

Als das Christkind in die Falle tappte
Klaus Kastberger in FALTER 50/2009 vom 11.12.2009 (S. 30)
Ein Band mit nachgelassenen Texten erinnert an den Wiener Schriftsteller und Bohemien Joe Berger
Er war der Mann mit dem faden Aug' – sozusagen eine österreichische Variante von Karl Dall. In den 80er-Jahren war er in Wien oft bei literarischen Veranstaltungen zu sehen. Stets stand er irgendwie abseits, meist mit einem Glas oder einer Flasche in der Hand. Selbst lesen hat man ihn selten gehört, und wenn, dann nur in kurzen, pointierten Einschüben zwischen den anderen versammelten Autorinnen und Autoren: Texte über den Alkohol, Märchen für Erwachsene, Kurz- und Kürzestkrimis.
Schon damals hatte man das Gefühl, dass Berger aus einer anderen Zeit kommt: als das Trinken noch geholfen hat und die eigene Lebensform wichtiger war als die Segnungen des Literaturbetriebs. Ab und an tauchte sein Gesicht im Fernsehen auf: In einer Episode von "Ein echter Wiener geht nicht unter", in einer Folge des "Tatort", aber auch in Filmen wie "Exit
nur keine Panik", "Die Ausgesperrten", "Der stille Ozean" oder Valie Exports "Die Praxis der Liebe": ein Typus, den man besetzt, wenn man jemanden braucht, der aus dem Milieu stammt und die Leiche findet.
1991 ist Joe Berger mit 51 Jahren gestorben. Sein literarischer und journalistischer Nachlass liegt in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus. Von dort geht jetzt eine Initiative zur Wiederentdeckung seines Werkes aus. Vorgelegt wird ein Band mit Prosatexten aus dem Nachlass und verstreut Publiziertem, der den schönen Titel "Hirnhäusl" trägt.
Im Vorwort erklärt Herausgeberin Julia Danielczyk, woher das Wort stammt – aus losen Notizen des Autors – und was es bedeutet: "Hirnhäusl" drückt demnach "Bergers konkretistischen, pragmatischen Zugang zu komplexen kunsttheoretischen und (gesellschafts-)politischen Themen aus. Der gewählte Titel verkörpert so gleichermaßen unterschiedliche Schreibansätze dieses originellen Dichters und Zeitkritikers, der mit den Mitteln des Trivialen arbeitete und zugleich hochliterarische Ansätze entwickelte."
Manche Texte des Nachlassbandes sind wirkliche Entdeckungen und bestätigen das akademische Fachurteil mit spielerischer Leichtigkeit. In einer Weihnachtsgeschichte beispielsweise, die den Untertitel "Eine Legende" trägt und in der Tradition des sozialen Märchens steht, schickt Joe Berger das "liebe" Christkind zum Huber-Bauer in die Einschicht. Keine Geschenke trägt es mit sich, sondern ein Pfändungsschreiben, das sich aus dem nicht bezahlten Kirchenbeitrag erklärt. Dennoch findet die Geschichte – zumindest vorläufig – ein Happy End: Das Christkind tappt in eine unter dem "sauren" Schnee verborgene Fuchsfalle, und der zuständige Revierförster findet es erst nach Wochen. "So kam es, dass seine weihnachtliche Fraktur nicht vor Ostern genagelt werden konnte, und der Huber-Bauer erst zu Christi Himmelfahrt gepfändet wurde." Nicht Gott im Himmel, sondern Joe Bergers weiser Voraussicht sei die Erhaltung des Weihnachtsfriedens gedankt.
Aber nicht nur in seinen Texten indes (Best of im Nachlassband: die teilweise hochskurrilen Kurzkrimis) wirkt Joe Berger oft legendenhaft, legendär sind auch manche seiner Aktionen, von denen Herausgeber Thomas Antonic in seinem Nachwort berichtet. Zu Beginn der 60er-Jahre etwa lernte Berger Konrad Bayer und die Wiener Avantgarde-Szene kennen, wenig später schmiss er seinen Job als stellvertretender Betriebsleiter einer Lackfabrik. Erste Aktionen der von Joe Berger mitbegründeten "Arbeitsgruppe Bauernschnapsen" bestanden darin, das Publikum zum Veranstaltungsort zu locken und ihm dort rein gar nichts zu bieten.
Gemeinsam mit Wolfgang Bauer, Reinhard Priessnitz und Franz Ringel gruppierte sich Berger dann zur "first vienna working group: motion". Mit dem Stück "HUNGER: BIAFRA", das sich auf die hunderttausenden Menschen bezieht, die Ende der 60er-Jahre in Nigeria an Hunger starben, ging man auf Tournee durch Österreich und Deutschland. Jede Aufführung war anders, im Prinzip ging es aber immer darum, dass auf der Bühne für einen vermeintlich guten Zweck hemmungslos getrunken und gegessen wurde (die Spenden wurden anschließend verprasst). In Darmstadt stellte man das "Letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci nach. Ab und an rülpste einer der Akteure das Wort "Biafra"; traurig schüttelten die anderen den Kopf.
Wirkung erzielte man mit solchen Aktionen nicht nur beim bürgerlichen Publikum, sondern auch im subkulturellen Bereich. Als im Rahmen des alternativen Festivals "Waldeck 69 Gegenkultur" die Nachricht vom Tod Ho Chi Minhs eintraf, stand einer der Akteure der "first vienna working group: motion" während des Essens auf der Bühne auf und sagte: "Auch der gute Onkel Ho/Geht nun nicht mehr auf das Klo!" Berger und die anderen wurden daraufhin von den 68ern als Faschisten beschimpft und von der Bühne gejagt.
Wie nun aber dokumentiert man dergleichen Aktionismus? Die Form des Buches und zumal die der puren Textsammlung scheint nicht recht geeignet, jene poetischen Akte einzufangen, die das Leben von Joe Berger auch später noch prägten. Zudem sind die zu Lebzeiten des Autors publizierten Bücher ("Märchen für Konsumkinder" 1977; "Ironische Zettel" 1980 und "Märchen für die Satten und Irren" 1990) seit langem vergriffen. Neuauflagen und/oder ein Auswahlband der besten Texte wären nötig, um jene Hoffnung zu nähren, die Peter Turrini knapp nach Bergers Tod aussprach: dass man den Autor doch bitte endlich nicht mehr allein als ehemaligen Kumpel, Freund und als ein Anhängsel der Wiener Szene sehen möge, sondern ihn als Schreibenden ernst nimmt. Ein Versuch in diese Richtung wurde mit "Hirnhäusl" unternommen, die Präsentation eines Best of Joe Berger indes steht weiterhin aus.