

Eine fette Lüge
Oliver Prausmüller in FALTER 3/2017 vom 20.01.2017 (S. 8)
Sprache hat Macht. Ein Streifzug durch die Wort- und Bildpolitik der Rede vom „schlanken Staat“
Die Metapher vom „schlanken Staat“ lässt sich als bildhafte Übersetzung der rhetorischen Losung „Mehr Markt, weniger Staat“ und führender Motive einer neoliberalen Wirtschaftspolitik verstehen. Zu diesen Motiven zählen auch das Privilegieren marktlicher Steuerungsmechanismen, die Zentrierung auf Standortpolitik und „außenwirtschaftliche“ Wettbewerbsfähigkeit sowie die Ablehnung einer aktiven Rolle des Staates im Wirtschaftsprozess.
Die allgemeine Problemdiagnose, die in das Bild vom „schlanken Staat“ eingeht, ist zunächst schlicht: Es gebe grundsätzlich ein „Zuviel“ an Staat. Daran schließen Dekorationen wie etwa: Dieser sei „übergewichtig“ geworden, der Wandel des Staates vom „Lenker“ zum „Vollversorger“ lähme Wettbewerb und private Initiative, der „dicke Staat“ liege wie „Mehltau auf der Wirtschaft und den Taschen der Bürger“ – dieser Staat sei träge und es gebe einen „Reformdurchhänger“, wie es beispielsweise in der Begriffswelt des prominenten marktliberalen Think-Tanks „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ heißt.
Was sich im Ausgangsbereich der Metapher „schlanker Staat“ abspielt, ist also eine durchgängige Verkörperlichung des Staates. „Übergewichtige“ bis „verfettete“ Problemzonen werden überall dort attestiert, wo der Staat seine „wirklichen“ Aufgaben überschreitet. Wie eng diese begrenzt werden, lässt sich jedoch durchaus flexibel
adaptieren: das „Herstellen von Ordnung“ und die „Sicherung von Eigentumsrechten“ gelten zwar in dieser Vorstellungswelt als Fixstarter. Auch leidet in diesem Zusammenhang ein als „ausufernd“ wahrgenommener Sozialstaat mit Bestimmtheit an „Übergewicht“. Doch die Frage, wie weit das „Abschlanken“ des Staates tatsächlich gehen soll, verweist zugleich auf unterschiedliche Grade der Radikalisierung innerhalb der Schlankheitsdoktrin.
So bestehen fortgesetzte Differenzen zwischen „ordoliberaleren“ und „marktradikaleren“ Ansätzen darüber, wie viel staatlichen Ordnungsrahmen es brauche, damit Markt und Wettbewerb letztlich „funktionieren“ können. Weitgehende Einigkeit lässt sich hingegen mit Blick auf zwei andere Aspekte ausmachen: Alles, was nicht durch das Nadelöhr von Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und unternehmerischem (Selbst-)Management passt, hat auf den Diätplan zu kommen.
Darüber hinaus gilt diese Form von Gewichtsabbau als Königsweg zu umfassender Attraktivität des Staates: für Unternehmen, die zwischen unterschiedlich „schlanken Staaten“ abwägen; für eine Bevölkerung, die aus der „Gesetzesflut“ und vor überbordender Bürokratie gerettet wird; oder für Anlegerinnen und Anleger, die keine gewichtigen Steuern auf ihre Gewinne zu erwarten haben. Der „Markt-Fitness-Kult“ des schlanken Staates korres-
pondiert hier gerade auch mit dem Ausrufen „harter“ Zeiten, in denen der „Gürtel enger geschnallt“ und Schluss mit einem „Leben über den Verhältnissen“ gemacht werden müsse.
Der Ausgangs- und der Zielbereich der Metapher vom „schlanken Staat“ fügen sich somit zu einem selektiven Deutungsrahmen zusammen, der Versatzstücke von Sozialstaats- und Bürokratiekritik mit einem umfassenden Bekenntnis zur Vorrangstellung marktkonformer Lösungen verbindet: Der schlanke Staat solle Schluss mit zu viel Einmischung in die Wirtschaft machen, solle aufhören, die Bevölkerung zu bevormunden, wir hätten – so ein wiederholtes Relativierungsmuster – „so viel Sozialstaat aufgebaut, dass er unsozial geworden ist“.
Wege der Kritik
Gegenüber diesen Wort- und Bildpolitiken sind vor allem diese drei Ansätze der Kritik anzutreffen.
Erstens werden durch die Metapher offensichtlich interessengeleitete Politiken zur Neuausrichtung des Staates mit dem Anschein der „Naturhaftigkeit“ versehen. Naturanalogien laufen hier prinzipiell Gefahr, notwendige politisch-demokratische Auseinandersetzungen zur Entwicklung von Staat, Ökonomie und Gesellschaft auszublenden. So ist beispielsweise in der Metapher vom „schlanken Staat“ nicht nur angelegt, die einschneidenden Folgen des angestrebten Rückbaus sozialstaatlicher Leistungen für das Gros der Bevölkerung zu entnennen.
Mit der Rede von der Schlankheit werden Körpernormen naturalisiert, die Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher Debatten sind. Dieser Einwand bleibt nicht bei dem Hinweis stehen, dass es sich bei „Schlankheit“ um ein zuvorderst gesellschaftlich konstruiertes Optimalitäts- bis Zwangsideal handelt. So macht etwa die österreichische Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky in ihren Analysen den machtpolitischen Gehalt des gegenwärtig vorherrschenden „neoliberalen Regimes über die Bäuche“ deutlich. Denn die radikalisierten Schlankheitsideale wenden sich nicht nur gegen den Körper des Staates, sondern münden letztlich auch in die Aufforderung an die Staatsbürger und -bürgerinnen, den „Gürtel enger zu schnallen“ und ihr Leben „über den Verhältnissen“ einer Rosskur zu unterziehen.
Stichwörter sind hier zum Beispiel die Parallelen zwischen der forcierten Privatisierung sozialer Risiken und der starken Betonung von individuellem Fehlverhalten als Ursache für soziale Bedürftigkeit. Oder jene zwischen den Anforderungen permanenter „Abrufbarkeit“ für den Arbeitsmarkt und der permanenten Rastlosigkeit der „Trimm dich fit“-Kultur. Als ein zentrales, ehernes Motiv der Herrschaft über die Körper lässt sich mit diesem Kritikstrang zudem die ordnungspolitische Überhöhung der Askese herausstellen. Denn die – so der deutsche Soziologe Reimer Gronemeyer – „von oben verordnete Askese ist ein altes Instrument von Cliquen, um Wünsche kleinzuhalten, Disziplin durchzusetzen und Macht zu erhalten“.
Ein zweiter Kritikstrang betont die Konsequenzen des Sozialstaat-Abbaus des staatlichen Schlankheitsfanatismus. Dieser spricht zwar viel von den Aufgaben, die der Staat zu verabschieden habe, und suggeriert mit der Körperanalogie höhere Leistungsfähigkeit, größere Schnelligkeit und Wendigkeit durch geringeres Gewicht. Doch im Bild vom „Übergewichts-Abbau“ wird verdeckt, welche sozialen Mehrbelastungen und Umverteilungswirkungen damit entstehen.
Der vermeintliche „Speck“ verschwindet nach staatlichem Leistungsabbau nicht einfach. Probleme, die durch fehlende oder gekürzte Leistungen in der Gesundheitsversorgung bestehen, werden schlicht aus der öffentlichen Verantwortung bugsiert und privatisiert. Die tatsächlichen Kosten für die Bevölkerung steigen deshalb parallel zur Verschlankung des Staates. Nur für Spitzeneinkommen ergeben sich womöglich gegenüber abgabenfinanzierten staatlichen Leistungen tatsächliche Einsparungen – der Rest „zahlt“ im wahrsten Sinne des Wortes „drauf“.
Hier gilt es mit Blick auf den österreichischen Fall zu berücksichtigen: In Summe weisen die Staatsausgaben eine deutliche Umverteilungswirkung zugunsten unterer Einkommensschichten auf – somit werden auch diese bei staatlichen „Schlankheitsprogrammen“ für öffentliche Leistungen besonders getroffen.
Doch in Zusammenhang mit der schiefen Metapher vom „schlanken Staat“ wird nicht nur vielfach verschwiegen, wer die Hauptbelastungen der „Weg mit dem Speck“-Politik zu tragen hat. Dazu kommt, dass in solchen Diskursen zur „Sanierung“ öffentlicher Finanzen zugleich einnahmenseitige, an ökonomischer Leistungsfähigkeit orientierte Maßnahmen tabuisiert werden. Damit erfahren gerade auch die fehlenden Umverteilungswirkungen des österreichischen Steuer- und Abgabensystems eine Fortsetzung.
Was an sozialen Mehrbelastungen in der Mogelpackung „schlanker Staat“ steckt, wird zudem insbesondere auch aus einer geschlechterkritischen Perspektive deutlich. Denn es sind im bestehenden gesellschaftlichen Machtgefüge vor allem Frauen, auf die beispielsweise die „Kosten“ eingesparter Betreuungszeiten in den Spitälern und verlängerter Betreuungszeiten im Privathaushalt abgewälzt werden. So wird auch in diesem Zusammenhang vielfach unsichtbar gemacht, wer durch die Verschiebung von bezahlter „öffentlicher Zeit“ hin zu unbezahlter „privater Zeit“ eine zusätzliche Belastung erfährt.
Abwälzen sozialer Belastungen
Vor diesem Hintergrund lässt sich zuspitzen: Von einem „schlanken Staat“ profitieren – wie gerade nicht geschlechtsblinde Budgetanalysen zeigen – zuvorderst reiche Männer. Bemerkenswert ist auch, dass sich gerade vermeintlich „dicke“ Sozialstaaten vergleichsweise „souveräner“ in der jüngsten Krise bewegt haben als sozial minimalisierte „Schlankstaaten“. Indem der Staat in der Krise Einnahmenausfälle verzeichnet (im Abschwung sinken beispielsweise die Steuereinnahmen angesichts von weniger Beschäftigten) und seine Leistungen zugleich mehr in Anspruch genommen werden (bei steigender Arbeitslosigkeit steigen etwa die Ausgaben für Arbeitslosengeld), stabilisiert er automatisch die Wirtschaft, weil dadurch Einkommen von den öffentlichen Kassen in Richtung Haushalte geschoben werden. So weisen insbesondere auch keynesianisch inspirierte Forschungsarbeiten darauf hin, dass damit dazu beigetragen werden konnte, das drohende Abgleiten in eine Depression wie in den 1930er-Jahren zu verhindern.
Schlank kann autoritär sein
Drittens gilt eine Kritik dem Trugschluss, Leerformeln wie „Mehr Markt, weniger Staat“ tatsächlich mit einem Weniger an Regulierungsformen oder an staatlicher Zwangsgewalt gleichzusetzen. Liberalisierungen und Privatisierungen bedeuten keineswegs Bürokratieabbau. Vielmehr ist im Zuge dieser Maßnahmen vielfach ein Wildwuchs an neuen Regulierungsbehörden und privatisierter Rechtsprechung in der Form von Sonder-Schiedsgerichten für private Investoren zu verzeichnen. Dazu kommen die entdemokratisierenden Effekte, die von diesen neuen Regulierungsarchitekturen beispielsweise im Zuge des Abbaus parlamentarischer Kontrollrechte oder privilegierten Einflusskanälen für transnationale Konzerninteressen ausgehen.
Darüber hinaus werden auf internationaler Ebene marktzentrierte Regelwerke dazu genutzt, Verpflichtungen zur Liberalisierung von gesellschaftlich sensiblen Sektoren wie Gesundheit, Verkehr oder Wasserversorgung auf Dauer zu stellen (wie etwa im Rahmen von Freihandelsverträgen wie dem EU-USA-Abkommen TTIP oder avisierten internationalen Dienstleistungsabkommen TiSA). So braucht es auch einen geschärften Blick darauf, dass die staatliche Durchsetzung und Absicherung neoliberal-globalisierter Verhältnisse keineswegs auf einem pauschalen Abbau, sondern auf einem selektiv gewichteten Umbau des Staates fußt. Die Bezeichnung „Wettbewerbsstaat“ weist hier nicht zuletzt darauf hin, wie stark bis autoritär der (vermeintlich) „schlanke“ Staat gerade auch dann auftreten kann, wenn es um die Abwehr alternativer Vorstellungen zur Wettbewerbsfixierung geht.
Aushungern des Sozialstaats, Auffetten von wettbewerbsstaatlichen Machtapparaten, demokratiepolitischer Kahlschlag – statt diese Effekte zu benennen, vertuscht der „Schlanker-Staat-Sprech“ gesellschaftliche Machtverschiebungen und verschärft gesellschaftliche Ungleichheit.
Dieser Artikel ist eine aktualisierte Version eines Beitrags zum Buch „imagine economy. Neoliberale Metaphern im wirtschaftspolitischen Diskurs“, hg. v. BEIGEWUM, 2012, Löcker Verlag