

Sehr früh, sehr regelmäßig, sehr viel gesoffen
Sebastian Fasthuber in FALTER 20/2014 vom 16.05.2014 (S. 38)
Viele Trinker haben großartige Bücher hinterlassen. In den USA gibt es einen regelrechten Kult um saufende Genies, Websites stellen die Lieblingsgetränke von Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald vor. Nüchtern betrachtet sehen die Dinge allerdings düsterer aus als durchs Cocktailglas: Hemingway erschoss sich, Fitzgerald starb jung an einem Herzinfarkt.
"Schluckspecht" heißt der neue Roman des deutschen Autors Peter Wawerzinek, der 2010 im Alter von 56 Jahren noch den Bachmann-Preis gewann. Warum er erst spät im Literaturbetrieb auftauchte, wird spätestens mit seinem neuen Buch klar – eine zum Teil fiktionalisierte, über weite Strecken aber authentische Schilderung der Alkoholsucht, die ihn fast das Leben gekostet hätte.
Wawerzinek beginnt sehr früh sehr regelmäßig sehr viel zu trinken. Die Eltern eines Schulkollegen sind Mostfabrikanten, die Wochenende verbringt die Clique im Partyhaus, das allein der Berauschung dient. Mit ungemeiner Härte und zugleich poetisch schildert Wawerzinek, wie der Alkohol über viele Jahre – während der er sich mit Gelegenheitsarbeiten als Friedhofsgärtner oder Zugkellner über Wasser hält – sein Leben bestimmt.
Am Anfang machte es noch Spaß: "Man ist beschwipst und die Lippen öffnen sich von selbst, die Lieder fliegen einem nur so aus dem Mund, als wäre der ein Liedernest und das Lied, das man singt, eben erst aus dem Ei geschlüpft. (
) Immer fühle ich mich betrunken leicht und spüre keine Last. Ich wünsche dann, ich lebte in der Luft." Bereits im Internat aber fängt der Erzähler an, seinen Alkoholkonsum zu tarnen. Und schnell ist es mit der Leichtigkeit vorbei, an ihre Stelle tritt die Einsicht: "Alkohol öffnet die Kellerfenster zur Welt."
Auf berührende Weise schildert der aus der ehemaligen DDR stammende Autor in dem Buch auch, wie seine Trinkerei mit seiner Familiengeschichte zusammenhing und wie er es letztlich doch schaffte, dem Alkohol zu entkommen. Wäre er ein Schluckspecht geblieben, wir hätten wohl nie etwas von Wawerzinek gelesen.