

Ende eines Dienstherrn
Dominika Meindl in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 26)
„Am Himmel“, der dritte Roman von Anna-Elisabeth Mayer, rollt einen historischen Kriminalfall mit Gegenwartsbezug auf
Wenn Zeitungen von einer „edlen Erscheinung in unserer Finanzaristokratie“ schreiben, muss es sich um historischen Stoff handeln. Tatsächlich spielt „Am Himmel“ im Wien der Gründerzeit: Stadt und Wirtschaft wachsen, aber davon hat der Großteil der ebenfalls wachsenden Bevölkerung noch recht wenig.
Anna-Elisabeth Mayer (Jg. 1977) greift in ihrem dritten Roman einen realen Kriminalfall aus dem Jahr 1881 auf, fackelt dabei aber nicht lange und beginnt gleich mit dem blutigen Höhepunkt: Der soeben entlassene Förster Hüttler jagt seinem Dienstherrn, Johann Carl Freiherr von Sothen, zwei Ladungen Schrot in den Leib. „Er sah Sothen zu, sah Blutstropfen in den Staub fallen, als wär nichts.“ Nach der Tat stellt sich Hüttler, den im Kerker freilich die Erkenntnis überkommt: „Jetzt werde ich ihn nie wieder los.“
Zu Lebzeiten hatten der Gutsbesitzer und seine Frau Hüttler am Cobenzl nach Kräften geschurigelt. Mayer beschreibt zwei scheinheilige Leuteschinder, die lieber Kapellen bauen, als das Personal gerecht zu entlohnen. Die Schilderung der Gemeinheiten des ekelhaften antisemitischen Paars macht den Hauptteil des Romans aus, was in vielen Leser den Wunsch wach werden lassen würde, den Gutsherren umzubringen. Man behelfe sich, indem man die ersten paar Seiten zwischendurch noch einmal liest.
Stilistisch wirkt der metaphernreiche Text an manchen Stellen etwas manieriert. „Augen starrten Eduard an, aufgerissen.“ Die mitunter mit jedem Satz wechselnden Perspektiven vermitteln zwar Synchronizität, erfordern aber eine aufmerksame Lektüre. Im Gegensatz zur authentisch wirkenden Figurenrede des Gesindes trägt jene der Sothens oft schwer an all der Basisinformation, die transportiert werden muss, wenn es etwa im Schlafzimmer heißt: „Zu hoch und zu unverhältnismäßig sollen die 200 000 Gulden Abfindungssumme gewesen sein!“
Mayer zeichnet Sothens Habgier nicht als katholische Todsünde, wie es das Bosch-Detail am Cover nahelegen mag, sondern vermittelt exemplarische sozioökonomische Einsichten. Dieser Raffke der Gründerzeit hat schon einiges verstanden, was linken Wirtschaftstheoretikern heute den Schlaf raubt. „Geld rastet nie.“ Schon als Sothen nicht mehr ist als ein einfacher Trafikant, rät er seinen bettelarmen Kunden, sich Lose doch auf Raten zu kaufen, denn „Gewinnen ist eine Frage des Durchhaltens“. Er selbst aber weiß, dass – „ohne Geld kein Geld“ – ehrlich kein großes Vermögen zu erlangen ist.
Zum Startkapital für seine Finanzjonglage und seinen daraus resultierenden sagenhaften Reichtum kommt Sothen durch infamen Betrug. Davon kann er sich Gut, Adel und Ansehen kaufen, Letzteres zumindest in der Presse. „So wurde die Sothen’sche Wechselstube ein Mittelpunkt einer gesunden und zeitgemäßen Beteiligung des Volkes an den größeren Finanz-Operationen.“
Nicht nur aufgrund der Spekulation inklusive Börsenkrach drängt sich der Vergleich mit der Gegenwart auf. „Am Himmel“ (am Cobenzl) kracht es schon vernehmlich im Gebälk, aber die Sothens wissen die De-facto-Leibeigenschaft ihres Personals aufrechtzuerhalten. Ihre Taktik stieße auch bei den neoliberalen Optimierungsfreunden von heute auf Anerkennung: den Druck nach unten weitergegeben, Abstiegs-
angst als billigste Motivation nutzen. „Unter allen Umständen müssen sie auseinanderdividiert werden“, sagt die Baronin, und der Gatte wünscht die Subalternen „lieber blind gegen den Herrn als sehend gegen ihresgleichen“.
Am Ende hat er es freilich übertrieben. „Die Arbeiter, ich habe schon immer gewarnt“, meint ein Major beim Begräbnis, als dem frisch zu Grabe Getragenen Steine in den Sarg nachgeworfen werden. Das einfache Volk schlägt sich beim Prozess auf die Seite Hüttlers, wie das Urteil der Geschworenen ausfällt (Schafott oder Freispruch?), wird hier nicht verraten.
Elisabeth Mayer macht anschaulich, was es heißt, „von der Güte derjenigen abzuhängen, die gar keine hatten“. Frostig lebt es sich vor Etablierung des Sozialstaates.