

Verschifft, verheiratet, verloren
Sigrid Löffler in FALTER 33/2012 vom 17.08.2012 (S. 26)
In "Wovon wir träumten" erzählt Julie Otsuka vom bitteren Schicksal jener japanischen Katalogbräute, die nach 1919 in die USA gelockt wurden
Einige von uns auf dem Schiff kamen aus Kyōto und waren zierlich und hübsch und hatten ihr gesamtes Leben in abgedunkelten Hinterhofzimmern gewohnt. Einige von uns kamen aus Nara und beteten dreimal täglich zu ihren Vorfahren. Einige von uns waren Bauerntöchter aus Yamaguchi, mit kräftigen Handgelenken und breiten Schultern. Einige von uns kamen aus einem kleinen Bergdorf in Yamanashi und hatten erst kürzlich ihren ersten Zug gesehen. Einige von uns kamen aus Tokio und hatten schon alles gesehen und sprachen ein wunderschönes Japanisch. Viele von uns kamen aus Kagoshima und sprachen einen breiten Süddialekt. Die Jüngste von uns war zwölf und hatte noch nicht einmal die Regel."
Das ist der Sound von Julie Otsukas Buch "Wovon wir träumten". Sie nennt es einen Roman, doch genau genommen ist es eine penibel recherchierte historische Dokumentation, die sich einer ganz eigentümlichen literarischen Form bedient, um ihr Material zu ordnen und zum Sprechen zu bringen. Otsuka, die US-Autorin japanischer Herkunft, verwendet als Erzählstimme durchgehend die erste Person Plural. Es spricht ein kollektives Wir – das Wir japanischer Frauen und Mädchen, die nach 1919 als Katalogbräute in die USA kamen, um in Kalifornien japanische Einwanderer zu heiraten, die sie nur von Fotos kannten. Sie erhofften sich ein besseres Leben, doch sie sahen sich von Anfang an systematisch betrogen.
Schon die Fotografien waren Betrug. Die japanischen Männer, die die "picture brides" in San Francisco von den Einwandererschiffen abholten, waren nicht die versprochenen erfolgreichen Neu-Amerikaner auf den Bildern, sondern arme Migranten, die weibliche Gratisarbeitskräfte benötigten, um das harte Leben in den USA bestehen zu können. Statt eines besseren Lebens erwartete die Frauen die Plackerei auf Gemüsefeldern und Obstplantagen oder in den Küchen der Barackenlager, sofern sie nicht in den Haushalten weißer Mittelstandsamerikaner landeten, denen sie als arbeitsame und bedürfnislose Haussklavinnen zupasskamen.
Auch das amerikanische Versprechen von Aufstieg und Wohlstand erwies sich als Falle: Am Schicksal der japanischen Zuwanderer in Kalifornien lässt sich eine gern verschwiegene und verdrängte Facette des amerikanischen Rassismus studieren, der sich nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 zur offenen Feindseligkeit gegen "enemy aliens" steigerte. Die armen Immigranten galten jetzt als Landesfeinde und potenzielle Verräter, denen man jeden Sabotageakt zutraute. Schließlich wurden etwa 120.000 Japaner per Regierungsdekret enteignet, ins Landesinnere deportiert und in Anhaltelagern in unwirtlichen Regionen zwangsinterniert.
Julie Otsuka erzählt dieses wenig bekannte Kapitel amerikanischer Fremdenfeindlichkeit strikt aus der Perspektive des japanischen Frauenkollektivs. Indem sie dieses Wir in unzählige Einzelstimmen auffächert, die jeweils für ein, zwei prägnante Sätze individuell hörbar aus dem Gesamtchor hervortreten, gelingt der Autorin eine facettenreiche, detailgesättigte Gesamtdarstellung der japanischen Immigration zwischen den Weltkriegen. Jeder Abschnitt widmet sich einem Aspekt des Lebens der Zuwandererfrauen – von den vielfältigen Schocks der Bräute in der "Ersten Nacht", beim physischen Vollzug der Ehe mit den fremden Männern, über die Schufterei in niedrigen Jobs, die Schwangerschaften und Geburten bis hin zum Ghettodasein in "J-Town" und zum völligen Zusammenbruch der prekären Koexistenz von Zuwanderern und weißen Kaliforniern nach Pearl Harbor.
Für das kollektive Wir der Frauen gibt es viele gegnerische "sie", gegen die es sich abzugrenzen gilt, nicht nur die voreingenommenen, ablehnenden und zuletzt gehässigen weißen Amerikaner. "Sie" – das sind auch die fremden Ehemänner und dann die eigenen Kinder, die sich amerikanisieren, ihren Eltern entfremden und für den Akzent ihrer Mütter schämen.
Schrittweise vollzieht sich die Entfremdung zwischen den Ethnien. Präzise zeichnet Julie Otsuka die einzelnen Stufen der Ausgrenzung, Isolierung und bürokratischen Entrechtung der japanischen Minderheit nach, ebenso die Ungläubigkeit und zunehmende Angst und Verstörung der Japaner, bis diese tatsächlich enteignet und deportiert werden, während sich die weiße Mehrheitsbevölkerung deren Besitz aneignet und die leerstehenden Häuser plündert. Deutschsprachige Leser werden bei dieser Schilderung von Rassen- und Fremdenhass ihre eigenen naheliegenden Assoziationen entwickeln.
Im letzten Kapitel "Ein Verschwinden" spricht plötzlich ein anderes Wir: Jetzt sind es die weißen Amerikaner, die über die verschwundenen Japaner sprechen. Nicht ganz unerwartet schwankt der Tonfall zwischen Verdrängen, Verleugnen, Verharmlosen, Schönreden, vorgeblicher Ahnungslosigkeit und vagem Schuldbewusstsein. Auch das wird deutschsprachigen Lesern bekannt vorkommen. "Die Japaner haben uns verlassen, und wir haben keine Ahnung, wo sie sind. Wir beginnen unsere alten Nachbarn zu vermissen, die stillen Japaner."
Einem Bürgermeister legt Julie Otsuka lauter Beruhigungsfloskeln in den Mund: "Die Japaner sind freiwillig gegangen, sagt er, und ohne Groll, auf Bitte des Präsidenten. Sie sind bester Stimmung. Ihre Umsiedlung verläuft nach Plan. Wir sind jetzt Teil der Kriegsfront, und wir müssen alles tun, um das Land zu verteidigen." Diese Rede müsste wiederum Amerikanern bekannt vorkommen. Julie Otsuka hat die Passage wortwörtlich einer Rede des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld vom 12. Oktober 2001 entnommen.
So subtil kann politische Aufklärung funktionieren.