Die Gefährlichkeit der großen Ebene

Prosa III
372 Seiten, Hardcover
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Reihe Ror Wolf Werke
ISBN 9783895619229
Erscheinungsdatum 01.06.2012
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Verlag Schöffling
Herausgegeben von Kai U. Jürgens
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Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung GmbH
Kaiserstraße 79 | DE-60329 Frankfurt am Mai
info@schoeffling.de
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Kurzbeschreibung des Verlags

"Ein ins Schlingern geratener Vertreter für Tütensuppen ist in einem heruntergekommenen Hotel abgestiegen. Er trinkt viel und betrachtet durch ein Fenster die Straße mit ihren Schaufenstern und Passanten. Erinnerungen und Phantasien wechseln mit wüsten Abenteuern ab, in die er förmlich hineinfällt: Kälteattacken, Insektenbefall, das abrupte Weggleiten der Zivilisation. Dann wieder sieht er sich dem Reiz der Frauen ausgeliefert, die ihn während der Arbeit mit umgelegten Handtüchern und aufspringenden Bademänteln erwarten. An seiner Seite ist Nobo, eine Figur voller zweifelhafter Ideen und Absichten, die sich der Erzähler als einen Stichwortgeber aber vermutlich bloß ausgedacht hat. Gemeinsam sind sie in einer abgründigen Welt unterwegs, sofern siedabei nicht doch in ihren vier Wänden bleiben.Auch in Ror Wolfs drittem und ironisch als"Reise-Roman" bezeichnetem Prosatext DIE GEFÄHRLICHKEIT DER GROSSEN EBENE (1976) gibt es keine Gewißheiten: "Phantasie und Realität sind gleichberechtigt oder anders gesagt: DasPhantastische ist zugleich das Reale." (Ror Wolf)Die Sammlung umfaßt neben DIE GEFÄHRLICHKEIT DER GROSSEN EBENE (1976/1992) die ProsabändeDANKE SCHöN. NICHTS ZU DANKEN (1969/1995),MEHRERE MÄNNER (1987/1995) und bisher unveröffentlichte Texte Ror Wolfs."

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Reihe Ror Wolf Werke
ISBN 9783895619229
Erscheinungsdatum 01.06.2012
Genre Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
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FALTER-Rezension

Leuchtende Sätze in finsterer Nacht

Brigitte Kronauer in FALTER 26/2012 vom 29.06.2012 (S. 28)

Stur und leise schreibt Ror Wolf, was er will. Dieser Tage feiert der herausragende Prosaautor seinen 80er

Und als ich hinabsah, verschwand dieses Land, es drehte sich gurgelnd hinab in ein Loch. Und mein Luftschiff schwebt wie ein schöner Kuchen darüber hinweg. Ich verschleuderte meine Zukunft in einem Moment, meinen Ruf, meinen Ruhm, alles warf ich hinab. Und mein Schiff, einem großen Tropfen vergleichbar, floß am Himmel entlang, ohne hinunterzutropfen" (Ror Wolf, Schlusskadenz aus dem Bix Beiderbecke gewidmeten Reiseroman "Auf und Davon", 1977).

Ein Autor ist nicht für alle da
Ob der kleine Ausreißer aus dem Imperfekt ins Präsens bei "schwebt" dem Schwung einer höher als inhaltliche Logik bewerteten Melodik geschuldet ist?
Nirgendwo wird auf engem Raum so viel zitiert wie bei Besprechungen von Gedichten. Der Rezensent ist – im besten Fall – begeistert und will den Dichter selbst zu Worte kommen lassen, denn wie könnte er, der Kritiker, den Glanz des Originals erreichen oder gar steigern? Zugleich ist – wieder im günstigsten Fall – der eigentliche Zauber ohnehin nicht zu analysieren. Man wird von ihm gepackt und davongetragen.
Ähnlich geht es mir mit der Prosa Ror Wolfs. Man schlägt sie irgendwo auf und ist bezirzt von strahlenden Sätzen, gerade so, wie er selbst es sich laut Interview von einem Buch wünscht, unabhängig von irgendeinem Geschehensverlauf. Ich habe oft, auch gerade wieder, diesmal in einem Text von 1956 und einem von 2012, die Probe darauf gemacht.
Trotzdem und eben deshalb ist dieser Autor aber nicht einer für jedermann. Familiengeschichten etwa mit ihrer vorhersehbaren, zum bestätigenden Nicken einladenden Dramaturgie, nach wie vor exzessiv produziert, von der Buchwarenindustrie verlangt und vom Publikum prompt honoriert, waren nie seine Sache. Natürlich auch nicht poetisch gewandete politische Botschaften.
Die von Autoren geäußerte Behauptung oder Beschwörung, ihre Bücher seien für alle da, hält er "für arrogant oder naiv optimistisch". Ror Wolf kann seiner Skepsis gegenüber solcherart Berufskollegen kaltblütig ins Auge sehen, da er weiß, dass ihm, jenseits vom inszenierten Gewoge der Modewellen, ältere wie unverdrossen nachwachsende, von seinen Werken betörte Leser gewiss sind. Für sie gehört er zu den bedeutendsten deutschen Sprachkünstlern und Geschichtenerzählern der Gegenwart.
Leibhaftig bin ich ihm nur zweimal begegnet, 1979 und 2001, beide Male in Mainz. Kürzlich sah ich ihn im Fernsehen im Gespräch mit Denis Scheck. Da saß er, wieder in seinem Wohnort Mainz, mitten auf dem kahlen Platz des Fußballstadions wie in einer Küche und sagte, bescheiden mit leiser Stimme und absolut überzeugend in die ­Menschenleere, er habe immer so geschrieben, wie er wollte.
Man glaubt es ihm sofort. Für einen Schriftsteller ist es als Bilanz seiner bisherigen Arbeit die allerbeste, natürlich auch stolzeste, die er ziehen kann! Daran ändern alle verliehenen und vorenthaltenen nationalen/internationalen Preise nicht das Geringste. In Abwandlung einer Passage aus Helmut Heißenbüttels Büchner-Preis-Laudatio auf Ernst Jandl: "Für das, was einer wie Ror Wolf gemacht hat sowieso, kann man nicht belohnt werden."

Jenseits von Fett und Askese
Zurück zur Prosa, und nur für die fühle ich mich zuständig. Für die Gedichte, Hörspiele, Fußballtexte, Collagen, die ihm eine beträchtliche Popularität beschert haben, sind es andere. Mir ist von Anfang an stets der epische Ror Wolf das Herzstück des Ganzen gewesen.
Als ich in den 1960er-Jahren, noch unsicher in den eigenen literarischen Wegen, auf seine Abenteuerserie "Pilzer und Pelzer" stieß, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Noch nie hatte ich Vergleichbares gelesen, weder in der klassischen Moderne noch in der damals neuesten Literatur. Hier gab es Widerstand und Aufruhr gegen das Vorherrschende, was für mich bedeutete: gegen die atemabschnürende allgemeine Interpretation von Leben, die der damaligen Ideologie wie auch der schwerfälligen Nachkriegsliteratur.
Ich konnte mir keine überzeugendere Lösung vorstellen, mit ­jugendlicher Lust zu erzählen, ohne asketische Programmatik und Selbstkasteiung, aber auch ohne sich in den ausgedienten Erzählmustern fett großmeisterlich zu aalen und durch onkelhaftes Geraune brillieren zu wollen, als könnte man das 20. Jahrhundert einfach wegfabulieren.
Das Anbranden des Wolf'schen Universums eröffnete mir in der Folge eine vor Energie strotzende, sich selbst genügende Antiwelt, die als Nebenprodukt in aller Schärfe die Ärmlichkeit der offiziellen decouvrierte. Hier sprang jemand, wie ich es nie für möglich gehalten hatte, mit den Scherben von Realität und Geschichten um, deren Bau, Dramatik, Ablauf also durchaus nicht für alle Zeit von kollektiven Autoritäten festgelegt war, jonglierte mit Alltäglichkeiten, Sensationen, manischen Verengungen und Katastrophenmeldungen nach Gusto und Bedarf.
Das reicht von sachter Verfremdung, etwa durch ungewöhnliche, plötzlich umso plausiblere Adjektive bis zur rasenden Ereignisdichte. Statt psychologisch überschaubarer Handlungen samt Höhepunkt usw. erscheinen Gruppen, Massen von Dingen und Lebewesen, denen der Autor abrupt einen einzigen Seufzer, einen raschelnden Unterrock entgegensetzt. Drastische Essensschilderungen, Schiffsunglücke, Bergstürze sind durchschossen von Abstraktionen, Generalisierungen, Begrifflichkeiten, die in dieser Umgebung zu sinnlicher Eleganz auflaufen. Das eine führt in grotesker Steigerung das andere vor.

Spielerisch? Existenziell!
Die Frage nach Motivation, Sinn, Wahrscheinlichkeit stellt sich nicht. Über konventionelle Romanentwicklung triumphieren die Wörter, die Bilder (ein sterbendes Pferd, das Morsen einer Neonreklame), die Kontraktionen, das Entgleiten, das Keimen und Verlöschen, meist in hoher Geschwindigkeit. Die Differenz zwischen Banalem und Monströsem, von Ursache und Folge löst sich auf unter einem Blick, der die Phänomene beobachtet und erlebt, ohne sich um Zusammenhänge zu scheren, die nichts als alte Antworten parat haben.
Wie in der "Garage Hermétique" des Comiczeichners Moebius wuchert die Geschichte in alle Richtungen von Raum und Zeit, der Schwerkraft enthoben und den konventionellen Gefühlen. Und wie dort trifft man bei Ror Wolf sporadisch auf gute Bekannte, Witwen, Zigarren, Dr. Q, Al Capone, feste Säulen im Reich fantastischer Möglichkeiten.
Spielerisch allein ist das jedoch nicht. Man darf es getrost existenziell nennen: dieses vorwärtsstürmende und dann ratlos verharrende Erfinden, das sich ständig mit dem Leben selbst, den Erzähler am Atmen haltend, verquickt bis zur Identität. Die einzelnen Sätze scheinen in eine finstere Nacht gesprochen zu sein, in ein schwarzes Nichts, in dem sie als Leuchtpunkte glimmen. Sie suchen nicht ein bereits möbliertes Zimmer ab, sondern errichten eine Welt und verschlingen sie, installieren ein Ich und verschlucken es: "Jemand erzählte mir, daß ich verschwunden sei." Allerdings ist der Erzähler trotz seiner vielen Tode dann doch nie für immer gestorben. Mit neuen Imaginationen, und nur mit ihnen, stemmt er sich gegen seinen Untergang. Im Leser erzeugt es eine Empfindung der Befreiung von der Realität und zugleich von ihrer katastrophalen Gefährdung.

Plötzlich anschwellendes Obst
Was also hat man davon, Ror Wolf zu lesen? Er ist ein Dichter, der in seiner Prosa an einem einzigen ­großen Buch schreibt, mit Verästelungen und Wiederholungen, wiederkehrenden Motiven, überraschenden Schönheiten: "Ich saß wie in Aspik", "Plötzlich kam ich in eine Gegend, wo Obst anschwoll".
Im rasanten Vorwärtshasten durch eine unverständlich gewordene Realität spiegelt sich unser eigenes gegenwärtiges Erleben. Vom Zappen durch Zeitung, Nachrichten, Talkshows, Serien unterscheidet es sich fundamental: "Meine Schuhe sind stumpf, dabei stehen überall Schuhputzmaschinen mit weichen und harten Bürsten, die den Glanz dieser ganzen erbärmlichen Welt, einen strahlenden Glanz, garantieren, einen tadellos sprühenden, anstrengungslosen Glanz."
Unter Ror Wolfs Bearbeitung erhält die selbst in ihren Schrecken staubige, routiniert konsumierte Wirklichkeit – zur Not genügt die Lektüre einer halben Seite als Zwischenimbiss – Schimmer und Oszillieren zurück, wird kurzfristig und wir, die Leser, mit ihr, frisch, fremd, "tadellos sprühend".

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