Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero

Die Jahre zwischen Gut und Böse
352 Seiten, Hardcover
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Mehr Informationen
Reihe Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero
ISBN 9783869712666
Erscheinungsdatum 06.10.2022
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Galiani Berlin ein Imprint von Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung Moshe Kahn
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Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Kurzbeschreibung des Verlags


In den turbulenten Jahren eines Künstlerlebens zwischen Neapel, Mailand und Paris emanzipiert sich der junge Giuliano von den Konventionen seiner Herkunft.


Obsessionen und die unglückliche Liebe zu einer Schauspielerin enden im Entschluss, sich in ein asketisches einsames Leben im Einklang mit der Natur zurückzuziehen. 


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FALTER-Rezension

Vom Palast zur Baracke

Matthias Dusini in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 24)

Im vierten Band der „Autobiographie des Giuliano di Sansevero“ gibt es eine Passage, die als Essenz dieses literarisch-existentiellen Projekts gedeutet werden kann. Nach dem Zusammenbruch der italienischen Armee in Griechenland 1943 verschleppte die Wehrmacht italienische Offiziere in ein deutsches Lager. So landet der Protagonist Giuliano in einer Baracke, in der es am Nötigsten fehlt. Frierend und hungernd, auf engstem Raum eingesperrt, denkt der Enddreißiger über seine Situation nach.

Als Kind in der Klosterschule habe er mehr gelitten, denn nun sei er über die Sehnsucht nach Liebe und Zuwendung erhaben. „Die Gefangenschaft gab mir die völlige Reinheit des Verstandes, die unbeschränkte Freiheit der Konzentration […].“ Er könne stundenlang schreiben, während die anderen wie Mumien auf ihren Pritschen lägen. Das Lager, so bekennt Giuliano, erlöse ihn von der Knechtschaft des Fleisches und mache seinen Willen eisern. „Ich fühlte meinen Geist befreit und sicher. Und das war ich.“

Mit der in fünf Teilen erschienenen „Autobiographie des Giuliano di Sansevero“ legte der neapolitanische, aus altem Adel stammende Andrea Giovene (1904–1995) von 1966 bis 1970 eine außergewöhnliche Lebensbeschreibung vor. Bis dahin war der Autor kaum bekannt. Er hatte lediglich eine Handvoll Texte publiziert, den ersten Band der „Autobiographie“ musste er aus eigener Tasche bezahlen. Obwohl die Romanpentalogie ein verlegerischer Erfolg war und Giovene gar als nobelpreiswürdig erschien, geriet sein Werk in Vergessenheit. Die studentische Jugend trat gerade das Erbe der Bourgeoisie in die Tonne, wer interessierte sich da für die Beichte eines Herzogs? Der Berliner Galiani Verlag legt nun eine erste deutsche Übersetzung vor.

Anders als Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem 1958 erschienenen Bestseller „Il Gattopardo“ blickt Giovene nicht sentimental auf die Welt von gestern zurück. Beim Betrachten seines Stammbaums entgehen Giuliano die feuchten Flecken nicht: „Der Baum kräuselte sich ein und schlug Wellen. Die jüngste Generationen waren am unleserlichsten. Und ich? Wie sollte ich mich da auf einer Spitze einnisten, die nur in die Zimmerdecke hinein höher wachsen konnte, im Leeren?“

Giuliano di Sansevero bricht mit seiner konservativen Familie und verschreibt sich der Selbsterforschung. In der Entwicklung des revoltierenden Helden stellt das Abwerfen von Ballast einen Fortschritt dar: Reduktion und Ornamentlosigkeit sind nun das Ziel – was vor der Kulisse neapolitanischer Rokoko-Palazzi keine einfache Option darstellt. Der Weg vom Mehr zum Weniger ist ein steiniger.

Den Konventionen des Bildungsromans folgend beschreibt Giovene die Entwicklung seines Protagonisten in Etappen. Die Familie schickt den Buben, wie es seit Generationen üblich ist, in eine Klosterschule. Danach absolviert dieser eine militärische Ausbildung zum Kavalleristen und taucht in Rom und Paris in die Bohème der 20er-Jahre ein. Band drei führt nach Süditalien, wo der junge Held ein paar Olivenhaine erbt und ein Steinhaus erbaut. In „Fremde Mächte“ gerät er in den Zweiten Weltkrieg. Und der soeben erschienene fünfte und letzte Band erzählt von Giuliano di Sanseversos beschwerlicher Rückkehr in die Heimat.

Das Jahrhundert der Extreme – Erster Weltkrieg, Faschismus, Nationalsozialismus – bildet den historischen Hintergrund, ist aber nur wie ein fernes Donnergrollen zu vernehmen. Gleichwohl gelingt dem Autor ein plastisch ausgeleuchtetes Zeitpanorama. Die Räume, die der Protagonist durchmisst, repräsentieren jeweils eine bestimmte Epoche: Giuliano gerät vom Palazzo in das Internat, vom Künstlercafé in den bürgerlichen Salon. Der Rückzug in die Gegenwelt des Mezzogiorno lässt das Steinhaus zur Bühne einer existentialistischen Selbsterkundung werden. Tief im 20. Jahrhundert erfährt der Protagonist den totalitären Terror – und das Lager als Endstation des nackten Lebens. In seinem zeithistorischen Zyklus zeichnet Giovene die gesellschaftlichen Brüche auf: die Krise der alten Privilegien, das Versagen religiöser Autorität und das revolutionäre Versprechen des Faschismus. Nicht Ideologien oder historische Ereignisse stehen indes im Mittelpunkt, sondern Giulianos Blick auf die Welt, sein Weg zu sich selbst.

Literarisch gebildete Leser werden die Vielzahl von Bezügen schätzen, die der Autor eingearbeitet hat. Im Lager erinnert sich der Protagonist an die berühmte Schrift „Meine Gefängnisse“, die Silvio Pellico (1789–1854), ein Heroe des Risorgimento, in einem österreichischen Kerker verfasste. Als Gewährsmann für dekadente Stilkunst taucht immer wieder Gabriele d’Annunzio auf, der militante Narzisst des Fin de Siècle, der den Schreibtisch gegen das Schlachtfeld eintauschte. Dieses Netz von Referenzen erschöpft sich aber nicht in eitler Bildungsbeflissenheit, sondern ist der Versuch, Lebens- und Leseerfahrungen miteinander abzugleichen.

Die Ordensregeln des Heiligen Benedikt, Pflichtlektüre im Internat, bleibt Giulianos prägende Lektüre. Er versteht die klösterliche Anweisung „Bete und arbeite!“ als Möglichkeit, Kontemplation mit Aktion zu verbinden. Die Regula Benedicti hilft Giuliano, jene „Reinheit des Verstandes“ zu erreichen, wie sie auch in stoischen sowie buddhistischen Lehren als Glücksoption beschrieben wird.

Der Übersetzer Moshe Kahn verfügt über ein beeindruckendes Sprachgefühl. Er folgt Giovenes Zitierlust und schafft es dabei, die Vielstimmigkeit der Prosa zu vermitteln, ohne sich aus der stilistischen Wühlkiste zu bedienen. Das mittlere Tempo des Roman weist Giovene eher als Anhänger klassischer Ausgewogenheit denn als übersteuerten D’Annunzioaner aus. Auf diese Weise gerät der Leser nicht in ein stürmisches Meer, sondern in eine stille Bucht mit gleichmäßigen Wellen. Die Sprache folgt Giovenes Pädagogik, dem Versuch, Souveränität über das eigene Leben zu gewinnen.

Wer dermaßen mit sich selbst beschäftigt ist, läuft Gefahr, einsam zu sterben. In seiner Bindungsunfähigkeit und der Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, folgt der Held dem Trend der Moderne zur Vereinzelung. Die Frauenfiguren hingegen erinnern an Projektionen aus vergangenen Zeiten: Treulose Verführerinnen folgen auf madonnenhafte Wesen der Unschuld. Der Sex mit ländlichen Lolitas sollte heute wohl mit einer Triggerwarnung versehen werden. Wen Elena Ferrantes „Neopoletanische Saga“ als Gegenbild zu tradierten Geschlechterrollen begeistert hat, wird vor Giulianos Gender Troubles zurückschrecken.

Doch bereits im ersten Band wächst einem der Held ans Herz, so dass man ihm die folgenden Irrtümer verzeiht. „Ein junger Herr aus Neapel“ beschreibt eine Kindheit von beispielloser Kälte, in der der Bub zuhause emotionale Zurückweisung und im Internat körperliche Züchtigung erfährt. Die Überzeugung, allein auf der Welt zu sein, brennt sich in seine Seele ein.

Trotz aller literarischen und philosophischen Abschweifungen erweist sich „Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero“ als großes Lesevergnügen. Zwar lässt sich jeder Band als eigener Roman lesen, aber spannende Cliffhanger verführen zum nächsten. So lässt der Autor das süditalienische Refugium in Teil drei von Touristen aus Nazideutschland stürmen, die Lagererzählung endet mit einer filmreifen Flucht durch die Schlacht um Berlin 1945.

Vor allem aber glänzt Giovene als Meister des Adjektivs. Sein Blick richtet sich, den meditativen Stillleben und Landschaften des Malers Giorgio Morandi vergleichbar, auf die kleinen Dinge: „Der Golf lag reglos da, ohne eine Kräuselung durch den Wind, wie eine durchsichtige, violette, silbern glänzende, aschfarbene Marmorplatte. Und unterhalb des Felsen zeichneten die letzten Sprengel des Tages feinste Linien aus Licht, gleich einem Spiegel, der im Schatten funkelt.“

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