

Ein Drehbuch fürs gemeinsame Gestalten
Verena Ringler in FALTER 46/2023 vom 17.11.2023 (S. 28)
Wie werden wir klimaneutral? Eine Woche Prozessarbeit mit österreichischen Architekten, Investoren, Ministerialbeamten. Treffen bei der Frankfurter Buchmesse. Wochenenden in Berlin, wo Jascha Rohr den vom Deutschen Bundestag eingesetzten Bürgerrat "Ernährung" anleitet: Rohr verbringt dieser Tage viel Zeit im Zug.
Der Philosoph und Soziologe entwirft und leitet Prozesse der Partizipation und gemeinschaftlichen Lö sungsfindung, ob im Dorfgasthaus oder unter der Kuppel des Berliner Reichstags. Seine Erfahrungen und die parallele erkenntnistheoretische Suche hat er in seinem ersten Buch zusammengefasst: "Die große Kokreation" ist eine "Werkstatt für alle, die nicht mehr untergehen wollen".
Von Mehrwert und, ja, Zauber der Lösungsfindung in Gruppen überzeugt Rohr selbst jene, die Sitzkreise und Wände voller bunter Post-its skeptisch beäugen: "Wir versetzen Laien ein Stück weit in die Lage von Expertinnen" und "entwerfen miteinander Modelle, Quartiere oder Gesetze". Das funktioniere deshalb, weil jede Person neben ihrer beruflichen Funktion eine Fülle von persönlichen Ideen, Werten und Kompetenzen einbringe.
Rohr verankert sein Werkstattbuch solide in der zeitgenössischen Gesellschafts-und Ökologiephilosophie. Er schöpft aus den Werken der Historikerin Donna Haraway, der Biologin Rachel Carson und des Anthropologen David Graeber. Er verklärt ko-kreative Verfahren nicht, sondern zerlegt sie kühl in ihre Einzelteile. Vor einem Wendepunkt lauert etwa oft ein scheinbarer Kollaps des Gruppenprozesses. Im Nachhinein stellt sich dieser so gut wie immer als notwendig heraus. Szene aus einem Prozess zum Thema Bildung: "Nach vier Tagen intensiver Arbeit begriffen wir, dass wir einen gravierenden Fehler gemacht hatten. [...] Das fiel nicht nur uns auf, sondern auch unseren Auftraggebern und dem Schulamt. [] Wir hatten in dieser Nacht eine furchtbare Krise." Tags darauf dann: der Durchbruch.