

"Für ein ABENTEUER muss ich auf gar nichts warten"
Gerlinde Pölsler in FALTER 14/2024 vom 05.04.2024 (S. 44)
Für kleine Abenteuer in der Natur, meint Christo Foerster, braucht es nicht viel: Es reicht ein Schritt vor die Haustüre. "Wozu warten, bis du genug Geld, genug Urlaub, genug Mut hast?", fragt er. Ob zu Fuß, mit dem Rad oder dem Stand-up-Paddel (SUP); egal, ob jemand in der Stadt oder am Land wohnt: Für alle hat der Sporthochschulabsolvent Ideen parat. Er übernachtete schon am Hafen seiner Heimatstadt Hamburg, fuhr per SUP auf der Alster in Hamburg ein und radelte von dort nach Berlin -in einer Nacht.
Mit seinen "Mikroabenteuern" löste der gelernte Journalist und Coach einen Trend aus: Sein Outdoor-Podcast "Frei raus" hat pro Monat 50.000 Streams, gerade ist sein achtes Buch erschienen: "Am besten draußen."
Dabei kennt sich der Hamburger auch mit den großen Erlebnissen aus: 2021 wanderte und paddelte er von Deutschlands höchstem Punkt im Süden, der Zugspitze, bis zur nördlichsten Küste, nach Sylt. Dabei verbrachte er 53 Tage und Nächte unter freiem Himmel, wie er das am liebsten tut.
Falter: Herr Foerster, ich erreiche Sie gerade an der Côte d'Azur -wo genau haben Sie die letzte Nacht verbracht?
Christo Foerster: Tatsächlich habe ich im Appartement geschlafen, wir machen einen Familienurlaub. Aber natürlich habe ich meine Hängematte immer dabei und schon einige Berge im Blick, auf die ich rauf möchte. Und um halb sieben war ich heute schon am Meer, eine Runde laufen, dann ins Wasser und um acht Uhr zurück zum Frühstück. Das Meer ist übrigens sehr frisch.
Wie viel Grad hat es? Foerster: Vielleicht zwölf. Es ist auf jeden Fall deutlich wärmer als die Badewanne in meinem Garten in Hamburg.
Das müssen Sie jetzt erklären
Foerster: Ich habe vor einigen Jahren eine alte Badewanne in den Garten gestellt, die fülle ich meistens am 1. November auf. Ich versuche, mich jeden zweiten Tag für drei Minuten reinzusetzen. Manchmal muss ich zuerst Eis schlagen. Das ist ein sehr guter Start in den Tag, aktiviert das ganze Herz-Kreislauf-System und gibt Energie.
Die Sache mit den Mikroabenteuern hat bei Ihnen mit einer spontanen Aktion im Jahr 2017 begonnen, einer Radtour von Hamburg nach Berlin in einer Nacht. Wie kam es dazu?
Foerster: Ich hatte eine Familie gegründet und mich selbstständig gemacht; die großen Reisen standen gerade nicht so an. Trotzdem hatte ich eine Sehnsucht nach Abenteuer. Eines Märzmorgens habe ich einen alten Freund am Telefon gefragt: "Wollen wir nicht morgen am Brandenburger Tor in Berlin frühstücken? Ich komme mit dem Fahrrad." Dann habe ich schnell aufgelegt, damit ich es mir nicht noch anders überlegen kann. Erst danach habe ich auf mein Handy geguckt und gesehen: Oh, das sind von meiner Haustür in Hamburg aus ja 320 Kilometer. Ich konnte erst am Nachmittag losfahren und war jahrelang nicht mehr als 20 Kilometer am Stück geradelt.
Sie waren nicht im Training?
Foerster: Nein, gar nicht. Dann habe ich gedacht: Na ja, du fährst einfach 20 Kilometer und noch mal 20 und noch mal. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren, und da war so viel Großartiges. Alleine unterwegs zu sein, wenn alle anderen schlafen. Die Schwärme von Wildgänsen, die an der Elbe im Dunkeln über mich hinweggezogen sind. Und natürlich das stolze Gefühl, wenn man merkt: Ich schaffe es tatsächlich.
Wie war es, als Sie ankamen?
Foerster: Ich war völlig fertig und habe zum Frühstücksgespräch nicht viel beigetragen. Danach habe ich mich mit meinem Fahrrad in den nächsten Zug zurück nach Hamburg gesetzt. 24 Stunden, nachdem ich aufgebrochen war, stand ich wieder an meiner Haustür, und das war so ein Schlüsselmoment, wo ich gemerkt habe: Ich muss auf gar nichts warten, um ein Abenteuer zu erleben. Ich muss nicht weit weg, ich muss nur mein Rad nehmen und losfahren oder meine Schuhe anziehen und loslaufen. Von diesem Tag an habe ich immer mehr solcher Mikroabenteuer in mein Leben eingebaut.
Was genau zählt denn als Mikroabenteuer?
Foerster: Für mich habe ich drei Regeln aufgestellt: Es dauert maximal 72 Stunden. Ich bin weder mit Auto oder Flugzeug unterwegs, sondern immer aus eigener Kraft oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und wenn es mehr als einen Tag dauert, verbringe ich die Nacht draußen - ohne Zelt.
Haben Sie ein paar Ideen zum Anfangen?
Foerster: Eine Möglichkeit ist, Wege, die wir im Alltag oft mit dem Auto oder der Bahn machen, aus eigener Kraft zurückzulegen. Die Verwandten mit dem Rad besuchen, und je nachdem, wo die wohnen, dauert das schon mal einen, zwei oder auch drei Tage. Ich finde es auch großartig, zu Sonnenaufgang draußen und dabei zu sein, wenn der Tag beginnt. Im Sommer ist das natürlich sehr früh. Man kann dann auch von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwegs sein, ohne irgendwo einzukehren.
Bei einigen Abenteuern waren auch Ihre Kinder, jetzt 12 und 14, dabei. Wie lassen sich Kinder zum Rausgehen motivieren, und haben sie auch einmal gestreikt?
Foerster: Je kleiner Kinder sind, desto weniger streiken sie. Grundsätzlich sind Kinder fantastische Abenteurer. Anders als wir Erwachsene planen sie die Dinge nicht so durch. Oft sagt man: "Wir müssen um sechs auf der Hütte sein, sonst bekommen wir nichts mehr zu essen", und dann treibt man die Kinder an. Das motiviert natürlich nicht.
Wie geht 's besser?
Foerster: Indem man die Kinder vieles bestimmen lässt. Man kann zum Beispiel sagen: Wir übernachten draußen, aber wo, das entscheidet ihr. Das eröffnet die Möglichkeit, drei Stunden an einem Bach zu bleiben und zu spielen oder einem Flusslauf ein Stück zu folgen, und dann bleibt man eben, wo man gerade ist. Diese Verantwortung zu haben, motiviert. Aber je älter die Kinder werden, desto schwieriger wird es, da brauchen wir uns nichts vormachen.
Selbst bei Ihren Kindern?
Foerster: Ja, selbst bei uns. Leichter geht's, wenn sie mit ihrem Handy per GPS die Route suchen oder Geocaching machen (eine Art Schnitzeljagd, Anm). Und manchmal wollen sie doch selbst gern eine Herausforderung angehen. Mein Sohn möchte zum Beispiel gerne noch mal auf die Zugspitze
wo Sie schon waren, als er sechs war ...
Foerster: Genau, aber damals konnten wir den letzten Abschnitt nicht machen, weil es zu vereist war und zu viel Schnee gab. Und kürzlich sagte er, den würde er gern noch besteigen, und zwar wieder nicht im Sommer, sondern im Winter.
Sie haben schon an den ungewöhnlichsten Orten draußen geschlafen und immer ohne Zelt. Warum ist Ihnen das so wichtig? Foerster: Weil da die Verbindung zur Natur am stärksten ist, wenn nichts zwischen uns ist, wenn wir direkt unter dem Sternenhimmel sind.
Viele Menschen möchten das gern, haben aber Angst. In Ihrem Podcast erzählte eine Frau von einem traumatischen Erlebnis mit einem Mann im Wald, als sie ein Teenager war. Dennoch hatte sie immer die Sehnsucht, sich wieder frei in der Nacht zu bewegen, auch allein draußen zu schlafen, und nach Jahrzehnten hat sie sich endlich getraut. Wie tastet man sich da heran?
Foerster: Es beim ersten Mal nicht alleine tun. Sich einen Ort suchen, vielleicht auf einem Grundstück von Freunden, wo man schon nah an der Natur ist, aber doch noch ein bisschen geschützt. Will man es wirklich allein tun, heißt es irgendwann einfach: Mut zusammennehmen, raus und machen. Das ist natürlich meine Perspektive, die eines 1,90 Meter großen Mannes. Ich habe die Frauenperspektive nicht. Aber ich kenne viele Frauen, die das auch machen.
Sie schlafen, wenn möglich, immer in der Hängematte. Warum nicht im Schlafsack?
Foerster: Ich habe das auf einer Reise in Mittel-und Südamerika entdeckt und liebe es wegen des Freiheitsgefühls, das dieses Schaukeln auslöst. Und: Was immer da auf dem Boden kreucht und fleucht, interessiert mich in der Hängematte nicht. Deswegen wurde sie auch erfunden, weil viele die Sorge haben: Krabbelt mir da am Ende ein Tier in den Schlafsack? Die Hängematte vermittelt einfach ein Sicherheitsgefühl und lässt einen sehr gut schlafen.
Und der Rücken spielt da auch mit? Foerster: Ja, wenn man weiß, wie man drin liegen soll, nämlich diagonal. Dann liegt man fast gerade, also horizontal. Manche Orthopäden empfehlen bei Rückenschmerzen sogar das Schlafen in der Hängematte.
Wie sollte man den Schlafplatz wählen?
Foerster: Er sollte vor Blicken geschützt sein, und der Wind sollte nicht total reinpfeifen. Wobei ich für einen guten Ausblick manchmal auch mehr Wind in Kauf nehme. Vor allem gilt es zu beachten: Was darf ich, was darf ich nicht? In Deutschland darf ich nicht einfach wild zelten. Ich weiß nicht genau, wie die Regelungen in Österreich sind.
Wildcampen ist ebenfalls verboten.
Foerster: Genau. Campen bedeutet aber meist Zelten. Irgendwo liegen und sich für ein paar Stunden ausruhen ist aber in der Regel, außer in speziellen Schutzgebieten, nicht verboten. Das Wichtigste ist, dass wir niemanden stören, weder Mensch noch Tier. Sprich, dass ich nicht auf einem Privatgrund liege, dass ich mein Nachtlager nicht direkt vor dem Jägersitz aufschlage, aber auch nicht, wo offensichtlich Tiere, zum Beispiel Wildschweine, gewühlt haben.
Wie oft begegnen Sie Wildschweinen und anderen Wildtieren, wie gefährlich ist das?
Foerster: Das passiert schon manchmal, aber Wildschweine tun Menschen nichts an, die fressen nichts, was lebt. Natürlich sollte man kein Essen offen rumliegen lassen. Und es kann schon passieren, dass man mal eine Bache mit Frischlingen überrascht und die gereizt reagiert. Aber die stößt dann einen Warnlaut aus.
Und dann?
Foerster: Ziehe ich mich zurück. Normalerweise passiert dann auch nichts, natürlich gibt es wie für alles im Leben keine Garantie. Aber all das macht auch das Draußensein aus. Es gibt einen schönen Satz, der mich schon lang begleitet: Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst.
In Ihrem neuen Buch versammeln Sie Ideen, wie sich mehr Draußensein in den Alltag und auch ins Arbeitsleben einbauen lässt.
Foerster: Zum Beispiel auf der Terrasse oder im eigenen Garten übernachten. Oder jeden Tag auf einer anderen Strecke in die Arbeit radeln. Die Mittagspause in der Hängematte im Park verbringen, Sitzungen und Telefonate nach draußen verlegen. Einfach mal nachdenken: Was mache ich drinnen, das ich vielleicht auch draußen machen könnte? Das hat mich das Mikroabenteuer wirklich gelehrt: nach Möglichkeiten zu gucken und nicht immer zu schauen, was nicht geht.
Sie interviewen viele Leute, die auch spannende Sachen machen, etwa die Fuchsforscherin Sophia Kimmig, die viel nachts unterwegs ist, oder Fahrradkoryphäe Gunnar Fehlau, der ein Jahr lang auf seinem Elektrolastenrad "gelebt" und daneben auch noch gearbeitet hat. Welche Idee ist bei Ihnen besonders hängen geblieben? Foerster: Das war diese Familie, wo die Eltern zum Schlafen dauerhaft auf die Terrasse gezogen sind. Sie übernachten das ganze Jahr über draußen, im Winter schon mal mit einer Mütze. Sie haben sogar ihr Schlafzimmer aufgelöst. Das finde ich sehr inspirierend.
Sie haben Ihr Schlafzimmer aber noch nicht aufgelöst? Foerster: Nein. Da gibt es familienintern noch keinen Konsens. Und der Hausfrieden ist ja auch nicht ganz unwichtig.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: