

Ein griechischer Löwe, der wie Kreisky brüllen will
Robert Misik in FALTER 7/2015 vom 13.02.2015 (S. 18)
Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat sein neues Buch "Der globale Minotaurus" zum kostenlosen Download ins Netz gestellt
Zurzeit rätselt ganz Europa: Was wollen die Griechen wirklich? Werden sie von ihrer Schuldenschnitt-Forderung abrücken und sich zufriedengeben mit einer Umschuldung, bei der Rückzahlungen auf Jahrzehnte verschoben und niedrig verzinst werden? Wird die Austeritätspolitik dann ein Ende finden? Wie könnte ein Kompromiss aussehen? Das sind die großen Fragen, die gerade die Schlagzeilen beherrschen.
Gut möglich, dass sich die Syriza-Regierung am Ende mit halben Sachen zufriedengeben wird. Gut möglich aber auch, dass sie ein viel größeres Reformziel vor Augen hat. Um zu begreifen, welches das sein kann, lohnt es sich, sich mit den Plänen jenes Mannes zu beschäftigen, der binnen weniger Tage zu einer Zentralfigur der Eurozone geworden ist: mit den Ideen von Yanis Varoufakis, dem neuen charismatischen Finanzminister in der Tsipras-Regierung.
Gerade tourte er durch Europas Hauptstädte, in Griechenland ist er längst der Darling der Wähler. Und auch global stieg er wie eine Rakete zum Ökonomiestar auf: Der Guardian nannte den Ökonomen mit dem offenen Hemdkragen, der mit seinem BMW-Motorrad ins Ministerium fährt, "den coolsten Politiker Europas", der Businessinsider machte den Sack dann zu, indem er ihn mit dem Attribut "interessantester Mann Europas" belegte. Die Superlative sind jetzt aufgebraucht, keine Steigerung mehr möglich.
Die einst kluge Hegemonialmacht
Zur Coolnessdiagnose darf man wohl auch hinzuzählen, dass Varoufakis, kaum war er ernannt, die Veröffentlichung der Neuauflage seines Buches "Der globale Minotaurus" vorzog und gratis zum Download bei Amazon einstellte. Wer also einen Kindle hat, der darf es jetzt kostenfrei runtersaugen.
Varoufakis, der zuletzt als Professor in Texas an der Seite seines Freundes James K. Galbraith wirkte, zeigt sich in diesem Buch als brillanter Postkeynesianer mit einer großen Bewunderung für den US-dominierten Nachkriegskapitalismus – was, nebenbei gesagt, alle Charakterisierungen als gefährlicher Linksradikaler ziemlich absurd erscheinen lässt.
Varoufakis zeichnet eine globale Analyse: Das Wunder der Nachkriegszeit war, dass eine starke hegemoniale Ökonomie, nämlich die der Vereinigten Staaten, alle Überschüsse der Welt aufkaufte, das globale Kapital anzog, aber weise genug war, diese Mitteln in die schwächeren Staaten so zu reinvestieren, dass diese nach und nach selbst ihre Produktionsbasis erweiterten.
"Recycling der Überschüsse", nennt Varoufakis das. "Hegemonie unterscheidet sich von Beherrschung oder bloßer Ausbeutung, weil der wahre Hegemon weiß, dass er in die Fähigkeiten seiner Partner, Surplus zu produzieren, investieren muss."
Auf diese Weise wurde nicht nur die Weltproduktion gesteigert, sondern auch die Nachfrage geschaffen, die nötig ist, um diese gesteigerte Produktion aufzukaufen. Amerika hat sich, obwohl dominierend, selbst beschieden, weil es begriffen hatte, dass das für die Stabilität des Systems notwendig ist und am Ende alle davon profitieren. "Selbstbeschränkung ist eine seltene und verstörende Tugend."
Doch dieser Mechanismus ist heute zerbrochen. Bis 2008 wurde er noch auf perverse Weise aufrechterhalten. Deutschland, das stärkste Land Europas, hat seine Nachbarn und Eurozonen-Partner niederkonkurriert und Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut.
Die Partner konnten nur überleben, indem sie in die USA exportierten. Das aufstrebende China tat das Gleiche und baute seinerseits Leistungsbilanzüberschüsse auf.
Die USA sogen die Überschüsse auf, indem sie exorbitante Budgetdefizite aufbauten und indem sich die amerikanische Haushalte hoffnungslos verschuldeten. Doch seit Ausbruch der Finanzkrise ist der Mechanismus kaputt und nicht mehr auf herkömmliche Weise reparabel. Die USA türmen zwar Budgetdefizite in bisher unbekannten, astronomischen Höhen auf, können aber den globalen Nachfrageausfall nicht mehr kompensieren.
Das Drama ist, dass die Eurozone als mögliche globale Lokomotive völlig ausfällt. Erstens, weil Deutschland als stärkste europäische Ökonomie versagt, nicht zuletzt deshalb, weil ihr politisches Führungspersonal auf fatale Weise ignorant gegenüber ökonomischer Vernunft ist.
Und zweitens, weil die Eurozone fatal falsch konstruiert ist, etwa mit einer Europäischen Zentralbank, aber ohne gesamteuropäische Fiskalpolitik und mit nationalen Fiskalpolitiken, die etwa der Bankenkrise überhaupt nicht Herr werden konnten.
Man stürzte sich panisch in eine Austeritätspolitik, die die Schulden nur mehr drückender machte, das Wirtschaftswachstum abwürgte und die Nachfrage zusätzlich ruinierte. Das Ergebnis ist eine katastrophale Abwärtsspirale. Von den Schuldnerländern wird verlangt, ihre Schulden zurückzuzahlen, aber gleichzeitig werden sie daran gehindert, jene Einnahmen zu erwirtschaften, die das ermöglichen würden. Das ist auf beinahe schon kriminelle Weise dumm.
Gute Männer in hohen Ämtern
Varoufakis ist ein Mann mit einem Plan, am ehesten ein radikaler modernistischer Sozialdemokrat.
Nachdem der Autor dieser Zeilen ihn vor zwei Jahren im Wiener Kreisky-Forum zu Gast hatte, beschäftigte er sich eingehend mit der Figur Bruno Kreiskys und schrieb danach auf seinem Blog als Antwort auf einen Kreisky-Kritiker: "Ich bleibe bei meinem Enthusiasmus für den Mann Kreisky und bei meiner Überzeugung, dass Europa darunter leidet, dass wir zurzeit keine Männer wie ihn in hohen Ämtern haben."
Es ist mittlerweile völlig offensichtlich, dass Varoufakis genau ein solcher Mann sein will.