

Miteinander wachsen statt gegeneinander untergehen
Sepp Zuckerstätter in FALTER 3/2017 vom 20.01.2017 (S. 63)
Eine Studie aus 13 europäischen Ländern zeigt, warum die Europäische Union eine solidarische Lohnpolitik braucht
Wie muss Lohnpolitik in Europa gestaltet werden, um eine inklusive, wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik zu unterstützen? Dieser Frage gingen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus 13 europäischen Ländern im Rahmen eines Forschungsprojekts zur Lohnpolitik in Europa nach. Ihre Erkenntnisse sind nun beim VSA Verlag auch auf Deutsch erschienen.
Wann immer die EU als das große Friedensprojekt gelobt wurde, war für gewöhnlich auch der soziale Friede mitgemeint. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sollten in koordinierten Lohnverhandlungen den Gleichklang von Löhnen und Produktivität sicherstellen. Nur so kann sich nämlich die Nachfrage der großen Mehrheit der ArbeitnehmerInnen im Gleichtakt mit der Produktion entwickeln. Dass die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus durch kluge politische Steuerung behoben werden muss, war somit Teil des Nachkriegskonsenses.
Spätestens ab den 90ern setzte sich jedoch eine andere Sichtweise auf Löhne durch. Löhne wurden seither einseitig als Problem für die Wettbewerbsfähigkeit definiert. Bei Ausbruch der Krise hatte sich diese Sicht bei den Vertretern der EU-Kommission, der EZB und auch des Internationalen Währungsfonds, kurz der Troika, bereits weitgehend verfestigt.
Die desaströsen Auswirkungen der Troika-Politik auf die einzelnen Staaten werden im ersten Teil des Buches dargestellt. Sie betreffen nicht nur Krisenstaaten, sondern auch andere Länder, die direkt oder indirekt von der neuen wirtschaftspolitischen Regelung in der EU betroffen waren.
Im zweiten Teil zeigen die Kapitel sieben und acht, warum das Konzept, durch Lohnsenkungen und Exportgewinne die Krise zu überwinden, auf europäischer Ebene nicht funktionieren konnte.
Selbst beim „Exportweltmeister“ Deutschland machen die Exporte nur ein Drittel der Gesamtnachfrage aus, und für die EU als Ganzes besteht die Nachfrage zu 85 Prozent aus inländischer – also europäischer – Nachfrage. Wer immer also die Löhne für einen Teil der europäischen Bevölkerung senkt, drückt damit auch die Nachfrage für Produkte oder Dienstleistungen Europas.
Mit der Schwächung der Kollektivvertragsverhandlungen wurde das Steuerrad für die Lohnentwicklung über Bord geworfen. In der, wie sich zeigte, unberechtigten Hoffnung, „der Markt“ werde die Wirtschaft ins Gleichgewicht bringen. Demgegenüber steht eine alternative Sichtweise, wie sie in den Kapiteln neun bis elf skizziert wird, die auf eine – wenn auch voraussetzungsvolle – expansivere und solidarischere Lohnpolitik in Europa setzt.
Wachstum in einem stark integrierten Europa kann es nicht gegeneinander geben, auch wenn das die herrschende Wettbewerbs(des)orientierung behauptet. Eine inklusive, wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik ist nur miteinander möglich. Dazu braucht es statt Lohnsenkungswettläufen eine koordinierte produktivitätsorientierte Lohnpolitik, wie die Herausgeber in ihrer sehr lesenswerten Zusammenfassung darlegen.