

Der Kampf gegen die inneren Party People
Sebastian Fasthuber in FALTER 38/2013 vom 20.09.2013 (S. 36)
In "Magical Mystery" setzt Sven Regener einen alten Bekannten ans Steuer und steigt selbst aufs humoristische Gaspedal
Der Inhalt ist oft auch wurscht", meinte Sven Regener 2008 im Falter-Interview anlässlich seines letzten Romans "Der kleine Bruder".
Da hat er nicht ganz Unrecht, zumindest was die eigenen Bücher anbelangt, die oft dann am besten funktionieren, wenn die Formulierungslust mit dem Erzähler durchgeht und sich dieser selbstvergessen in Schwachsinnsmonologe hineinsteigert, statt sich um die Entwicklung des Plots zu kümmern.
Das liest sich dann – wir schlagen "Magical Mystery" an einer beliebigen Stelle auf – etwa so:
"Aus dem hinteren Teil kam Gelächter und dann drang das erste Bummbumm nach vorne, mal lauter, mal leiser, wahrscheinlich eine Art Soundcheck. Höchste Zeit zu gehen; noch ein paar Minuten länger und ich würde die Bierflasche aufmachen, das war klar, ich merkte schon, wie die Lust, mich an den Tresen zu setzen und das Bier zu trinken und eine zu rauchen und einfach immer weiter sitzen zu bleiben und dabei zu sein, während alle immer lustiger wurden und Scheiße bauten, wie diese Lust also in mir aufstieg und auch gleich von überall die Stimmen mit den hilfreichen Argumenten kamen, die inneren Party People, die sofort loslegten (
)."
Der Satz geht noch eineinhalb Seiten lang weiter, ehe sich der Mann dann doch aufs Nüchternbleiben besinnt. Immerhin hat er einen Auftrag zu erledigen.
In "Magical Mystery" spricht Sven Regener mit der Stimme von Karl "Charlie" Schmidt, den man schon aus dem Erfolgsroman "Herr Lehmann" kennt, mit dem die literarische Karriere des Element-of-Crime-Sängers einst begann. Am Ende dieses Buches, das am Tag des Mauerfalls spielt, wird der junge Künstler in die Psychiatrie eingeliefert. Drogen und Alkohol mögen dazu beigetragen haben, vielleicht hat Karl aber auch die Kunst in den Wahnsinn getrieben.
Fünf Jahre später nun sitzt Karl mit anderen trockenen Alkoholikern und Ex-Junkies in einer WG in Hamburg-Altona und arbeitet nebenher als Hilfshausmeister in einem Heim für verhaltensauffällige Schüler. Eigentlich wirkt er so weit ganz stabil, als er einen Berliner Kumpel aus vergangenen Tagen und einen weiteren alten Bekannten trifft, der inzwischen ein erfolgreiches Technolabel betreibt und Karl anheuern möchte, um seine DJs als Fahrer und Aufpasser auf "Magical Mystery"-Tour durch Deutschland zu begleiten.
Anders als "Der kleine Bruder" verfügt "Magical Mystery" über eine wunderbare Ausgangssituation, die es dem Erzähler ermöglicht, sprachlich und humortechnisch aufs Gas zu steigen. Karl Schmidt, der nüchtern bleiben soll, kutschiert einen Haufen Verpeilter durch die Gegend und versucht dabei auch selbst, die Kontrolle über sein eigenes Leben wiederzuerlangen, was ihm – bei allen Verwicklungen und abstrusen Situationen – auch irgendwie gelingt.
Darin besteht einerseits eine Schwäche des Romans: "Das dunkle Gefühl", das Karl Schmidt in Form von Depressionen oder Trinkgelüsten immer wieder überkommt, ist zwar recht glaubwürdig beschrieben, verfliegt in der Regel aber so schnell, wie es aufgetaucht ist. Karl scheint nie wirklich ernsthaft gefährdet, rückfällig zu werden. Und so ist auch das Happy End nie in Gefahr.
Andererseits ist das auch das Schöne daran: "Magical Mystery" ist ein Feelgood-Roman, dessen Verfasser seine Figuren mit viel Liebe und Sympathie beobachtet, ohne den Technoalltag der 1990er mit den Exzessen und den pharmakologisch befeuerten After-Hour-Gesprächen lächerlich zu machen.
Faszinierend ist die Musikalität der Sprache, das Crescendo der überlangen, parataktisch gebauten Sätze. Regener hat nicht nur den Willen, sondern auch die Fähigkeit zu originellen Formulierungen, sodass man ihm so manche stilistische Kraftmeierei nachsieht. Man hätte schlussendlich sogar gerne noch 100 Seiten mehr gelesen, doch endet das Buch abrupt mit Karls Rückkehr nach Berlin. Fortsetzung? Keineswegs ausgeschlossen.