Die Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung
Als Richard Schuberth sich an den Schreibtisch setzte, um eine umfassende Kritik der Identitätspolitik (und ihrer Kritiker) zu schreiben, musste er feststellen, dass das Wesentliche dazu schon längst gesagt wurde, von anderen, aber – zu seinem Erstaunen – auch von ihm selbst.
In seinem publizistischen Schaffen der letzten fünf Jahre finden sich nicht wenige Texte zu diesem sehr heterogenen Themenkomplex. So beschloss er kurzerhand eine Anthologie herauszugeben, mit Essays, Satiren, Interviews, Radiotexten, Aphorismen, Postings, Cartoons und Bildcollagen, die zum Teil bis in die späten 1980er-Jahre zurückdatieren, als Diskussionen zur Identitätspolitik nicht weniger heftig geführt wurden als heute.
Ein unkonventionelles Buch als buntes Mosaik jüngerer und älterer Interventionen zu Rassismus, Antirassismus, Feminismus, Maskulinismus, #MeToo, Political Correctness, Sprachregulierung, kultureller Aneignung, Wokeness, Critical Whiteness und postkolonialen Ansätzen, neuem Puritanismus, Standortbestimmungen der Linken zwischen Klassen- und Anerkennungspolitik, linkem Nationalismus, der Betroffenheitsrhetorik in sozialen Medien, der Frage, was Satire darf – und nicht zuletzt seinen essayistischen Länderstudien zur Konstruktion nationaler Identitäten.
Mit der „Welt als guter Wille und schlechte Vorstellung“ stellt der Autor in diesem heißumfehdeten Feld jedenfalls einen Kompass zur Verfügung, dessen Nadel zwar fröhlich zittert, aber eine ungefähre Richtung vorgibt, wie sich Identitätspolitik kritisieren lässt, ohne den emanzipatorischen Anspruch der neuen sozialen Bewegungen zu verraten.
Als sogenannter "alter weißer Mann"
liefert Richard Schuberth ausgerechnet ein Kompendium zur sogenannten "Identitätspolitik". Sich des Dilemmas bewusst, fragt er: "Was rechtfertigte den Senf, den ich in den ohnehin randvollen Bottich des Diskurses abzusondern hatte?" Sein frecher Witz und die Hingabe an die schlagendste Formulierung mögen auch Skeptische überzeugen. Schuberth schafft es, gleichzeitig Kritik an der Identitätspolitik zu formulieren und sie gegen den rechtspopulistischen Mainstream zu verteidigen. Damit stellt dieses Lesebuch keine Anleitung zum Verrat an emanzipatorischen Bewegungen dar. Es ist vielmehr eine Rückschau auf das Œuvre eines geübten Ideologiekritikers und scharfen Senfdazugebers voll unbequemer, aber umso erhellenderer Gedanken. Ein Buch, das allen eins auf die Nase gibt, auch dem Autor selbst.
Olja Alvir in Falter 26/2022 vom 01.07.2022 (S. 30)
ISBN | 9783854359890 |
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Erscheinungsdatum | 31.03.2022 |
Umfang | 300 Seiten |
Genre | Belletristik/Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews |
Format | Hardcover |
Verlag | Drava |