

Gamscarpaccio und Schneemilch
Armin Thurnher in FALTER 50/2011 vom 16.12.2011 (S. 58)
Kochen gegen die Krise: hier ein paar vernünftige Anleitungen, auch als Geschenktipps zu brauchen
Kochbücher! Warum? Erstens gibt es zu viele. Die müssen weg vom Markt. Zweitens ist bald Weihnachten, da kann man sich was schenken, nachdem man das meiste Geld gespendet hat. Drittens war die Kochbuchübersicht im Falter-Bücherherbst lückenhaft; viele Bücher waren noch nicht erschienen; manche erscheinen erst dieser Tage. Hier also ein Nachschlag, zugleich als Vorschlag für kleine oder größere Geschenke.
Wer ist denn da am Werk? Beginnt ein Re-
zept für Roggenbrot so: "Mitte bis Ende September den Pflug einspannen und die Brache pflügen. Frischen Acker abtrocknen lassen. Acker eggen; Acker händisch absteinen
" Am Ende wird geerntet, gemahlen und gebacken. Man merkt, es geht darum, in die Welt der größten, also der einfachsten Genüsse einzutauchen. Autor Werner Meisinger (im Falter regelmäßig
zu lesen) hat wieder ein Kochbuch der Brüder Obauer geschrieben, Vom Kochen auf dem Lande, kongenial ist dafür das richtige Wort. Da wird auch das Einfachste wie eine Würstlsuppe nicht verschmäht, aber natürlich geht's auch inspirierter (wenn vielleicht auch nicht besser), bis hinauf zum Gamscarpaccio. Viele klassische Rezepte, entscheidend verfeinert. Landküche vom Feinstmöglichen eben.
Das Wort kongenial verwendet Lisl Wagner-Bacher bereits im Klappentext, dort stellt sie nämlich ihren Nachfolger und Schwiegersohn Thomas Dorfer vor, in jeder Hinsicht ein Lottosechser, wie sie sagt. Eine eigene Abteilung mit Dorfer-Rezepten macht klar, warum: Fortschrittlich, aber nicht übermodisch kommen seine Gerichte daher. Der Mann ist am Puls der Zeit und verleugnet es nicht: Abteilung das Noma des René Redzepi, das angeblich beste Lokal der Welt. Bachers Abteilung bringt viele Klassiker aus dem Landhaus Bacher in Mautern, ihre Wurzeln liegen bei Witzigmann und Matt. Auch nicht schlecht! Das Buch Landhaus Bacher ist prachtvoll gestaltet, beinahe überprächtig, dass es Luzia Ellert fotografiert hat, wird eher überdezent mitgeteilt.
Nach Salzburg und der Wachau schauen wir zweimal in Tirol vorbei. Schneemilch und Pressknödel heißt ein Buch über Südtiroler Bäuerinnen und ihre Rezepte, hier wird der Fotograf mit dem schönen Namen Frieder Blickle als Koautor geführt. Autorin Isolde von Mersi und er schaffen eine selten in solcher Harmonie erreichte Kombination von Landschaft, Leuten und Gerichten; Blickle, seit langem bekannt aus deutschen Medien, hat eben auch den Fotoreporterblick. Brennnesselknödel und Apfelkiechle, Schlutzkrapfen und Ochsenaugen (hier keine kurdische Leckerei, sondern eine Süßspeise): Was immer man von der eleganteren, südlich inspirierten Südtiroler Bauernküche erwartet, hier bekommt man es.
Irmgard Sitzwohl (früher Novelli, Wien) und Edith Geisler haben sich von einem Tiroler Banker nach Innsbruck locken lassen; dort betreiben sie nun das Lokal mit dem ominösen Namen Sitzwohl. Das Kochbuch, das sie nun präsentieren, bringt einfache, aber durchwegs originelle Gerichte. Ihre Basis sei die österreichische Küche, sagen die beiden, aber sie lassen sich mediterran und asiatisch inspirieren. Klingt nicht besonders aufregend, wird es erst im Detail. Denn die Inventionen der beiden sind witzig und nachkochbar, eine eher seltene Kombination (Oktopusgröstl mit Lauchzwiebel und Kren, Zesty-Martini-Kaltschale mit Satespießchen etc.)
Die Schweizer Journalistin Regula Wolf hat Köche aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein versammelt (den Wahlkärntner Silvio Nickol zum Beispiel, den Liechtensteiner Hubertus Real oder den Bayern Thomas Fesenmair), die 77 Rezepte zum Thema Süßwasserfang liefern. Dazu bringt Wolf Einführungen zu den verschiedenen Zucht- und Fangarten und zu den einzelnen Fischsorten; ein kleiner Zusatzband macht in Schritt-für-Schritt-Bildern mit Techniken z.B. des Filetierens vertraut. Die tadellosen Fotos stammen von Niklas Thiemann.
Vegetarische und vegane Neuerscheinungen häufen sich. Sympathisch, einfach und praktisch kommt, wie der Titel verspricht, Gabriele Kurz' Buch Ganz einfach
vegetarisch daher; eine eigene Abteilung bemüht sich, für festliche Anlässe Eindruck zu machen. Björn Moschinski ist Kopftuchträger und stellt das auf dem Cover und in zahlreichen Illus unmissverständlich klar. Sein Buch Vegan kochen für alle (warum
schreiben sich vegetarische Titel auf dem Titel immer klein?) zeigt ihn unterwegs in Berlin; ein Szenemensch. Seine Kreationen wirken deftig. TV-Koch Nelson Müller hat eine andere Art Appeal: Er ist schwarz. Deswegen heißt sein Buch Meine Rezepte für Body and Soul und hat auch eine CD beigepackt – nicht mit Rezepten, sondern mit Musik. Er macht Hip-Hop. Gott vergibt mir gewiss, dass ich sie nicht angehört habe. Der Mann hat sein Handwerk gelernt, originell ist sein Buch aber nicht.
Am Ende eines Mahls verlangt den Menschen nach Süßem. Gabriele Gugetzer sorgt schon für Teatime vor, die "schönste Stunde des Tages", angeblich erfunden von Anna, der siebenten Herzogin von Bedford, Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieses very British daherkommende Büchlein serviert nicht nur süße Näschereien an englischem Nippes, sondern auch Sandwiches und Dinge wie Pork Pie oder indische Mini-Lammburger. Nett! – Veronique Witzigmann, ja genau, die Tochter, zeigt in Mein Backbuch ihre Lieblingsrezepte für Kuchen, Torte und Gebäck. Ja, und vom Herrn Papa hat sie das Rezept für die Linzertorte geklaut, interessanterweise nicht mit Ribisel-, sondern mit Preiselbeermarmelade. Nichts, was man nicht nachbacken möchte.
Kluge, feine Geschenkempfehlungen stellen stets die kulinarischen Bücher des Mandelbaum-Verlags dar. Längst haben sich die sparsam und schwarz-weiß illustrierten Leinenbände zu einer stattlichen und gourmet-kulturgeschichtlich instruktiven Serie ausgewachsen. Nathalie Pernstich-Amend und Konrad Pernstich vertiefen unsere Kenntnisse über den Pfeffer als Macht- und Lustdroge, die Ethnologin Amélie Schenk – sie hat zahlreiche Bücher über das Land publiziert – nimmt uns in Königshuhn & Stutenmilch auf eine Reise durch die Kochtöpfe der Mongolei, aber auch durch die Mongolei selbst und ihre fremden Gebräuche.