

„Bombe, Trompeten, Trommeln, Flöten“
Erich Klein in FALTER 42/2022 vom 21.10.2022 (S. 16)
Der englische Dichter Sir Stephen Spender (1909–1995) war eine der schillerndsten Figuren der Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Spross eines liberalen Londoner Journalisten geht nach dem Studium in Oxford nach Deutschland – sein 1928 entstandener Roman „Der Tempel“ wird zu einem Klassiker der Schwulenliteratur. Als Kurzzeitkommunist zieht Spender in den Spanischen Bürgerkrieg, nach dem Zweiten Weltkrieg wird er zu einem der bekanntesten Wortführer des Antikommunismus. Die Queen erhebt Stephen Spender 1983 schließlich in den Adelsstand.
Mit 25, als Spender im Mai 1934 mit seinem Geliebten, der sich als Sekretär des Dichters ausgibt, nach Österreich kommt, ist er noch voller Ambivalenzen. Erst kürzlich war der Februaraufstand der Arbeiter blutig niedergeschlagen worden; währen des Krankenhausaufenthalts des Gefährten beginnt Spender eine Affäre mit der amerikanischen Medizinstudentin Muriel Gardiner.
Spender, der bis dahin nur Männerbeziehungen unterhalten hatte, gesteht Muriel seine Verlegenheit und dass er noch nie in eine Frau verliebt war. Mit ihr, die heimlich Botendienste für die emigrierten Führer der Sozialdemokratie durchführt, gerät er ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung und beginnt im Sommer in einem Blockhaus im Wienerwald das vierteilige Großgedicht mit dem Titel „Vienna“ zu schreiben, um „die öffentlichen Turbulenzen mit meinem eigenen Leben in Beziehung zu setzen“.
Der sogenannte Röhm-Putsch, die Ermordung von Engelbert Dollfuß und die Toten des Februars 34 ergeben ein wilde Mischung. Es beginnt pompös: „Wiewohl der Mensch lebt oder stirbt, / […] Ist sein wahres Leben ein erlöschendes, sein wahrer Tod ein wachsendes Licht.“ In freien Versen wird ein erster Gang durch Wien beschrieben; Gesprächsfetzen bei einem Krawattenkauf, die Beschwörung des toten Kanzlers und Stadtansichten verdichten sich zu einer expressionistischen Bilderfolge.
Die „verdammte Bande“ der Austrofaschisten wird der Welt der Arbeiter gegenübergestellt, auch die Kirche darf nicht fehlen: „Der Kardinal erfreut uns mit einem Hauch von Scharlach. / Bombe, Bombe, Bombe, Trompeten, Trommeln, Flöten. / Oh Lamm Gottes, verschone uns.“ Spender besingt den Gemeindebau des Roten Wien kryptisch, leichter identifizierbar sind die Arbeitslosen auf der Parkbank und die Bettler. Im Teil „Tod der Helden“ wird der Februarkämpfe im Karl-Marx-Hof und in Floridsdorf und der Hinrichtung Koloman Wallischs gedacht.
Das ganze Gedicht ist überschattet von der rasch beendeten Liebesbeziehung zu Muriel, die den revolutionären Sozialisten Buttinger heiraten wird. „Ich denke oft an eine Frau, / Vernachlässigt mit dunklen Augen, mit einer fordernden Drehung des Kopfes / Und Haar von schwarzseidenen Tieren.“ Die jungen Männer aber, deren Körper er beim Schwimmen bewundert, werden bald zu Kanonenfutter. Stephen Spenders „Vienna“ ist das bizarrste Liebesgedicht, das über diese Stadt je geschrieben wurde.