwerk im San Pedro Peninsula Hospital gab es am langen Ende des Korridors das einzige Fenster, durch das man ein Stück Straße sehen konnte. [...] Um hinausschauen zu können, musste man auf eine Bank steigen. Das ist das stärkste Bild, das ich von ihm in Erinnerung habe: Wie er nachmittags um fünf auf dieser Sitzbank steht, obwohl er sich kaum auf den Beinen halten kann, und hinausspäht in die Freiheit."
Der Übersetzer Weissner, für den der Agent Weissner übrigens branchenuntypisch gute Gagen aushandeln konnte, hat sich aber nicht nur auf Bukowski beschränkt. Auch die Werke von William S. Burroughs ("Naked Lunch"), des düsteren Visionärs J. G. Ballard (bekannt durch die Verfilmung seines Romans "Crash" von David Cronenberg) oder des Beat-Poeten Allen Ginsberg wurden von ihm ebenso fachkundig wie eigenständig ins Deutsche geholt. Zum Drüberstreuen gab's auch noch die Songs von Bob Dylan und Frank Zappa, die Weissner jedoch wörtlicher übersetzen musste, als er es gern getan hätte: "Beides waren zweisprachige Ausgaben. Da hat man kaum Spielraum. Schade drum. Ich hätte gern nachgedichtet, dass sich die Balken biegen."
Man kann den Einfluss Weissners aus heutiger Sicht kaum überschätzen. Vieles aus dem Amerika der Gegenkultur hätte ohne ihn womöglich überhaupt nie hierher gefunden, ganz sicher jedoch nicht in dieser Dichte und Qualität. Das hat auch damit zu tun, dass er einer von ihnen war und sein Leben mehr als Ami denn als Deutscher unter "seinen" Autoren verbrachte. 1940 in Karlsruhe geboren, kam Weissner schon Anfang der 1960er, als in Deutschland der Sound der Gruppe '47 die Literatur bestimmte, mit dem guten Stoff in Berührung.
"Mein Einstieg war ,Junkie' von William Burroughs", erinnert er sich. "Ich war 23, studierte in Heidelberg deutsche und englische Literatur und fand es interessant, dass da ein Harvard-Absolvent in die Drogenszene von New York und Mexico City abdriftet, schwer heroinsüchtig wird, diesen Angriff auf seinen Organismus mit einer Kombination von Glück und Umsicht überlebt – und mitten in der schlimmsten Sucht ein erstklassiges Buch darüber schreibt!"
Schnell war Weissner angefixt, gründete einen zeittypisch PANic Press benannten Eigenverlag und gab dort von 1965 bis 1967 die Literaturzeitschrift Klactoveedsedsteen (nach einer Nummer des Bebop-Saxofonisten Charlie Parker) heraus. Schon darin fand sich so gut wie alles, was Rang und Namen hatte und in den kommenden Jahrzehnten Weissners Welt darstellen würde – unter anderen Ginsberg, Bukowski und Burroughs.
Mit einem Fulbright-Stipendium in der Hand ging Weissner schließlich selbst in die USA und wurde dort mit offenen Armen empfangen: "Als ich '67 nach New York kam, hatte ich all die Leute schon in meinem Undergroundmagazin veröffentlicht. Das waren Autoren nach meinem Geschmack, und privat waren es umgängliche Typen; da war es für mich leicht, in die Szene reinzukommen."
Zwar lebte man in ständiger Sorge, vom FBI ausspioniert zu werden, aber im inneren Kreis herrschte eine kooperative Atmosphäre: "Burroughs hat sich jahrelang auf Textmontagen verlegt, und das hat er teilweise mit einer Gruppe von jüngeren Kollegen in Form von Kollektivtexten praktiziert – zum Beispiel mit mir, dem Franzosen Claude Pélieu und der Amerikanerin Mary Beach, einer Verwandten jener legendären Sylvia Beach, die 1922 in Paris den ,Ulysses' von James Joyce gedruckt hat."
Mit Burroughs und Pelieu produzierte Weissner einige Bücher wie "So Who Owns Death TV", in denen eigene und fremde Texte miteinander verschnitten wurden. Die stilistische Radikalität hinderte die Autoren freilich nicht daran, ihre Bezugs- und Interpretationsquellen brav anzuführen ("Kafka meets Fellini" hieß Weissners erster Cut-up-Text). Und während er sich zusammen mit Burroughs & Co austoben konnte, nutzte Weissner den Briefwechsel mit Bukowski (der auf Input von anderen getrost verzichten konnte), um seinen Stil zu schärfen.
Mit den Exzessen, für die die Beatniks berühmt waren, hielt es der deutsche Amerikaner eigenen Angaben zufolge mal so, mal so: "Manchmal war ich einfach robust genug, und manchmal hatte ich was Wichtigeres zu tun. Und wenn ich gerade mal auf Darjeeling ausweichen wollte: Meine Junkies und Alkoholiker haben nie mit der Wimper gezuckt. Das war denen so was von egal."
Seine eigenen Texte verfasste Weissner in diesen Jahren auf Englisch. Als er dann 1969 nach Deutschland zurückkehrte, war es für ihn, als wäre er auf einem fremden Planeten gestrandet. Die Sprache der Studentenbewegung empfand er als bürokratisch, die Sprache der vorherrschenden deutschen Prosaautoren widerte ihn sowieso an.
Also machte sich Weissner daran, seine Bekanntschaften aus den USA zu übersetzen – und damit der deutschen Sprache ein bisschen was vom coolen Lingo der Beat- und Harte-Männer-Literatur zu schenken. "Mein Ideal war, dass der Text sich liest, als wäre er von vornherein auf Deutsch geschrieben worden. Und zwar von einem, der Deutsch kann."
"Klartext" nennt Weissner den Stil, den er am höchsten schätzt. Was genau damit gemeint ist, lässt sich leichter mit Beispielen belegen, als erklären: Entweder ein Text stimmt, fühlt und hört sich richtig an, oder eben nicht. Nach den Maßstäben Weissners war es in Deutschland, sieht man von ihm selbst und seinem Kompagnon Jürgen Ploog ab, allenfalls den großen Außenseitern Rolf-Dieter Brinkmann und Jörg Fauser gelungen, "Klartext" zu schreiben. Auch mit ihnen hat er in den 70ern einige Male gemeinsame Sache gemacht.
Mit den Büchern seiner Autoren ist Weissner ziemlich durch, drum setzt er jetzt die eigene Produktion fort. Burroughs hatte ihm immer geraten, sich nicht vollständig der Lohn- und Fronarbeit des Übersetzers auszuliefern. Weissner glaubt trotzdem nicht, etwas versäumt zu haben: ",Meine' Stimme war immer präsent und hat auch die meisten meiner Übersetzungen geprägt."
In "Manhattan Muffdiver", das vom Wiener Milena Verlag unters Volk gebracht wird, stattet Weissner New York einen erneuten Besuch ab. Die Stadt von heute verschwimmt mit Erinnerungen an das New York von damals. Die Gefahr, in den Untiefen schaler Nostalgie aufzulaufen, vermeidet Weissner souverän: Er ist ein wacher Beobachter geblieben.
Und der Groove stimmt auch: "In einem Kellerloch, das zu einem leerstehenden abbruchreifen Lagerhaus Ecke 36. Straße und Tenth Avenue gehört, sitze ich dem einzigen Bewohner gegenüber. Soweit er sich erinnern kann, heißt er Goran und ist Ende fünfzig. [...] Irgendwann stoßen wir gemeinsam zur Kernfrage vor: Wo bist du hier? Er weiß es nicht: ,Somewhere on the fuckin' planet.' Good enough, Goran."
Die Arbeit als Übersetzer hat natürlich auch den Autor Weissner beeinflusst. Seine schnörkellose Prosa hat Bukowski viel zu verdanken, und die albtraumhaften Momente erinnern an die Endzeitromane von J. G. Ballard, dessen "Liebe & Napalm. The Atrocity Exhibition" in Weissners Übersetzung ebenfalls bei Milena erschienen ist. Die Montagetechnik des Cut-up schließlich, die er von Burroughs gelernt hat, bildet bis heute die Grundlage seiner Arbeit: "Traumsequenzen, Halluzinationen usw. kann man eigentlich nur in ihrer totalen Nichtlinearität wiedergeben; alles andere wäre Versagen vor dem Gegenstand."
Spurlos ist die Zeit an der Avantgarde von gestern freilich auch nicht vorübergegangen, sodass das, was vor 30, 40 Jahren noch als radikal erschien, heute anachronistisch und aus der Zeit gefallen wirkt. Aber wo manches aus der Beat-Ära bei der erneuten Lektüre nur einen Eindruck von Zufälligkeit hinterlässt, wirkt manches in der heutigen Epoche des einfachen Erzählens umso radikaler und verstörender.
Dazu zählt auch Weissners noch auf Englisch geschriebener Roman "Death in Paris" (2007), der derzeit ausschließlich im Internet zu lesen ist (auf der Website www.realitystudio.org). Aus Thomas Manns "Tod in Venedig" wird hier eine thematisch an Ballard angelehnte Gewaltorgie, in der die Stimmen von Burroughs und Bukowski auf Rimbaud, Céline, Sartre oder auch Chandler treffen. Am Ende des Texts steht der Hinweis: "I am not the author of every line in the book. It is, like ,The Braille Film', a book by several authors, living and dead. One of them myself."
Weissner hat offenkundig der Ehrgeiz gepackt, in den Literaturgeschichtsbüchern auch als Autor aufzuscheinen, "einer von ihnen" zu werden und nach 40 Jahren Pause mit knapp 70 noch einmal durchzustarten. Der Plan für die Zukunft ist klar und simpel: "Weiterschreiben."