Geniale Gehirne

Zur Geschichte der Elitegehirnforschung
384 Seiten, Hardcover
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Reihe Wissenschaftsgeschichte
ISBN 9783892446491
Erscheinungsdatum 01.10.2004
Genre Sachbücher/Geschichte/Sonstiges
Verlag Wallstein Verlag
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Wallstein Verlag GmbH
Geiststr. 11 | DE-37073 Göttingen
info@wallstein-verlag.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

Michael Hagner beschreibt die Sammlung und Erforschung der Gehirne bedeutender Persönlichkeiten als eine Geschichte, in der sich wissenschaftliche und kulturelle Aspekte miteinander verschränken.

Die Idee, daß Schädel und Gehirne außerordentlicher Persönlichkeiten besondere Eigenschaften aufweisen, reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Genie, Kriminalität und Geisteskrankheit - das war die Trias, deren anatomische, anthropologische und physiognomische Untersuchung eine Grundlage für die Kenntnis des Menschen bilden sollte. Was zunächst als kauzige Schädelbetrachtung begann, wurde alsbald zu einem ambitionierten wissenschaftlichen Programm ausgeweitet.
Hagners Leitthese lautet, daß die Gehirne bedeutender Gelehrter, Wissenschaftler und Künstler nicht nur wissenschaftliche, sondern stets auch kulturelle Objekte gewesen sind. Im Umgang mit ihnen kommt immer wieder eine säkularisierte Praxis der Erinnerungskultur zum Ausdruck, die für das Verständnis der Mentalität bedeutender Persönlichkeiten in der Moderne von großer Bedeutung ist. Anhand zahlreicher, vielfach unbekannter Beispiele wird gezeigt, daß die Erforschung außerordentlicher Gehirne von der Kraniologie, Hirnwägung, Lokalisationslehre und Ausmessung der Hirnwindungen über die Cytoarchitektonik bis zum aktuellen Neuroimaging reicht. Dabei sind geniale Gehirne stets in besonderen historischen und wissenschaftlichen Konstellationen bedeutsam geworden: in der Genieverehrung um 1800, in den Debatten um die kulturelle und soziale Bedeutung der Naturwissenschaften nach der 1848er Revolutionszeit, in den Diskussionen um die Natur des Genies im Fin de Siècle, in der politisch hektischen Situation der späten Weimarer Republik und der ersten Jahre des Nationalsozialismus und schließlich in den Brave Neuro Worlds unserer Zeit. Dabei zeigt Hagner, daß die neurophilosophische Grundidee - eine Eins-zu-eins-Korrespondenz zwischen Gehirn- und geistigen Zuständen - für Gelehrte vor 200 Jahren bereits genauso faszinierend gewesen ist wie für Hirnforscher unserer Tage.

Zur Reihe:
Die Wissenschaftsgeschichte verstand sich lange Zeit als eine Art Gedächtnis der Wissenschaften. Heute sucht sie ihren Platz in der Kulturgeschichte und sieht ihre Aufgabe nicht zuletzt darin, Brücken zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften zu bauen. Die Formen, in denen dies geschieht, sind keineswegs ausgemacht. Sie sind Gegenstand eines großen, gegenwärtig im Gange befindlichen Experiments. Die historische Einbettung der wissenschaftlichen Erkenntnis, der Blick auf die materielle Kultur der Wissenschaften, auf ihre Objekte und auf die Räume ihrer Darstellung verlangt nach neuen Formen der Reflexion, des Erzählens und der Präsentation. Die von Michael Hagner und Hans-Jörg Rheinberger herausgegebene Reihe »Wissenschaftsgeschichte« versteht sich als ein Forum, auf dem solche Versuche vorgestellt werden.

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Reihe Wissenschaftsgeschichte
ISBN 9783892446491
Erscheinungsdatum 01.10.2004
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FALTER-Rezension

Oliver Hochadel in FALTER 41/2004 vom 08.10.2004 (S. 50)

Um die Genialität von Schopenhauer, Lenin oder Einstein zu lokalisieren, wurden deren Gehirne akribisch untersucht. Heraus kam meist, was die Gelehrten hineinprojiziert hatten, wie der ETH-Professor Michael Hagner eindrucksvoll zeigt.

Als Albert Einstein im April 1955 in einem Provinzkrankenhaus in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey starb, entnahm der Pathologe Thomas Harvey dem weißen Struwwelkopf bei der Autopsie kurzerhand das Gehirn. Der mit seinem Zufallsfund überforderte Nichtneurologe zerschnitt die Quelle der Relativitätstheorie in knapp 200 würfelförmige Blöcke und legte diese in Formalin ein.

Teile dieses Materials untersuchte Ende der Neunzigerjahre die kanadische Neurowissenschaftlerin Sandra Witelson und befand, dass Einsteins untere Parietallappen besonders entwickelt gewesen seien. Räumliches Erfassungsvermögen und mathematisches Denken hingen stark von dieser Region ab. Für Michael Hagner ist dies ein Rückfall ins 19. Jahrhundert. Schaue man genau hin, lasse sich fast für jedes Gehirn in einer bestimmten Schicht eine von Witelson für Einstein behauptete "einzigartige Morphologie" finden. Der Rummel um Einsteins graue Zellen ist die - vorerst - letzte Episode in der Geschichte der Elitegehirnforschung, die der Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich in seinem Buch "Geniale Gehirne" nachgezeichnet hat.

Bei diesem Stochern im Hirnkasten suchten die Anatomen und Anthropologen nach Differenzen. Folglich haben sie sich vor allem für die Gehirne von Geisteskranken, Kriminellen, Exoten, Frauen (!) und eben Genies interessiert und für die Frage, inwiefern sich diese von "normalen" Gehirnen unterscheiden. Möglich wurde dies durch die "Cerebralisierung" des Menschen, also die zunehmende Gleichsetzung eines Individuums mit seinem Gehirn, die vor etwa 200 Jahren mit der Schädellehre von Franz Joseph Gall einsetzt.

Das Gehirn des Genies ist dabei zunächst noch unantastbar. Erst mal sägt man nur Verbrechern die Schädeldecke auf, bei Kant und Schiller belässt man es bei einer Betrachtung des Schädels. Dieses Tabu wird erstmals ab den 1850er-Jahren umgangen - und zwar im Genre der Gelehrtenhagiografie. Wilhelm Gwinners Biografie Schopenhauers von 1862 enthält auch eine Seitenansicht des Philosophenschädels samt entsprechender Charakterisierung: "Geschlechtstrieb groß bis sehr groß."

Die Gehirne großer Geister wurden zu wertvollen Preziosen, die in Gläsern konserviert sowie in Form von Abgüssen und Zeichnungen die Genialität ihrer Besitzer belegen und zelebrieren sollten. Hagner lässt sich nicht verführen von der Skurrilität seines Gegenstands, sondern kontextualisiert und differenziert. Die Vorstellungen vom Genie reichten vom großen Einzelnen der Goethezeit über den Geniekult des Fin de Siècle, der die Nähe zum Wahn betonte, bis hin zu den Funktionseliten in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die der deutsche Hirnforscher Oskar Vogt in der Weimarer Republik propagierte, Hirnhöherzüchtungsprogramme inklusive.

Die Anatomen betrieben "Gehirnpolitik", ihre gesellschaftlichen Vorstellungen waren eng mit ihrem cerebralen Forschungsprogramm verknüpft. Forscher verschiedener ideologischer Couleur haben sich für die genialen Gehirne interessiert, Konservative ebenso wie der zum Sozialismus tendierende Vogt. War das Hirn hierarchisch organisiert, wie Monarchisten meinten, oder durch eine Struktur interdependenter Areale gekennzeichnet, wie es demokratisch gesinnten Materialisten gepasst hätte?

Dabei ist die Geschichte der Elitegehirnforschung alles andere als eine wissenschaftliche Erfolgsstory. Ihre wechselhafte Konjunktur ist gekennzeichnet von Rückschlägen und mitunter auch Peinlichkeiten. Als das Gehirn des Mineralogen Friedrich Hausmann lediglich 1226 Gramm auf die Waage brachte, überlegte die Pariser Société d'Anthropologie aufgrund des unterdurchschnittlichen Gewichtes, die Veröffentlichungen des Göttinger Gelehrten infrage zu stellen. Die Familie des Verblichenen war wenig erfreut, die Absicht des verantwortlichen Hirnanatomen Rudolph Wagner war ins Gegenteil verkehrt worden.

Die zentrale Frage konnte die Elitegehirnforschung nicht einmal annähernd befriedigend beantworten: Woran erkennt man den großen Geist, wenn er in Weingeist schwimmt? Volumen und Gewicht erwiesen sich immer mehr als unbrauchbare Parameter. Neue Aussichten bot die Untersuchung der Hirnwindungen, wobei Windungsreichtum und -vielfalt das Genie verrieten. Oskar Vogt nannte das abschätzig "Furchenmorphologie". Weg von der Oberfläche, lautete seine Devise, auf die Zellarchitektur kommt es an!

Ende der Zwanzigerjahre zerlegte Vogt auf Einladung der sowjetischen Regierung Lenins Gehirn in mühevoller Arbeit in 30.000 Schnitte. Aufgrund auffallend großer Pyramidenzellen in der III. Rindenschicht bezeichnete Vogt Lenin als "Assoziationsathleten" und konnte so, wie gewünscht, die Genialität des Revolutionsführers dingfest machen. Das letzte Aufflackern der Elitegehirnforschung war Vogts vergeblicher Versuch, 1946 die Gehirne hingerichteter NS-Verbrecher wie Göring und Ribbentrop seiner Sammlung einzuverleiben.

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