

Ich schreibe mir jetzt mein Leben zurück
Sibylle Hamann in FALTER 38/2012 vom 21.09.2012 (S. 21)
Wenn prominente Frauen zu sexuellen Fantasieobjekten
werden: Bettina Wulff, Karina Sarkissova und ihre Biografien
Im Leben Prominenter gibt es Momente, in denen die Öffentlichkeit Besitzansprüche anmeldet. Wildfremde Menschen haben eine Meinung zu höchstpersönlichen Bereichen wie Essgewohnheiten und Freizeitgestaltung. Bei Frauen, attraktiven zumal, schließen diese Besitzansprüche beinahe immer Körper und Sexualität mit ein. Was sie wohl schon alles gemacht hat, mit wem? Wie es wohl wäre mit der? Und könnte sie nicht ein bisserl mehr Busen zeigen, damit man es sich besser vorstellen kann?
Manche Frauen meinen, diesen Mechanismus kontrollieren zu können: Man wirft dem Publikum zur Appetitanregung ein paar Häppchen zu, steigert so die Popularität und sagt rechtzeitig Stopp. Karina Sarkissova etwa, Jurorin bei der "Großen Chance", ließ sich für Penthouse fotografieren, dann gab sie einem Biografen Einblick in ihr Intimleben ("Ich bin bisexuell"). Doch noch ehe das Buch auf dem Markt ist, muss sie feststellen, dass die Taktik nicht aufgeht. In den Illustrierten wird sie bloß noch als notgeiles Sexluder dargestellt, vor der Tür lauern die Stalker. Denn mit Appetithäppchen gibt sich das Publikum nie zufrieden; es kriegt dabei erst richtig Hunger.
Bettina Wulff, die Gattin des im Jänner zurückgetretenen deutschen Bundespräsidenten, hat Ähnliches erlebt. Monatelang wurde sie verfolgt von verleumderischen, voyeuristischen Gerüchten, sie habe ein Vorleben als Prostituierte. Auch sie hat eben ihre Autobiografie auf den Markt geworfen, mit dem umgekehrten Ziel jedoch: Mit dem Buch will sie sich die Kontrolle über ihre Biografie zurückholen.
Bettina Wulff war die jüngste First Lady der Bundesrepublik. Blond, berufstätig, großgewachsen, ein Tattoo auf dem rechten Oberarm. Alles ging sehr schnell: die Begeisterung beim Amtsantritt; bald Häme und bösartiges Getuschel; der wachsende Mediendruck wegen (nach österreichischen Korruptionsstandards geringfügigen) Ungereimtheiten beim Hauskauf, Urlaubsreisen und Geschenkannahmen; schließlich der demütigende Moment des Rücktritts.
Verletzt, aber nicht verbittert
"Jenseits des Protokolls" ist kein literarisches Meisterwerk, eher Teil eines therapeutischen Prozesses: ein Versuch, sich die Interpretationshoheit über die eigenen Erlebnisse zurückzuerobern.
Wir erfahren, dass es in der Küche der Präsidentenvilla keinen richtigen Herd gab (weil Kochen dort bisher nicht vorgesehen war). Dass eine First Lady mit der Aufgabe, Staatsbankette und Kindergartenöffnungszeiten unter einen Hut zu bringen, alleingelassen wird. Wir ahnen, wie es ist, wenn man, geplagt von Magenschmerzen, mit Michelle Obama plaudern muss – aber nicht, was man will, sondern was das Protokoll und die Spickzettel der Referenten einem vorschreiben. Immer funktionieren, unter Beobachtung stehen, das eigene Leben ad acta legen, alles natürlich unbezahlt: Eigentlich ist das ein unzumutbarer Job, mit einem modernen Frauenbild unvereinbar.
Wie Wulff das alles erzählt, klingt es schlicht, uneitel und ehrlich; verletzt, aber nicht verbittert. Man schaut einer Frau dabei zu, wie sie beschließt, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. 38 Klagen hat Bettina Wulff eingebracht – gegen Blogger, die die Rotlichtgerüchte in die Welt setzten, gegen Zeitungen und Starmoderator Günther Jauch, die sie aufgegriffen hatten.
Auf dem Cover sieht Wulff aus, als habe sie eben noch geheult. Aber sie hat Grenzen gesetzt, zumindest im Nachhinein. Karina Sarkissova sollte dieses Buch lesen.