

"Die Koralmbahn bringt eine Zeitenwende"
Gerlinde Pölsler in Falter 27/2025 vom 2025-07-04 (S. 32)
Othmar Pruckner, 68, besteigt in kurzen Abständen zwei Verkehrsmittel: erstens Rennräder. Zweitens Züge. Rund um seinen Wohnort Langenlois im Kamptal tritt er genauso in die Pedale wie entlang der Donau: Da durchquerte der gelernte Geograf und Germanist acht von zehn Staaten, die der Strom verbindet. Heraus kam das Buch "Donauabwärts. In 33 Tagen mit dem Fahrrad vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer" (2024). Auch aus dem Zugfenster hat der frühere Trend-Redakteur schon große Teile Europas vorüberziehen gesehen. 2022, kurz nach Einführung des Klimatickets, schrieb er das Reisebuch "Auf Schiene. 33 Bahnreisen durch Österreich und darüber hinaus"(beide Titel sind im Falter Verlag erschienen). Gern spannt der Autor seine beiden Lieblingsfortbewegungsmittel zusammen -und packt das Rad kurzerhand in den Zug.
Falter: Herr Pruckner, 1992 war Bahnfahren ziemlich out, Sie haben aber schon damals Ihr erstes Zugreisebuch publiziert. Haben Sie schon im Kinderzimmer Weichen gestellt? Oder gab es später ein eisenbahnerisches Erweckungserlebnis? Othmar Pruckner: Weder noch. Es hat wohl mit einer Interrailreise angefangen, und in Studientagen bin ich einige Male mit dem Wien-Oostende-Express nach London gefahren. Auch durch die Türkei bis Tiflis in Georgien bin ich gegondelt, nach Lemberg, nach Sizilien. Und in den USA von Houston nach New Orleans. Extremreisen habe ich aber keine gemacht.
Haben Sie je eine richtige Katastrophenfahrt erlebt?
Pruckner: Nein, Katastrophenfahrt nicht ... Aber ich wollte einmal mitsamt dem Rad zur Quelle der Donau, nach Donaueschingen, fahren, und da hat gar nichts funktioniert. Der Zug war überfüllt, er ist wegen technischer Probleme stehen geblieben, natürlich habe ich zweimal den Anschluss verpasst - alles, was sich an schlechter Zugqualität vorstellen lässt, ist passiert. Und zwar nicht in Rumänien oder Bulgarien, sondern 2023 in Deutschland.
Abseits von Städtedestinationen schrecken viele Leute vor Ausflügen oder Reisen mit der Bahn zurück - sie meinen, es sei so umständlich und vieles funktioniere nicht
Pruckner: Natürlich kommt man nicht überall mit dem Zug hin -für mich ist aber immer wieder überraschend, wo man doch überall hinkommt. Wer weiß schon, dass man nach Hallstatt leicht und bequem mit der Bahn reisen kann? Schon die Fahrt ab Gmunden entlang von Traunstein, Traunsee und Traunfluss ist ein Erlebnis, und die letzte Meile macht man auf dem Seeweg, nämlich per Motorfähre. Es geht beim Bahnfahren immer auch um die Fahrt an sich, um den Landschaftsfilm, der draußen abläuft.
Skeptiker sehen sich schon irgendwo in der Landschaft herumstehen, an einem einsamen Bahnhof, weit weg vom See oder Wanderweg, zu dem sie wollen.
Pruckner: Gerade viele Wanderungen kann man direkt von kleinen Stationen ausgehend machen. Auch zum Wasser kommt man gut. Ab Wien ist man beispielsweise in einer Stunde in Langenlois mit seinem Kamp-Flussbad. Ganz wunderbar gelangt man an den noblen Attersee: Vom Bahnhof zehn Minuten zu Fuß und man ist beim ruhigsten und schattigsten Strand, der vorstellbar ist. Auch das Bodenseeufer ist bequem erreichbar. Bei den Kärntner Seen heißt es vielleicht einmal ein Stück mit dem Bus fahren, aber möglich ist sehr viel. Es braucht halt ein bisschen Vorbereitung.
Wobei das mit der weiten Entfernung manchmal ja auch stimmt. Vom Bahnhof Neusiedl, schreiben Sie, gehe man zu Fuß fast eine Stunde bis zum See. Bei dieser Tour -und auch etlichen anderen - empfehlen Sie daher, das Rad einzupacken. Wie einfach oder kompliziert ist das denn?
Pruckner: Es gibt ein paar richtige Radshuttle-Verbindungen mit eigenen Radwaggons, zum Beispiel vom Osttiroler Lienz bis nach Südtirol. Da sind hunderte Radfahrer pro Tag unterwegs. Auf den Hauptstrecken aber sind die Plätze sehr beschränkt. Wenn man da einen Anschlusszug versäumt, wird es schwierig, weil man dann keinen reservierten Platz für das Rad mehr hat und sich hineinschummeln muss.
Mit Rad muss man also auf jeden Fall vorher reservieren?
Pruckner: Auf den Hauptstrecken ja. In den Regionalexpresszügen nicht. Wenn man nach Znaim oder Retz oder Krems will, funktioniert das auch so sehr gut.
Sind Sie schon mal am Bahnsteig stehen geblieben und konnten nicht mit, weil das Rad keinen Platz mehr hatte?
Pruckner: Auf der Fahrt von Berlin nach Wien ist mir das beinahe mal so gegangen. Die reservierten Radabteile waren vollgestopft mit Gepäck von anderen Reisenden, in den Zug noch hineinzukommen war eine Meisterleistung.
Im Dezember nimmt die Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt ihren Betrieb auf, Sie arbeiten gerade an einem Buch darüber: "Mit Highspeed in den Süden". Die Fahrzeit zwischen den zwei Landeshauptstädten verkürzt sich von drei Stunden auf sagenhafte 45 Minuten. Was bedeutet das für das Bahnfahren in Österreich?
Pruckner: Das bringt schon eine Zeitenwende. Auch von Wien ist Klagenfurt dann in drei Stunden 20 zu erreichen. Und wenn 2030 auch der Semmeringtunnel fertig wird, verkürzt sich diese Zeit nochmals auf zwei Stunden 40. Das wird Fahrgastzuwächse wie seinerzeit beim Start der neuen Westbahn bringen. Durch diese gelangt man heute mit dem Zug viel schneller von Wien nach Salzburg als mit dem Auto, und dasselbe passiert nun in Richtung Süden. Das macht die Bahn viel konkurrenzfähiger.
So schnell die Fahrt mit der Koralmbahn wird, so lange hat es bis zu ihrem Bau gedauert.
Pruckner: Ja, die ersten Zeichnungen dazu entstanden Mitte der 1980er-Jahre.
Wer hat die ersten Ideen aufgebracht?
Pruckner: Es gibt eine Reinzeichnung aus dem Jahr 1985 mit dem Titel "Koralpenbahn Graz-Klagenfurt, Pilotstudie" vom Grazer TU-Professor Karl Klugar. Sein Nachfolger Klaus Rießberger verfeinerte die Planungen. Ein Jahrzehnt später hat die damalige "Hochleistungs-AG" der ÖBB mit ernsthaften Planungen begonnen. Lange Zeit wollten aber in Wahrheit weder die Bundespolitik noch die ÖBB die Strecke haben: Zu hohe Kosten für zu wenig Nutzen, dachte man. Wirklich gewollt haben es die Länder Steiermark und Kärnten und ihre damaligen Landeshauptleute Waltraud Klasnic (ÖVP) und Jörg Haider (FPÖ). Als dann 2000 plötzlich die schwarz-blaue Bundesregierung am Ruder war, haben die beiden die Koralmbahn bei Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) regelrecht durchgedrückt.
Wie ist ihnen das gelungen?
Pruckner: Haider hat seine Verkehrsministerin Monika Forstinger regelrecht erpresst: Macht die Gelder dafür frei, oder ich stelle die Koalitionsfrage! Ab 2004 haben die Planungen dann Fahrt aufgenommen, der erste Koralmbahn-Vertrag wurde unterschrieben.
Wohin wird Sie Ihre erste Reise mit der Koralmbahn führen?
Pruckner: Die habe ich schon hinter mir: Ich war bei einer Testfahrt dabei, am Führerstand einer Taurus-Lok mit 250 km/h durch den Tunnel - ein Bubentraum! Wenn die Bahn dann fertig ist, werde ich öfter ins Lavanttal fahren, das ich sehr gerne mag, ebenso wie auf die Koralm oder ins steirische Schilcherland. Und überall werde ich das Rad mitnehmen.
In Ihrem Buch schlagen Sie auch mehrere Ausflüge mit alten österreichischen Lokalbahnen vor. Haben Sie eine Favoritin? Pruckner: Hm Vielleicht die Waldviertler Schmalspurbahnen, die nicht mehr im Regelbetrieb unterwegs sind. So eine Dampflok ist für mich der Inbegriff einer Maschine. Man muss kein fanatischer Pufferküsser sein, um diese pfauchenden, frühen Wunderwerke der Technik zu mögen. Diese Züge und Loks erzählen, wie vor 100 oder 150 Jahren gereist und die Landschaft erobert wurde.
Sie empfehlen auch etliche Kurzreisen über Österreichs Grenzen hinaus. Wo ist man denn von Wien aus sehr rasch, woran man vielleicht gar nicht denkt?
Pruckner: Ich war vor kurzem wieder im tschechischen Znaim, das ist eine wunderbare Stadt mit schönen Plätzen, und die Fahrt dauert ab Wien nicht einmal zwei Stunden. In gut 70 Minuten ist man im ungarischen Győr, in knapp eineinhalb Stunden in der altbewährten Einkaufsstadt Sopron und in dreieinhalb Stunden in Budweis. Schon oft besucht habe ich Bratislava: Ich mache eine Strecke mit der Bahn und eine mit dem Rad.
Wie schaut 's denn in anderen Ländern aus, wenn man ein Rad mitnehmen will?
Pruckner: Da muss man leider sagen: Im Osten Europas ist es eigentlich nicht möglich. Außer man zerlegt sein Rad.
Schon mal gemacht?
Pruckner: Ich habe das schon zerlegt, ja. Da war ich mit Freunden unterwegs, die mir geholfen haben. Man muss die Pedale abbauen, die Räder, alles, bis aus dem Rad ein Paket geworden ist. Das dauert schon zwei bis drei Stunden, man braucht Werkzeug Das überlegt man sich halt zehn Mal.
Welche Nachtzugreisen können Sie denn empfehlen?
Pruckner: Zum Beispiel eine Abenteuerreise ins kroatische Split, das ich sehr liebe!
Wieso ist das eine Abenteuerreise?
Pruckner: Die Waggons sind gefühlt mindestens 50 Jahre alt, der Zug hat keine Klimaanlage, zuletzt ist nur mehr eine altersschwache Diesellok vorgespannt, es geht sehr langsam und meist mit Verspätung voran. Dafür sind die letzten Stunden durchs einsame Dalmatien landschaftlich eindrucksvoll. Frühstück gibt es keines, aber immerhin ist man nach einer Nacht in Split, von wo man gut mit der Fähre weiterkommt. Auch Zürich, Berlin, Venedig, Rom, Warschau und dann weiter nach Danzig - das geht alles sehr gut mit dem Nachtzug.
Für Zugreisen über mehrere Länder ist es auch gar nicht so einfach, alle Tickets zu organisieren
Pruckner: Genau, wir waren zuletzt in Cluj, im rumänischen Transsilvanien. Ab Wien geht's mit dem Schlafwagen nach Alba Iulia. Dort muss man umsteigen, das Anschlussticket kann man in Österreich nicht so einfach kaufen. Man kann es aber zum Beispiel über die Website der Rumänischen Staatsbahn suchen und buchen.
Sehen Sie Bemühungen in diese Richtung?
Pruckner: Nicht wirklich. Die nationalen Bahnverwaltungen sind sehr eigenbrötlerisch und einander nicht koscher. Wir haben es mit einem großen Flickwerk zu tun, im europäischen Bahnverkehr gibt es allein vier Stromsysteme. ÖBB-Chef Andreas Matthä, der auch Präsident der europäischen Bahnen ist, bemüht sich sehr um mehr Zusammenarbeit, aber da sind harte Bretter zu bohren. Die Bahn ist zwar als Klimaretter erkannt worden, aber um sie konkurrenzfähig zu machen, müsste viel mehr Geld hineinfließen.
Wie steht Österreich im Vergleich da?
Pruckner: In Österreich ist 50 Jahre lang, bis in die Nullerjahre, alles Geld in die Straße geflossen und kaum etwas in die Schiene. Dennoch steht Österreich beim Bahnausbau wesentlich besser da als etwa Deutschland und viele andere europäische Länder.
Nun werden aber auch Investitionsprojekte der ÖBB aufgeschoben, insgesamt 26 quer durchs Land. Und Lokalbahnen wie der Mühltal-und Hausruckbahn droht gar die Einstellung. Wird auch hier budgetbedingt die Schiene zu sehr ausgebremst?
Pruckner: Das finde ich schon sehr schade, es werden auch dringende Projekte aufgeschoben. Die gute Nachricht ist: Es wird weitergebaut, wenn auch langsamer.
Können Sie zum Schluss noch einen Geheimtipp verraten?
Pruckner: Ja, tatsächlich -etwas, das mich auch reizt: Mit dem Autoreise-und Schlafwagenzug von Villach in die Türkei, bis nach Edirne zu fahren. Dieser Zug fährt einmal in der Woche, die Reise dauert drei Nächte und zwei Tage. Die Verbindung findet man nicht im Suchsystem Scotty, weil sie privat betrieben wird. Und so gibt es -vermute ich - noch einige andere Geheimnisse auf Österreichs Gleisen, von denen zumindest ich absolut keine Ahnung habe.