

Die Zukunft, wo ist sie geblieben?
Gerlinde Pölsler in FALTER 26/2020 vom 26.06.2020 (S. 18)
Eines Vormittags, so erzählt Mark Fisher, begab sich ein prekär beschäftigter Mann zum Supermarkt. Just während seiner kurzen Abwesenheit rief seine Agentur zu Hause an, um ihm die Arbeit für den Tag anzubieten. Bei seinem Rückruf teilte sie ihm schroff mit, sie habe den Auftrag schon anderweitig vergeben, und rügte ihn für seine Unzuverlässigkeit. Ihn, der selbst keinerlei Sicherheit hatte.
„Die Privatisierung von Stress“ betitelt der Autor den Essay zu dieser Anekdote. Zügig gelangt er von dieser Episode zum Zusammenhang von neoliberalem Wirtschaftssystem und Depression, zur „deprimierenden Wirklichkeit von New Labour“ und zu Menschen, die sogar beim Autofahren zwanghaft SMS schreiben müssen.
Nietzsche und Stephen King
Diese Art, weit entfernte Themengebiete zu verbinden – von Stephen Kings „Shining“ zu Sigmund Freud, von Nietzsche zur Fernsehserie „Breaking Bad“ –, war typisch für den 2017 verstorbenen Kulturwissenschaftler. Fisher war ein gefeierter Blogger und Autor (Guardian, Wire), Verleger, Aktivist und Dozent. Das nun auf Deutsch erschienene Buch „K-Punk“ versammelt Beiträge aus seinem gleichnamigen Blog von 2004 bis zur Brexit-Debatte. K-Punk steht für die Science-Fiction-Strömung Cyberpunk; Punk steht bei Fisher aber auch für die Weigerung, auf Utopien zu verzichten.
Fishers Essays kreisen um die Frage nach der Zukunft. Die sei nämlich abgeblasen, erklärte er schon in seinem Buch „Kapitalistischer Realismus“. „There is no alternative“, hatte Margaret Thatcher Anfang der 80er Jahre ausgegeben. Inzwischen könnten wir uns eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus. Dieser habe damit das Ziel jeder Ideologie erreicht: dass sie nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Überall sah Fisher nur noch Resignation: in Hollywoodfilmen, der Musik, den Gesichtern seiner Studenten. Überall sah er „verlorene Zukünfte“ die Gegenwart heimsuchen.
War früher Langeweile die dominierende Emotion, so halte nun Angst den Menschen in Schach. Er ist sein eigener Antreiber und Kontrolleur: „elegant in seiner brutalen Effizienz“. Und dennoch ist all das Rennen, das „die endlosen Mühen des Sisyphos fast idyllisch erscheinen lässt“, sinnlos: Kein Arbeitspensum wird jemals dafür sorgen, dass du sicher bist.
Die Linke in „klinischer Depression“
Weil in der Realität der „Magische Voluntarismus“, wonach jeder alles werden kann, wenn er nur wirklich will, auf eingeschränkte Möglichkeiten trifft, schaut dauernd die Depression um die Ecke. Der Autor wusste, wovon er sprach, und weigerte sich, seine Erkrankung als individuelles Problem hinzunehmen. Anstatt die Gewerkschaft zu konsultieren, werde einem heute nahegelegt, einen Therapeuten aufzusuchen. Auch große Teile der Linken sah der Politaktivist in „kollektiver klinischer Depression“.
Über den Seiten liegt Tragik, Fisher nahm sich 48-jährig das Leben. Dennoch ist das Buch kein Stimmungskiller, im Gegenteil. Es sprüht vor Kampfeslust, es erfrischt. Fishers Faible für „Das Seltsame und das Gespenstische“ (so der Titel eines seiner Bücher), das Mäandern von David Bowie zu The Cure macht einfach Spaß. Fisher insinuierte nicht, dass er wüsste, wie Alternativen ins Leben zu bringen wären. Jedenfalls, schrieb er im letzten Kapitel „Acid Communism“ – das eigentlich die Einleitung zu seinem nächsten Buch sein sollte –, müsse der aufgezwungene Individualismus ein Ende haben. Aus der Vergangenheit hörte er den Lärm von Kollektivität herüberschallen – und erblickte darin die vielleicht noch nicht verlorene Zukunft „einer Welt, die frei sein könnte“.