

Im Kleinen, nein, im Kauzigen liegt das Glück
Julia Kospach in FALTER 11/2012 vom 16.03.2012 (S. 45)
Kulturgeschichte: Der Meister des Abseitigen, Fredrik Sjöberg, folgt den Spuren des Nationalparkmalers Gunnar Widforss
Es steht zu vermuten, dass es sich bei Fredrik Sjöberg um einen hochempfindlichen Charakter handelt, der sich auch deswegen so gern an der Peripherie herumtreibt, weil ihn in der Hektik des Zentrums schnell Panik befällt. Denn dort muss man nicht, wie es Sjöberg in einem anderen Zusammenhang so schön formuliert, "wie ein Champagnerkorken in der Hauptfahrrinne" voranschnellen und kann mit mehr Muße seinen Eigenheiten und Spezialinteressen frönen, die sich dann aber trotzdem hervorragend in großartige Geschichten umwandeln lassen. Für solche Geschichten ist der schwedische Schriftsteller, Jahrgang 1958, Experte. In ihnen liegt viel Trost.
Wenn Sjöberg etwa angesichts eines Abgrunds Schwindelgefühle zu übermannen drohen, kann er sich "bücken, um zu schauen, ob es nicht etwas zu meinen Füßen gibt, etwas so Kleines und Begrenztes, dass man bei der Beschäftigung damit nicht Gefahr läuft, abzustürzen". Anders gesagt: "Den Rand eines Puzzles zu legen ist selten schwer." Gut, der Akt an sich mag nicht schwer sein, aber wie man ihn bewältigt, ist die viel relevantere Frage. Fredrik Sjöberg tut es mit allergrößter Leichtigkeit.
Schon 2008 folgte man ihm bereitwillig und zunehmend hingerissen durch sein Buch "Die Fliegenfalle", in dem es in erster Linie um das Lebensglück geht, das Sjöberg selbst im Sammeln und Jagen von Schwebfliegen findet. Schwebfliegen! Danach, 2011, folgte das Buch "Der Rosinenkönig", für das sich Sjöberg an die Fersen des vergessenen schwedischen Zoologen und Tausendsassas Gustav Eisen (1847–1940) heftete.
Auch er ein Sonderling und Verschrobener, vor allem aber ein besessener, sehr erfolgreicher Sammler – von so disparaten Dingen wie Kompostwürmern, Glasperlen oder Maya-Textilien. Beide Bücher verbanden kuriose erzählerische Umwege und Fundstücke mit Sjöbergs selbstironischem, luftigem und elegantem Ton.
Als Leser geht man mit Sjöberg also, wohin auch immer er will. Und er will immer dorthin, wo es richtig kauzig wird. Dort liegt für ihn das Glück. Mit seinem dritten Buch nun, quasi Teil drei seiner Glückstrilogie, ist das nicht anders.
Es heißt "Die Kunst zu fliehen" und erzählt, so der Untertitel, einmal mehr "Vom Glück, sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken". Sein Held diesmal: der in seiner Heimat Schweden völlig vergessene, aber in den USA zu Ruhm gelangte Aquarellmaler Gunnar Widforss, der es ab 1920 "zu einer Art Hofmaler der Nationalparks" der USA brachte, allen voran Grand Canyon und Yosemite.
Man sagt es äußerst ungern, aber dieses Buch hebt nicht ganz so zauberhaft ab in jenen schlafwandlerisch sicheren Schwebflug, der die ersten beiden Bücher Sjöbergs auszeichnete. Das liegt ziemlich sicher nicht an ihm. Eher an dem Protagonisten, der, abgesehen von seinen wundervollen Malereien, als Person recht wenig hergibt. Ein Verdacht, der übrigens auch Sjöberg selbst beschleicht, wenn er sich einmal die bange Frage stellt, ob er da nicht einfach "Hals über Kopf ins Haus eines waschechten Verlierers" gefallen ist.
Verlierer geben für die Literatur grundsätzlich gute Charaktere ab. Dieser nicht. Darum war er auch nur Sjöbergs zweite Wahl. Auf die erste Wahl hatten sich schon andere Biografen draufgesetzt. Irgendwie merkt man das dem Buch an, obwohl sich Sjöberg alle nur erdenkliche Mühe gibt, aus Widforss eine farbige Figur zu machen.
Was "Die Kunst zu fliehen" lesenswert macht, sind wie immer Sjöbergs Abwege: Da erfährt man, warum die schwedische Textilkette Hennes & Mauritz heißt, wie sie heißt, dass es zwischen 1930 und 1933 in den USA eine fantastische, wenn auch äußerst kurzlebige Hochblüte des Puzzlespielens gab, dass der Kaugummimagnat Wrigley die Musikreklame im Radio und damit den Jingle erfand oder dass die USA Mitte des 19. Jahrhunderts kurz mit Kameltruppen experimentierten, um den Südwesten ihres Landes zu erschließen.
Natürlich erfährt man auch, was und ob das alles etwas mit Gunnar Widforss zu tun hat. All das liest man gern. Als Einsteigerbuch in Sjöbergs hypnotisierende Prosa eignet sich aber seine "Fliegenfalle" oder sein "Rosinenkönig" besser.