

Im Raubkapitalismus der grünen Mäntel
Karin Chladek in FALTER 41/2015 vom 07.10.2015 (S. 47)
Ökologie: Kathrin Hartmann nimmt die Green Economy, Heike Holdinghausen Textilien unter die Lupe
Kathrin Hartmann kann Heuchelei nicht ausstehen. Seit ihrem ersten Buch „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt“ (2009) hat sich die Journalistin den Ruf aufgebaut, umweltzerstörerische Wirtschaftsunternehmen, aber auch NGOs, die ihrer Meinung nach zu konzernfreundlich sind, unter die Lupe zu nehmen und pointiert zu entlarven.
Aber auch die verbreitete Gier der Mittelklasse-Konsumenten, die auf keine Leckerei verzichten oder ihr Mobilitätsverhalten wirklich ändern wollen, ist ihr ein Dorn im Auge. Mit Globalisierungskritikerin Naomi Klein liegt sie insofern auf einer Linie, als beide das global dominante Wirtschaftssystem Kapitalismus als Auslöser von rasanter Umweltzerstörung und sozialen Verwerfungen ausgemacht haben.
Die sogenannte „Green Economy“, also die grüne Wirtschaft, sieht Hartmann als Heuchelei an, als Versuch von Großkonzernen, die Zerstörungen, die sie verursachen, als „nachhaltig“ zu verkaufen. Allesamt Greenwasher? Hartmann scheint oft über das Ziel hinauszuschießen. Allerdings tut man ihr Unrecht, wenn man ihr unterstellt, alle ernsthaft um Nachhaltigkeit bemühten Firmen in einen Topf zu stecken. Kleine Firmen und Nischen sind einfach nicht ihr Thema. Möglicherweise übersieht sie dabei, dass diese Nischen und vor allem Sharing-Trends wie Carsharing wirkliche Veränderungsmotoren sein und sich schnell durchsetzen könnten.
Hartmann geht es also vor allem um große Konzerne, die unser Wirtschaftssystem nach wie vor dominieren, und um Stiftungen. Da wird man sich schwertun, sie zu widerlegen. Dass die EU durch die Förderung von Agrosprit die Zerstörung vor allem der südostasiatischen Regenwälder und deren „Ersatz“ durch Palmölplantagen massiv verstärkt hat, ist zwar nicht neu, aber ein gutes Beispiel dafür, dass neue Produkte nicht einfach die alten ablösen können und damit alle Probleme gelöst sind. Solange Konsum, verschwenderischer Lebensstil und Produktion so weitergehen wie gehabt, wird sich an Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit nichts ändern.
Auch Elektromobile sind zwar wichtige Elemente eines neuen Mobilitätsmixes, aber allein noch keine Lösung. Denn auch sie benötigen Straßen und Strom. Solange immer neue Straßen gebaut werden, wo viel Boden ohnehin schon versiegelt und zerstört ist, solange Strom vorwiegend aus Kohle- und Atomkraftwerken oder großen Staudammanlagen kommt, sind Elektroautos nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Dass Hartmann das allseits als „böser“ Konzern bekannte US-Unternehmen Monsanto aufs Korn nimmt, ist nicht originell, aber wichtig, da es sich um einen der einflussreichsten Global Player handelt. Weniger bekannt ist da schon, was sie von den Hintergründen der satt dotierten Bill & Melinda Gates Stiftung berichtet: Hier nehmen wenige Superreiche großen Einfluss auf die globale Gesundheitspolitik. Durch seine konsequente Weigerung, Vermögenssteuer zahlen zu wollen, setzt der immer noch mit Abstand reichste Mann der Welt ein fatales Signal. Öffentliche Gesundheitssysteme werden ausgehungert, und die WHO wird immer abhängiger von seiner Stiftung.
Manchmal schüttet Hartmann dann aber doch das Kind mit dem Bade aus: etwa wenn sie behauptet, nur kritische Berichterstattung über Missstände sei richtige Berichterstattung. Damit befindet sie sich zwar in der guten Gesellschaft eines George Orwell, aber die Devise „Only bad news are good news“ ist doch etwas antiquiert. Nicht nur, dass eine journalistische Fokussierung auf Negatives, und sei dieses noch so gut recherchiert und geschrieben, allzu oft zur Folge hat, dass sich Leserinnen und Leser in spe überfordert fühlen oder das Buch beiseite legen, Hartmann übersieht auch, dass ihre eigene Berichterstattung über lokalen Widerstand etwa von Aktivistinnen und Aktivisten in Indonesien, die sich gegen die Abholzung von Regenwäldern zugunsten von Palmölfarmen wehren, zu den „good news“ gehört. Schließlich erzählt sie damit auch davon, dass Widerstand auch unter widrigen Umständen möglich ist.
Heike Holdinghausen legte 2011 gemeinsam mit Armin Reller das Buch „Wir konsumieren uns zu Tode: Warum wir unseren Lebensstil ändern müssen, wenn wir überleben wollen“ vor. In ihrem neuen Buch „Dreimal anziehen, weg damit“ widmet sie sich dem Thema Textil. Wie konnte es so weit kommen, dass der Großteil der Textilproduktion heute in asiatischen Ländern stattfindet? Warum sorgt gerade die Textilbranche regelmäßig für internationale Skandale?
Warum schuften Frauen und Kinder unter gefährlichen, unangenehmen und teilweise sogar menschenrechtswidrigen Umständen in Textilfabriken? An welchen Gütesiegeln können sich Konsumenten wirklich orientieren, wenn die Politik versagt? Weshalb ist die Textilproduktion so umweltschädlich? Warum setzen sich umweltfreundliche, traditionelle Fasern wie Hanf und Leinen gegenüber der ewig durstigen Baumwolle nicht durch?
Welche fatalen Folgen hat das „Immer schneller, immer mehr“, das große Ketten und Modehäuser ihren Kunden vorgeben? Und warum spielen da so viele mit? Das Thema Textil ist nicht neu, aber das, was Holdinghausen daraus macht, ist wirklich spannend, auch für Leserinnen und Leser, die sich selbst für gut informiert halten.
Bei Holdinghausen findet man viele Fakten und gut recherchierte Zusammenhänge. Zum Beispiel, welche Textilfirmen in Deutschland geblieben sind und wie sie das trotz des wirtschaftlichen Drucks schaffen. Es gibt Alternativen, wenn man informiert ist und es anders macht als der Mainstream. Das ist die Botschaft sowohl von Kathrin Hartmann als auch von Heike Holdinghausen.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: