
Herr Lehmann und das 16er-Blech
Gerhard Stöger in FALTER 36/2017 vom 06.09.2017 (S. 35)
Sven Regener setzt einmal mehr auf die bewährte Rezeptur, verliert sich aber im Klamauk
Ob der junge Neoberliner aus Bremen nicht mitspielen durfte bei den Genialen Dilletanten, den coolen Kunst- und Musikkids der frühen 1980er? Ob er Ärger mit Österreichern und Hausbesetzern hatte? Ein bisschen liest sich „Wiener Straße“, Sven Regeners für die Longlist des Deutschen Buchpreises nominierter neuer Roman, wie eine späte Rache.
Aber der Reihe nach: Künstlerisch auffällig wurde Regener erstmals um 1982/83 mit der new-wavigen Berliner Jazzfunkgruppe Zatopek, der heute 56-Jährige blies dort das Flügelhorn. Mit Element Of Crime führte er dann verstolperten Kellerrock und plüschiges Barchanson zusammen; der Geheimtipp wuchs mit der Zeit zu einem allseits beliebten mittelständischen Unternehmen.
Seine größten Erfolge aber feierte Regener als Autor: Gleich sein Debüt, „Herr Lehmann“, ein lakonischer Blick ins Berlin knapp vor dem Mauerfall, geriet 2001 zum Bestseller, Kritiker- und Verkaufserfolg gleichermaßen. Das Kreuzberger Biotop des Frank Lehmann speist seitdem die Schriftstellertätigkeit des Urheberrechts-Hardliners. Der neueste Spin-off „Wiener Straße“ ist bereits das vierte Buch um den unscheinbaren Helden, und da wurde „Magical Mystery“ (2013) noch gar nicht mitgezählt, das Lehmanns besten Freund Karl Schmidt auf große Nineties-Technofahrt schickte.
Reich an Ereignissen, aber arm an überraschenden Wendungen geht es nun zurück ins Berlin des ausgehenden Jahres 1980. „Wiener Straße“ leuchtet im Stil einer Soap-Opera hinein in ein Biotop, das von (Lebens-)Künstlern, Punks und Kneipenexistenzen bevölkert wird.
Frank Lehmann bezieht mit Freunden eine noch zu renovierende WG über dem Café Einfall, in dem er einen Putzjob bekommt, während ein paar Häuser weiter die von einem Typen namens P.Immel regierte Exilösterreicher-Hausbesetzerkunstkommune
ArschArt den Schein des Rebellischen zu wahren und ihre Austro-Roots zu verschleiern trachtet. In weiteren Rollen: ein zynischer junger Fernsehmacher, die postpubertäre Nichte des „Einfall“-Betreibers und ihre hemdsärmelig-erotische Mutter, ein als Kunstobjekt zweckentfremdeter Lindenbaum sowie eine zum Ausstellungsraum „Neue Neue Nationalgalerie“ umgewidmete Kuchenvitrine, der stillgelegte Haarschneideladen „Intimfriseur“, ein mit Wasser gefüllter Umschnallschwangerschaftsbauch, ein Großhandels-Weinkauf mit Begleitrausch, ein Kunsteklat samt Polizeigroßaufgebot und so weiter und so fort.
Handwerklich einwandfrei erzählt, laboriert „Wiener Straße“ an einer gewissen Holzschnittartigkeit und der allzu ausgeprägten Lust am Verblödeln. Was feine Ironie sein könnte, schlägt durch die Überzeichnung der Charaktere und Milieus dadurch häufig in laute Schenkelklopferei um.
Unter anderem erwischt es Kacki, den bemitleidenswerten Dodel im Hause ArschArt. In einer Panikattacke verfällt er vor laufender Fernsehkamera unmotiviert in den verpönten Wiener Dialekt – oder eben das, was Regener dafür hält: „Und so a Eitrige mit am 16er-Blech, wenn’s des vorm Westbahnhof am Würstelstand dort, der heißt Imbiss am Europaplatz, das ist am Westbahnhof …“ Ach, was haben wir gelacht.


