

Diskrete Erinnerungen
Michael Omasta in FALTER 27/2024 vom 05.07.2024 (S. 26)
Michel Piccoli war eine Ikone des europäischen Kinos, ein „Vollblutschauspieler und zugleich das Gegenteil dieses Klischees“, wie der Übersetzer Ralph Eue im Nachwort zu „Ich habe in meinen Träumen gelebt“ bemerkt. Der schmale Band, im Original 2015 erschienen, hat nicht die Form geschwätziger Erinnerungen, sondern basiert auf der freundschaftlichen Korrespondenz zwischen Piccoli und Gilles Jacob, dem langjährigen Direktor des Filmfestivals von Cannes. Egal, ob es um seine Kindheit, die Lehrzeit auf der Bühne, das Älterwerden oder um Frauen geht, der Schauspieler erweist sich als diskreter, ganz und gar uneitler Erzähler. Brillant, wenn Piccoli über seinen Beruf reflektiert, dass er gerne spielen würde, wie Edvard Munch gemalt habe: „Wenn man seine Bilder aus der Entfernung betrachtet, kann man die Gegenstände klar erkennen, einen Baum oder jemanden, der schreit. Wenn man näher tritt, findet man Unordnung und Durcheinander. Tritt man zurück, verschwindet das Chaos wieder, aber die Erregung bleibt.“