

Freiheit auf Rädern: Mit dem Benz nach Marrakesch
Christina Vettorazzi in FALTER 33/2025 vom 13.08.2025 (S. 28)
Helge Timmerberg hat dreierlei von seinem Vater geerbt: einen Ring, hunderttausend Euro und einen Mercedes E 220 CDI.
Zwölf Jahre sind seither vergangen. Der Ring rutschte während des Fastens unbemerkt vom Finger. Das Geld ist weg. Doch den Benz konnte Timmerberg erhalten. Und so entschied sich der 73-Jährige, dem Auto eine "letzte Fahrt" zu gewähren.
Helge Timmerberg gilt als Legende des deutschsprachigen Journalismus. Er begann als Lokaljournalist, später arbeitete er als Reisereporter an radikal-subjektiven Reportagen im Stil des New Journalism. Seine Texte wurden etwa in den Magazinen Wiener und Playboy gedruckt.
Mit seinem neuen Buch "Bon Voyage" hat er den letzten Gruß seines Vaters aufgegriffen, der sich mit eben jenen Worten von dem Auto und seinem Sohn verabschiedete.
Im Sommer 2023 machte sich Timmerberg auf nach Marrakesch. Alles ging schief: Die Abreise verzögerte sich, am Brenner stand er im Stau und zwei Männer stahlen seinen Rucksack mit Handy, Geldtasche und Pass. Er fürchtete, umkehren zu müssen, doch dann fand er sein Handy im Benz und die Polizei den Rucksack samt Papieren am Straßenrand. Die Reise ging weiter - zusammen mit seinem Freund Paddy, der ihm eine neue Kreditkarte brachte.
Von Marrakesch war Timmerberg, der zehn Jahre dort gelebt hatte, aber enttäuscht. Die Medina war dem Tourismus zum Opfer gefallen. Vom orientalischen Märchen ist wenig geblieben. Doch am Dach der Unterkunft unter den Sternen denkt der Reporter über Gott nach und findet für einen Moment seinen Frieden.
Mit "Bon Voyage" hat er eine Ode an das Leben geschrieben. Es geht um eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung, um Freundschaft und das Alter. Manche seiner Lebensweisheiten reimt er: "Was ist besser? Forever young als Zwitter oder alt werden wie ein Ritter?"
Als Leserin bleibt man nach der Lektüre verzückt zurück und hofft auf eine zweite "letzte Fahrt".