

WO DIE BUNTEN KERLE WOHNEN
Klaus Nüchtern in Falter 31/2025 vom 2025-08-01 (S. 4)
Straßenbezeichnungen, in denen Präpositionen vorkommen - etwa "An den langen Lüssen" (Grinzing) oder "In der Bien" (Donaustadt) -, verbreiten allein durch ihren Namen einen ganz eigenen Zauber. Floridsdorf verfügt gleich über zwei solcher Destinationen: "In der goldenen Erden" und "In den Gabrissen". Beide bieten bestens brauchbare Orientierungsmarken, um von der Endstation der Linie 31 aus spazierend im nördlichsten Winkel Wiens das Umland von Stammersdorf zu erkunden; je nachdem, ob man sich mehr für Bodenaushubdeponien oder Flugmotorenreparaturwerksruinen interessiert.
Ich kann beides sehr empfehlen, und wenn's ein etwas längerer Spaziergang sein darf, lässt sich auch beides unschwer kombinieren. Vom Bahnhofsplatz ostwärts schreitend quert man In der goldenen Erden, erreicht den Marchfeldkanal und ist nur drei Brücken weiter bereits mit einem Fuß in Niederösterreich. Folgt man der Landesgrenze Richtung Norden, gelangt man zu erwähnter Deponie, wo im Frühjahr Bienenfresser und Uferschwalben ihre Quartiere beziehen.
Menschen, denen die Uferschwalben nicht bunt genug sind, können sich diesen Umweg sparen und vom Ausgangspunkt einfach dem bescheuerten Geballer folgen, das graubärtige Männer in Camouflagekleidung in der örtlichen Schießstätte veranstalten, um die Welt vor jener Gefahr zu retten, die sie selber darstellen.
Die weichen Rufe der Bienenfresser sind In den Gabrissen dennoch zu vernehmen, die bodennahen, scharfen Pfiffe aber stammen von den wachsamen Zieseln, die bemüht sind, von den Turmfalken und Mäusebussarden nicht gefressen zu werden. Im Herrenholzwäldchen östlich der Hagenbrunner Straße wiederum, in der sich die Ruinen besagter Flugmotorenwerkstätte aus dem Zweiten Weltkrieg befinden, tummeln sich Spechte, Eichelhäher und ab Ende April bis in den Sommer die scheuen Pirole. Sie haben vom Gekrächze und Gepfeife genug? Die Luckenholzgasse führt verlässlich zu einer der zahlreichen Labestellen, an denen man sich ein paar Vierterln reinpfeifen kann.
Wer keine Lust hat, permanent der prallen Sonne ausgesetzt zu sein, und zwischendurch auch einmal schwimmen gehen will, ist mit der Lobau bestens bedient -vorausgesetzt, man hat eine Flasche Anti-Brumm oder einen Schwarm Schwalben dabei, der sich um die Gelsen kümmert.
Mit Feldstecher und einem Mordstrumm Zoomkamera FKK-Areale zu durchqueren, ist an sich keine besonders gute Idee. Der FaVoWa ist bislang aber tatsächlich weder angepöbelt noch abgewatscht worden -offenbar verkörpert er das Interesse an Vögeln (zweideutige Wortspiele an dieser Stelle bitte selber anbringen) einigermaßen glaubhaft und authentisch.
Als Zugang zur im wilden Osten der Stadt gelegenen Au wählt er übrigens die Station Lobgrundstraße des 92B, von wo er zügig die Panozzalacke (mit der Einkehroption Knusperhäuschen) ansteuert; ihrem Ufer entlang führt ein Weg zum Josefsteg. Dort geht vor allem im Frühjahr akustisch die Post ab, im Hochsommer hingegen ist das Angebot in dieser Hinsicht schon deutlich reduziert.
Beim aktuellen Augenschein waren weder Pirol noch Kuckuck, ja nicht einmal das bizarre Knarren des Drosselrohrsängers zu vernehmen. Lediglich ein einsamer Rohrschwirl ließ sich dort hören, wo ich vor einigen Wochen von einem ferkelartigen Quieken überrascht worden war, das sich als Ruf der aus guten Gründen auch "Schilfschwein" geheißenen Wasserralle entpuppte (die sich indes nicht blicken ließ). Ebenfalls scheu ist die Zwergdommel, die man hier mitunter über Röhricht und Gewässer streichen sehen kann.
Die Lobau besteht übrigens keineswegs nur aus Auwald. Ein besonders hübsches Fleckchen ist jenes, das ich "Kleiberwiese" nenne, weil der genannte Bursche sich vor allem an der schönen Traubeneiche, an der ein Futterhäuschen hängt, gerne blicken lässt. Von dort ist es nicht mehr weit zum Mühlwasser, das man über ein Brücklein überschreitet.
Am Naufahrtwegufer muss man freilich aufpassen, damit man nicht auf einen der fusselbärtigen Goahosentypen tritt, die sich dort gerne nackig machen. Viel mehr haben die ja nicht zu tun. An der Bushaltestelle Naufahrtbrücke des 93A hat man in beiden Richtungen Anschlüsse an die U2, wobei man natürlich auch bei der Station Mühlwasser wieder aussteigen und am Ufer des selbigen bis nach Stadlau spazieren kann.
Für die Extended Version der Laaerbergbesteigung am Südrand der Stadt verlässt man an der Straßenbahnhaltestelle Fickeystraße (11,71) die Bim und begibt sich via Dürrnbacherstraße auf jenen überraschend hübschen Weg, der zum Schloss Neugebäude führt. Über die nach dem früh verstorbenen Wiener Musiker Hansi Dujmic benannte Gasse und die Anton-Mayer-Gasse gelangt man zum Tier-und danach auch schon zum Zentralfriedhof, den man nun durchqueren und bei Tor 11 wieder verlassen möge.
Wer sich diese Etappe lieber spart, fährt am besten mit der Schnellbahn bis zur Station Zentralfriedhof, nimmt die Unterführung und setzt auf der Gadnergassenbrücke, von der man einen prächtigen Blick auf den Verschubbahnhof Kledering hat, über die Bahntrasse über.
Im Himmel über Unterlaa jubilieren die Feldlerchen, auf den Feldern selbst haben sich Ringeltauben und ein stattlicher Schwarm Krähen niedergelassen. Die Wachtel lässt ihr distinktes, dreisilbigen "PICK-per-WICK", "Wachtelschlag" genannt, ertönen, und mit sehr viel Glück bekommt man sie auch zu Gesicht - ebenso wie das Rebhuhn, das hierzulande seit langem auf der Roten Liste steht und als stark gefährdet gilt.
Ist man in einer Gruppe unterwegs, empfiehlt sich ein Besuch des Musterhausparks Oberlaa an der Filmteichstraße. Dieser bietet nämlich die Gelegenheit, die ausgestellten Bauten miteinander zu vergleichen und den hässlichsten zu prämieren - was sich als ziemlich schwierige Aufgabe entpuppen dürfte.
Von hier aus bietet es sich an, auch gleich den 1974 im Zuge der Wiener Internationalen Gartenschau (WIG 74) errichteten Kurpark zu durchqueren (nur der Donaupark der WIG 64 ist um etwa drei Hektar größer) und in der Urkonditorei Oberlaa vorbeizuschauen.
Der FaVoWa schlägt stattdessen vor, den Eigenheimhorror in jedweder architektonischen Ausformung entlang der Heimkehrergasse zu bewundern, über die man die Parkanlage Löwygrube erreicht, benannt nach dem von den Nazis enteigneten und ermordeten Ziegelwerkbesitzer Jacob Löwy, der hier sein Rohmaterial bezog: eine Abbauwand ist als Naturdenkmal erhalten.
Nach der Arbeit wartet das Vergnügen - und am anderen Ende des Böhmischen Praters das Alte Schutzhaus Domaya, wo man sich bei Bier und rumänischen Spezialitäten wie Mămăligă (Polenta), Ciorba de Burta (Kuttelflecksuppe) oder auch mit Schnitzel oder Zwiebelrostbraten für die Anstrengungen des Aufstiegs belohnen kann. Wenn man danach die ganze Urselbrunnengasse abschreitet, gelangt man zu dem Bus, der einen zum Reumannplatz bringt.
Per Bus oder Bim trete man auch die Westwanderung an. Die Station heißt jedenfalls Bujattigasse, und den Halterbach entlang geht man diese bis zur Hüttelbergstraße, wo es mächtig zu wagnern beginnt -architektonisch betrachtet. Zwischen der noch wuchtig antikisierenden und vom Maler Ernst Fuchs zur Weihestätte des eigenen Werkes verschandelten Villa Wagner I und der ein Vierteljahrhundert später entstandenen, geradezu minimalistisch anmutenden Villa Wagner II führt ein steiler Waldpfad über Wiesen, auf denen meine mich begleitende kräuterkundige Tochter begeistert Beifuß, Waldmeister, Wegwarte, Dost, Pastinak, Odermennig und Quirlblütigen Salbei ausmacht (Pflücken ist verboten).
Ich selbst kann mich schon des Namens wegen für die Zweihäusige Zaunrübe begeistern, die meine PlantApp identifiziert hat. Mein derzeitiger Floralfavorit, der Feld-Mannstreu ist hier nicht anzutreffen (sehr wohl aber in Stammersdorf, der Lobau und auf den Feldern von Unterlaa). Er ist das hiesige Pendant zum Tumbleweed, das in Westernfilmen durch die Prärie rollt, und sieht aus, als hätte ihn ein Buckminster Fuller der Spätgotik designt - sehr sophisticated!
Die Jubiläumswarte ist Midcentury-Betonmoderne, aber weil Vater und Tochter Höhenangst haben, lassen sie die aus und begeben sich direkt zur Steinbruchwiese, wo an diesem Freitagmittag noch kein Grillgut auf dem Rost schmort. Das Finale des Otto-Wagner-Rundgangs führt vorbei an der berühmten Kirche und durchs Sanatorium bis zur 48A-Station und beschert uns am Wegesrand noch Bunten Hohlzahn und Kleinblütiges Springkraut.