

Neue Musik bringt Glück
Miriam Damev in FALTER 42/2019 vom 18.10.2019 (S. 43)
„Happiness Machine“: Sven Hartberger und das Klangforum laden zu einem 24-Stunden-Event
Das Pilzjahr läuft gut. Sven Hartberger, der Intendant des Klangforums, einem Ensemble für Neue Musik, hat von Freunden schon herrliche Fotos bekommen. Am Wochenende steht eine Exkursion mit der mykologischen Gesellschaft auf dem Programm. Auch wenn der Pilzexperte und passionierte Schwammerlsucher kaum eine freie Minute hat. „Bis zum 31. Dezember 2019 habe ich noch einen Beruf“, sagt er zurückgelehnt in einem roten Fauteuil. Und der Beruf verlangt aktuell die Organisation eines 24-Stunden-Events.
In Hartbergers Wohnung im siebenten Bezirk dominieren die Bücherregale die hellen Räume, die Namen Thomas Mann, Friedrich Schiller, William Shakespeare und Theodor Storm sind auf einigen Buchrücken zu lesen. Über einer weiteren Sitzgelegenheit hängt das Gemälde „Körperkreuz“ des bildenden Künstlers Thomas Nowak. Zwei im rechten Winkel aufeinanderliegende Körper, gemalt in groben Strichen und kräftigen Farben werden erkennbar, geht man ein paar Schritte zurück.
Sven Hartberger, 61, studierte Jus. „Ich habe die Rechte aus Gerechtigkeitsfimmel studiert und hatte eine sehr romantische Vorstellung von den Rechtsberufen“, sagt er. „Davon wurde ich im Gerichtsjahr schnell geheilt.“ Hartberger sattelte auf Italienisch und Geschichte um, arbeitete für die Bundestheater und leitete von 1989 bis 1999 das Wiener Operntheater, wo er zeitgenössische Opernproduktionen auf die Bühne brachte. Danach wurde er Intendant des Klangforums Wien, eines der besten Ensembles für Neue Musik weltweit. 2020 wird der Pianist und Kulturmanager Peter Paul Kainrath übernehmen. „20 Jahre sind eine lange Zeit“, meint Hartberger. Er will sich neu orientieren.
Bis dahin stehen noch einige Konzerte sowie am 25. Oktober das Stationentheater „Happiness Machine. 24 Stunden Glück mit dem Klangforum Wien“ bevor. Es geht um die Gestaltung eines besseren Lebens, als Basis dient das Konzept der Gemeinwohlökonomie von Christian Felber.
Der Titel „Happiness Machine“ stammt von einem der zehn Filme, die zu Beginn der Veranstaltung gezeigt werden. „Was haben wir davon, dass wir arbeiten, wie viel Freude macht es uns, was ist der eigentliche Erfolg unserer Arbeit außer Geld, oder ist es nur Geld“, fasst Hartberger die Fragen der Produktion zusammen.
Das umfangreiche Musikprogramm besteht aus ganz neuen Kompositionen oder schon bestehenden Werken, die sich konkret auf das Thema beziehen. Etwa „Situations“ von Georges Aperghis. Das Stück handelt davon, dass der Mensch in erster Linie ein soziales Wesen ist. „Das steht im krassen Gegensatz zu den Behauptungen der Mainstream-Ökonomie, dass der Mensch primär selbstsüchtig und eigennützig sei.“
Hartberger hat außerdem ein Lesebuch zu „Happiness Machine“ geschrieben, ,„Minotaurus“. Vorangestellt ist ein Zitat von Hans Magnus Enzensberger: „Nicht umsonst gilt es bis auf den heutigen Tag als Gipfel der Lächerlichkeit, die Welt verbessern zu wollen, indessen die konträre Anstrengung auf eine gewisse Hochachtung immer rechnen darf.“
Dieser Lächerlichkeit geben sich die 24 Musikerinnen und Musiker und ihr Intendant gerne preis. Das Klangforum Wien hat nicht erst seit „Happiness Machine“ einen gesellschaftspolitischen Anspruch. „Und so wie die Kunst selbst ist auch das Klangforum Wien nichts anderes als eine durch ihr Metier nur sehr behelfsmäßig getarnte Veranstaltung zur Verbesserung der Welt“, formuliert das 1985 vom Komponisten Beat Furrer gegründete Ensemble sein Selbstverständnis. Kunst muss den Fragen ihrer Zeit begegnen und ihr gleichzeitig selbst Fragen stellen.
Wie neu ist nun die Neue Musik? Es handelt sich um eine Bezeichnung, die die Werke der vergangenen 110 Jahre umfasst. Hartberger geht davon aus, dass sie, wie die Klassik oder das Barock, als musikalische Epoche zu Ende gehen wird. „Es liegt nun ein gigantisches Œuvre vor, das rezipiert werden will.“ Und mit der Neuen Musik ist es so wie mit dem Ende der Geschichte. Auch sie wird nicht der Schlusspunkt der Entwicklung sein, sondern nach ihr wird wieder etwas Neues entstehen.
Hartberger ist in Wien aufgewachsen, seine Eltern lernten sich auf den Stehplätzen der Staatsoper kennen. Sobald die Kinder, Hartberger hat eine Schwester, auf einem Sessel sitzen konnten, kamen sie überall hin mit. In die Oper, ins Theater, ins Konzert. Als er selbst Opern inszenierte, erlernte Hartberger die Neue Musik durch Hören. „Das ist die einzige Möglichkeit. Wenn man zum ersten Mal in ein Konzert zeitgenössischer Musik geht, hört man nichts anderes als unorganisierten Lärm, weil man es nicht dechiffrieren kann.“
Die Behauptung, dass es der Neuen Musik an Publikum mangelt, will Hartberger aber nicht gelten lassen: „Die Menschen, die ich in den vielen Konzerten kennenlernen durfte, waren immer begeistert. Wir unterschätzen die Neugier auf neues Repertoire und das Interesse, zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten kennenzulernen.“ Das Problem liege viel eher an der mangelnden Bereitschaft seitens der Veranstalter, neue Werke in die Konzertprogramme einfließen zu lassen. „Nachdem ein Stück uraufgeführt wurde, wird es höchstens noch ein bis zwei Mal gespielt. So bekommt die Musik nie die Gelegenheit, sich durchzusetzen.“
Dabei sollte zeitgenössisches Repertoire auch im Programm der führenden Orchester Platz haben und nicht nur von einem Ensemble wie dem Klangforum gespielt werden. Lange Zeit hat sich Hartberger für ein Opernhaus der Gegenwart eingesetzt. „In der Staatsoper hat zeitgenössische Oper nur eine Alibifunktion. Dabei sollte sich das Haus dringend zur Musik unserer Zeit bekennen.“
Sein Engagement für die Themen unserer Zeit wird er auch nach seiner Intendanz fortsetzen. Hartberger kann sich vorstellen, politisch aktiv zu werden, eventuell auch für eine Partei. „Ich war im humanistischen Gymnasium, und da lernt man, dass man für die Res publica in einem bestimmten Abschnitt seines Lebens etwas tun soll.“F
„Happiness Machine“ Theater an der Wien, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste, Gartenbaukino, Wiener Konzerthaus,
25.10., 18.30 Uhr; www.klangforum.at