Schäm dich!

Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist
224 Seiten, Taschenbuch
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ISBN 9783864892127
Erscheinungsdatum 29.03.2021
Genre Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Verlag Westend
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Kurzbeschreibung des Verlags

Judith Sevinç Basad empört sich – und stemmt sich vehement gegen die sich aufgeklärt wähnende Meinungsmache, gegen Denkverbote und Unschärfen in den Argumenten einer selbsternannten kulturellen Elite. Ist es denn, genau betrachtet, wirklich so, dass die „Privilegierten“ den sozialen Aufstieg von Migrantenkindern verhindern? Kann nur eine Frau wissen, wie man Politik für Frauen macht? Ist „MeToo“ eine durchgängig lautere Bewegung? Ist es im Kampf gegen Rassismus mit der Entmachtung des „alten weißen Mannes“ getan? Tatsächlich wird es fast schon modisch, dass man Andersdenkenden ein „Schäm dich“ zuruft und ihnen damit den Mund verbietet.

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FALTER-Rezension

Twittern gegen Woke

Daniela Krenn in FALTER 14/2023 vom 05.04.2023 (S. 20)

"Wenn Leute einmal mit diesem woken Quatsch anfangen, geht alles Gute an ihnen zugrunde." Da ist sich die Journalistin Judith Sevinç Basad sicher.
Auch die Buchautorin Anna Schneider kritisiert die "Woken". Dass im öffentlichrechtlichen Fernsehsender ARD ein Moderator behaupte, aus der Ukraine geflüchtete Afrikaner seien benachteiligt, findet sie lächerlich und twittert: "Falls noch jemand fragt, wohin genau wokes Gelaber von weißen Privilegien führt." Aber wer sind die Woken, und warum sind sie das Feindbild der beiden Frauen?

Twitter ist eine Welt für sich. Die Debatten auf dem Nachrichtendienst berühren allzu oft niemanden außerhalb der Bubble. Aber immer öfter schwappen sie auf klassische Medien und die Politik über. Ein Beispiel dafür ist der Kampf gegen die vermeintlich "woke" Gesellschaft. Neben einigen älteren, meist männlichen Anführern führen diesen Krieg auch Frauen mit großer Reichweite: Judith Sevinç Basad, die gerade beim Medium des freigesetzten ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt arbeitet, und die Welt-Journalistin Anna Schneider. Viele auf Twitter stellen sie aufgrund ihrer Tweets ins rechte Eck. Aber dort wollen beide nicht sein.

Ganz im Gegenteil: Schneider sei "brutal liberal", wie sie in ihrem kürzlich erschienenen Buch behauptet. Und Basad will eigentlich linke Positionen vertreten, aufzeigen, wer benachteiligt sei, wie etwa das Pflegepersonal, sagt sie zum Falter. Also tweeten sie gegen den Rundfunkbeitrag für öffentlich-rechtliche Medien (Schneider), gegen die Letzte Generation (Schneider), gegen den Weltfrauentag als Kampftag (Schneider, Basad) und Trans-Frauen als Frauen (Basad). Und dazwischen immer: gegen die "woken" Missionare. Damit erreichen sie tausende Menschen täglich. Basad hat knapp 40.000 Follower, Schneider über 80.000.

Ob es etwa ein negativer Artikel werde, fragt Basad am Telefon. Spätestens seit dem Wechsel zu Julian Reichelts Plattform kennt sie Kritik zu ihrer Person zur Genüge. Zuvor war sie bei der NZZ, dann bei der Bild, schrieb über Politik, hohe Spritpreise, Sex im Spanienurlaub. Und dann immer öfter über woke Leute. Die "umstrittene Bewegung" würde in Deutschland überhandnehmen. Einen Artikel über die angebliche "Indoktrinierung" von Kindern mit "Transgender-Ideologie" wollte ihr Chef bei Bild nicht veröffentlichen, weil er ihn "unterirdisch" fand. Basad kündigte. Für sie war klar: Sogar die Bild ist vor den "Woken" eingeknickt.

Der Begriff "woke" stammt aus den USA, dort ist der Kulturkampf um "Wokeness" längst entbrannt. Er ist eigentlich ziemlich undefiniert, bedeutet so viel wie "erwacht" und setzte sich parallel zum Aufstieg der Black-Lives-Matter-Bewegung durch. Schwarze Menschen, so der Tenor der Bürgerrechtler, seien mit mehr Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen konfrontiert als Weiße. Mit dem Hashtag #staywoke twitterten etwa Menschen im August 2014 von einem weißen Polizisten, der einen unbewaffneten schwarzen Jugendlichen erschoss. "Woke" bedeutete hier, darauf aufmerksam zu machen, dass in den USA mehr schwarze als weiße Menschen Opfer von Polizeigewalt sind.

Mittlerweile hat der Begriff den Mainstream erreicht. Vor allem, weil die amerikanischen Neu-Rechten und Konservativen Wokeness zum Symbol einer abgehobenen Elite werden ließen, gegen die es zu kämpfen gilt. Hier die gebildete Oberschicht, die sich in detailverliebte Sprachdebatten verstrickt; dort das bodenständige Volk, das sich um die wahren Alltagsprobleme sorgt. Einer, der sich in diesem Kampf als Anführer positioniert, ist Floridas Gouverneur Ron DeSantis von der Republikanischen Partei.

DeSantis hat in Florida den "Stop Woke Act" eingeführt. An Floridas Schulen dürfen Lehrer mit ihren Schülern nicht mehr über Geschlecht, Identität oder Sexualität sprechen. An Floridas größter Universität wurde ein neuer Leistungskurs zur afroamerikanischen Geschichte, Literatur, Politik und Wissenschaft ausgesetzt. Ein US-Bezirksgericht erließ eine einstweilige Verfügung gegen das Anti-Wokeness-Gesetz, weil es gegen die Verfassung verstoße. Für DeSantis ein Grund mehr, sich in seiner Meinung bestätigt zu fühlen, wie weit die Wokeness in entscheidende Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vorgedrungen sei - ähnlich wie Basad es bei der Bild deutet, weil sie ihren Artikel nicht veröffentlichen konnte.

Auch für Basad ist Anti-Wokeness zu ihrem Lebensthema geworden. Auslöser sind die sogenannten "Social Justice Warriors", wie Basad sie in ihrem Buch nennt. Sie gehen davon aus, dass Rassismus strukturell verankert sei. Aber Basads Kritik richtet sich mittlerweile gegen alles, was von vermeintlichen Besserwissern ausgeht. Jenen, die versuchen, die Gesellschaft zu infiltrieren, sei es über Gendern oder Quoten. Sie wolle lieber auf "echte Probleme" hinweisen, wie sie sagt. Mit dieser Haltung punktet sie bei Neu-Rechten bis Konservativen. Wann sie das letzte Mal über Benachteiligung von Pflegepersonal geschrieben habe, wenn es eigentlich das ist, was ihr am Herzen liegt? Da muss sie selbst nachdenken. Ihre radikale Haltung verwundert auch, denn Basad schreibt, sie sei selbst Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie, habe selbst Ausgrenzung erlebt. Sie beharrt aber: "Ich habe mich nie als Opfer gesehen." Sie sieht, dass Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund benachteiligt sind, liefert aber keine Lösungen.

Die Welt-Journalistin Anna Schneider argumentiert ähnlich. Die gebürtige Kärntnerin arbeitete zuvor bei Addendum des Red-Bull-Konzerns, davor ebenfalls bei der NZZ. Eine Zeitlang war sie bei den Neos. Schneider weiß, dass sie mit ihren Themen polarisiert. "Ich möchte nicht erwartbar sein", sagt sie auf Frage des Falter, wo ihre journalistischen Themen liegen. Sie wisse, dass ihre Follower eher konservativ und rechts eingestellt seien, aber sie "halte nichts von Kontaktschuld". Twitter sei ihr "zu woke". Weil ihr allzu oft die Gegenmeinung auf Twitter und in den Medien fehle, schreibe sie diese gern auf. Auch wenn das das Gegenteil von dem bedeutet, was etwa die Zeit, die Süddeutsche oder der öffentlichrechtliche Rundfunk berichten. Was nach einer kritischen Grundhaltung klingt, entfernt sich jedoch auch einmal gerne von den Fakten. Dass es zu dem von ihr als "woke" eingestuften Beitrag um schwarze Geflüchtete Beweise gab, wonach die Polizei an den ukrainischen Grenzen Schwarze vermehrt aufhielt, war nebensächlich.

Es geht wohl auch um Provokation, Aufregung als Kalkül, die Selbstinszenierung als Opfer einer "woken Mehrheitsgesellschaft" und des medialen Establishments. Auf Twitter findet sich ein gemeinsames Foto der zwei Journalistinnen, Basad hat es gepostet, sie schreibt darüber: "rechte" Enfants terribles. Die beiden sind Freundinnen, wie Schneider gegenüber dem Falter offenlegt. Wohl auch deswegen, weil sie zusammen stärker sind. Denn im Kampf für Freiheit und gegen eine woke Gesellschaft finden sich wenige Frauen im deutschsprachigen Raum, zumindest kaum welche, die eine vergleichbare Reichweite wie Basad oder Schneider hätten.

Basad sagt, sie nutze Twitter, um ihre Arbeit zu promoten, tatsächlich finden sich auf ihrer Timeline hauptsächlich Tweets, in denen sie "Trans-Aktivisten" kritisiert. Es wirkt, als würde sie überall nur Totalitarismus von woken Personen verorten - von staatlichen Einrichtungen über Universitäten bis hin zu linken politischen Parteien. Und das sei gefährlich.

Doch wie sieht die Realität aus? In den USA verschärfen Bundesstaaten gerade der Reihe nach ihre Gesetze zur Gleichstellung oder gegen Trans-Personen. Und auch immer mehr deutsche Politiker beginnen damit, den Kampf gegen die "woke" Bewegung zu übernehmen. In Österreich importierte die FPÖ den Trend als Erste, in einschlägigen rechtsextremen Medien existierte er schon davor. Aber nicht nur Rechtsextreme und Rechtspopulisten springen auf, auch konservative Parteien. In Deutschland die CDU, in Österreich die ÖVP.

Der Kampf gegen "Wokeness" ist damit kein Twitter-Phänomen mehr, sondern hat den politischen Wahlkampf erreicht. Dort löst das Modewort "woke" die Political Correctness ab und stellt sich dem "linken Tugendterror" entgegen, der überall Sexismus und Rassismus wittert.

Ob der Zwang zum Gendern oder die um sich greifende Cancel Culture, kein Thema lassen bestimmte Politiker aus, um vor "woke" zu warnen. Wenn etwa Wiens Parteichef Dominik Nepp von "Sexualisierungspropaganda" spricht, bei der Kinder "zu einer sexuellen Orientierung gedrängt werden", weil Trans-Personen aus Kinderbüchern vorlesen. Oder CSU-Chef Markus Söder: "Wir wollen Polizisten auf der Straße, aber keine Sprachpolizei im Bierzelt." Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz warnt vor der woken Cancel Culture und stuft sie gar als "größte Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland" ein. Wie Basad. Mit Schneider füllt sie somit auch eine Marktlücke im deutschen Journalismus. Die beiden werden in Talkshows eingeladen, etwa wenn es um Meinungsfreiheit oder Corona-Politik geht.

Basad regte sich erst vor wenigen Tagen auf Twitter darüber auf, dass ihre Mutter, die schlecht atmen könne, im Krankenhaus Maske tragen musste. "Ich will in diesem Land nicht mehr leben", beschließt sie den Tweet. Und Schneider kritisiert am 1. April, dass die wichtigste deutsche Informationssendung, die Tagesschau, "entbindende Person" statt Mutter schreibt. Die Redaktion änderte den Begriff, auch weil er andere Leser verwirrte. Wokeness gegen Anti-Wokeness emotionalisiert. Haben es vermeintlich woke Aktivisten, also jene, die Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten aufzeigen, übertrieben? Gewichten sie manche Themen zu sehr, andere zu wenig? Manche sicher. Aber auch Journalistinnen wie Basad oder Schneider führen diese Debatte längst nicht mehr auf sachlichem Niveau. Sie heizen sie an.

In dieser Rezension ebenfalls besprochen:

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Die Verteidiger der Gerechtigkeit sind selbstgerecht

Andreas Kremla in FALTER 30/2021 vom 28.07.2021 (S. 30)

Null Toleranz bei Diskriminierung und Unterdrückung! Darauf können sich viele einigen. Doch der Kampf für soziale Gerechtigkeit geht weit darüber hinaus. Menschen sollten sich ihrer Privilegien stets bewusst sein – und vor allem als weiße Männer dafür schämen.

Judith Sevinç Basad macht deutlich, was sie von derlei verordneten Empfindungen und den zugehörigen Forschungsansätzen „Critical Whiteness“ oder „White Fragility“ hält: „Im Zentrum dieser neuen Disziplinen steht nicht mehr der Anspruch aufzuzeigen, wie die Welt ist, sondern wie die Welt zu sein hat.“ Dogmatisch forderten die Beteiligten, dass sich die Gesellschaft ihrer Ideologie unterwerfe.

Die junge Autorin hat sich schon mehrfach um eine Versachlichung des emotional aufgeheizten Diskurses verdient gemacht. Ihr Germanistik- und Philosophiestudium schloss sie mit einer Arbeit über totalitäre Tendenzen in der queerfeministischen Bewegung ab. In einer Berliner Moschee bemühte sie sich um einen geschlechtergerechten und liberalen Islam. Ihre journalistischen Beiträge finden sich unter anderem in der Welt, der FAZ und der NZZ und in ihrer Online-Kolumne „Triggerwarnung“ im Cicero.

Auf ihrer Suche nach sozialer Gerechtigkeit lässt sich Sevinç Basad nicht irreführen von den Ansprüchen anderer, was man zu sehen, zu fühlen oder zu sagen habe, um korrekt oder „woke“ zu sein. Lautstark wehrt sie sich dagegen, dass alle, die ähnlich aussehen wie einige tatsächliche Unterdrücker, am Pranger stehen sollen. Denn damit werden die vorgeblichen Verteidiger der Gleichberechtigung zu deren Angreifern.

So kommt sie zu den tatsächlichen Problemen sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung, denen man auch ohne Verrenkung seiner Hirnwindungen folgen kann. In klaren, mutigen Worten liefert Sevinç Basad damit einen Beitrag, der im Geschwurbel pseudoempathischer Mitleidsbekundungen der Social-Justice-Diskussionen gefehlt hat: zur Suche nach Gerechtigkeit statt nach Schuldigen und zur Re-Implementierung des Hausverstands.

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