

Ulrich Rüdenauer in FALTER 21/2017 vom 24.05.2017 (S. 34)
Was Franz Kafka für die Literaturwissenschaft, war in den vergangenen Jahrzehnten Walter Benjamin für die Kulturtheorie: eine unerschöpfliche Quelle für – manchmal fast schon religiös anmutende – Interpretationen. Lorenz Jäger versucht sich nicht nur an einer Gesamtdeutung, sondern auch an Neuinterpretationen. Ihn interessiert das, was Benjamin von den Denkschulen seiner Zeit trennte: die frühe, intensive Auseinandersetzung mit dem Jüdischsein, die Faszination für den Mythos.
Die Welt ist für den Flaneur Benjamin eine verzauberte; in der Beschäftigung mit diesem Verzauberten und im Entzaubern wird er zum Kritiker. In ihm wirken die unterschiedlichsten Kräfte, Gegensätze treiben ihn an. Jäger führt das Disparate klug zusammen. Er liest den Zeichenleser, der die Welt als Wort, Ding und Schrift entziffern wollte und stets das Schwebende, das Nicht-Eindeutige und die Übergänge gefunden hat.