

Elvis hat ausnahmsweise einmal Sendepause
Sebastian Fasthuber in FALTER 11/2014 vom 14.03.2014 (S. 41)
Pop: Karl Bruckmaier trägt seine Popgeschichte(n) so vor, als würde man einem Radionachtprogramm lauschen
Alles begann in Córdoba. Nicht bei den ersten Aufnahmesessions von Elvis Presley, nicht bei den Gesängen der nach Amerika verschleppten afrikanischen Sklaven und auch nicht in Afrika selbst lässt Karl Bruckmaier (Jg. 1956) seine Version der Popgeschichte einsetzen, sondern im Jahr 822 in Spanien.
Damals brachte Ziryab, ein schwarzer Sänger aus Bagdad, mit seiner persisch-indischen Musik den Kalifen von Córdoba so sehr um den Verstand, dass ihm dieser einen eigenen Zugang zu seinem königlichen Gemächern errichten ließ. Ziryab soll über zehntausend Lieder beherrscht haben, seine "Vorstellung von Musik wird Grundlage sowohl für die Musik Nordafrikas wie auch für die klagenden Gesänge Spaniens und Portugals".
Kann man das so machen? Man kann. Denn hier geht es nicht um eine verbindliche, auf Daten und Fakten ausgerichtete Popgeschichtsschreibung und schon gar nicht darum, sich in den universitären Popdiskurs einzugliedern.
Der Mann, der seit 35 Jahren für den Bayerischen Rundfunk Sendungen gestaltet und auch schon fast so lang die Süddeutsche Zeitung mit Texten beliefert (und auch als Hörspielregisseur aufhorchen hat lassen), singt die Geschichte des Pop lieber in seinem ganz eigenen Ton.
Im Konzert der Popschreiber hat er schon öfter bewiesen, über eine unverkennbare Stimme zu verfügen. Sein erstes Buch trug den schönen Titel "I'm only in it for the Zeilenhonorar" (1993), in seinem zweiten – "Soundcheck: die 101 wichtigsten Platten der Popgeschichte" (1999) – überraschte er mit einem streitbaren ("Country Life", das beste Roxy-Music-Album?), aber auch erfrischend anderen Kanon.
Das neue Buch eröffnet er mit einer starken Ab- wie Ansage: Die Geschichte der Popmusik setze sich nicht zusammen aus dem Wissen, "wer 1972 bei Jethro Tull Bass gespielt und wer wann die erste House-Maxi veröffentlicht hat. Die Geschichte der Popmusik stellt für mich ein seit Jahrhunderten aufgeführtes Drama dar, das uns von einem bestimmten Typus Mensch erzählt, von seinen Lebensumständen, von seinen Träumen, von seinen politischen Ansichten und von seinen Unzulänglichkeiten."
Pop ist immer auch das, was man nicht ist, aber gerne wäre: Zwei korrespondierende Zitate sind dem Buch vorangestellt. "I wanna be black", sang einst Lou Reed. "I wanna be white", wird Miles Davis zugeschrieben. Einem vergleichbaren Impuls mag der Glamrock entsprungen sein, als sich gestandene Rockmusiker plötzlich schminkten oder mit Federboa auftraten.
Oder man denke an die Minstrel-Shows, als sich Weiße zu "Blackfaces" schminkten und die Afroamerikaner nachäfften: "Deren breiter Fake-Plantagen-Akzent wird ähnlich schnell zum Signum für die Realität des schwarzen Südens, wie bei uns vielleicht der Türkensprech von Erkan & Stefan als Kommunikationsstandard türkischstämmiger Jugendlicher angesehen und imitiert wird. Schon nach kurzer Zeit weiß keiner mehr, was echt und was Parodie ist (
), übrigens eines der Kennzeichen von Pop."
"The Story of Pop" erzählt nicht eine, sondern viele Geschichten. Bruckmaier trägt sie so vor, als würde man einem Radionachtprogramm lauschen. Man erfährt dabei von Louis Moreau Gottschalk (1829–1869), der als Pianist und Orchesterleader der Popstar seiner Zeit war, oder von Bert Williams (1874–1922), dem ersten schwarzen Popstar. Man staunt darüber, dass in New Orleans bereits 1819 von Rock die Rede war. "Am heiligen Sabbath", zitiert Bruckmaier einen Brief, "treffen sich die afrikanischen Sklaven auf einer Lichtung unten am Sumpf und rocken die Stadt mit ihrem Kongo-Getanze!"
Man lernt, dass sich Funk ableitet von lo-fuki aus einer Bantu-Sprache, das starker Körpergeruch, aber auch spirituelle Stärke bedeutet. "Die Sklaven, die noch in der Neuen Welt ankamen, waren notgedrungen alle ziemlich funky." Dazwischen wird die Schallplatte erfunden und die musikalische Sozialisation des Autors gestreift. Dieser schüttet ein Füllhorn an Informationen und Geschichten aus, verwoben in eine Art verschriftlichten Talking Blues.
Der Großteil des Reigens, der dann doch irgendwann in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ankommt, spielt natürlich in Amerika, "gerade weil sich Amerika zum wiederholten Male selbst verliert, verirrt, weil es vergessen zu haben scheint, dass es am meisten bei sich ist, wenn es außer sich gerät". Außer sich geraten: Das wäre auch eine angemessene Rezeptionshaltung gegenüber "The Story of Pop".