Keine Würfelwelt

Architekturpositionen einer "bodenständigen" Moderne Graz 1918-1938
254 Seiten, Taschenbuch
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ISBN 9783901174650
Erscheinungsdatum 24.10.2007
Genre Kunst/Architektur
Verlag Haus der Architektur Graz
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Kurzbeschreibung des Verlags

Das „allzu Moderne“ wurde im Grazer Architekturmilieu der 20er- und 30er-Jahre mit wenigen Ausnahmen bekämpft, die „bodenständige“ Tradition als Inspirationsquelle hingegen gefördert und die Harmonisierung von scheinbar unvereinbaren Gegensätzen propagiert. Dem Bild der „kalten Wohnmaschine“ stellte man jenes des „beseelten Heimes“ entgegen. So wurde das 1928 errichtete Musterhaus des Steiermärkischen Werkbundes auch als gebautes Manifest in Opposition zur Stuttgarter Weißenhofsiedlung verstanden. „Heimat“ und „Boden“, „Nation“ und „Volk“ waren hier die Parameter eines Moderne-Diskurses, der die rational-technikorientierte und politisch links verortete Architektur des Neuen Bauens mit einer „bodenständigen“, alpinen Variante zu konfrontieren suchte – nicht (nur) als Ergebnis provinzieller Rückständigkeit, sondern ganz bewusst in Kenntnis der internationalen Entwicklungen. Im Kontext der österreichischen Architektur der Zwischenkriegszeit, die oft als „moderate“ (da mit der Tradition nicht radikal brechende) Moderne bezeichnet wird, deckt Graz den traditionalistischen und ideologisch aufgeladenen Rand des Spektrums ab.

Doch auch wenn sich selbst die Progressivsten unter den Architekten dem Mainstream anzupassen hatten und trotz Wirtschaftskrise entstanden um 1930 in Graz eine ganze Reihe von Bauten, die eine optimistische, großstädtisch-moderne Haltung vertraten. Aus politisch-weltanschaulichen Gründen hatten herausragende Architektenpersönlichkeiten wie Herbert Eichholzer, Eugen Székely und Rambald Steinbüchel-Rheinwall, die den österreichischen Vergleich nicht zu scheuen brauchten, trotzdem einen schweren Stand und emigrierten in Richtung Haifa und Istanbul, oder verließen Graz, um in einer innovativeren Atmosphäre zu arbeiten.

Das Spannungsfeld der Grazer Architektur in den politisch und weltanschaulich radikalisierten Jahren 1918–1938 ist bisher noch kaum erforscht worden und wird deshalb nur vereinzelt wahrgenommen, auch im Hinblick auf die mehrere Jahrzehnte später entstandene, so genannte „Grazer Schule der Architektur“. Diese Lücke schließt nun das reich bebilderte Buch der Kunsthistorikerin Antje S. de Grancy, die damit an ihre Forschungen zur Architekturreform um 1900 anschließen kann. Die Autorin geht der Frage nach, warum in Graz gerade k e i n e „Würfelwelt“ entstanden ist. Dazu rollt sie eine Zeit der Widersprüche und Mehrdeutigkeiten auf und beleuchtet Kontinuitäten architektonischer Positionen, die über alle politischen und gesellschaftlichen Veränderungen von der Jahrhundertwende bis in die Wiederaufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinwegreichen. Sie untersucht, auf welche Weise im kulturellen Feld von Graz die verschiedenen konkurrierenden Ideen einer zeitgemäßen Architektur in Vereinigungen (Steiermärkischer Werkbund, Sezession Graz) und Medien, aber auch auf biografischer Ebene aufgenommen, diskutiert und verteidigt oder abgelehnt wurden. Dabei wird auf Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre im Rahmen des SFB „Moderne“ an der Karl-Franzens-Universität Graz sowie der Architekturfakultät der TU Graz zurückgegriffen.

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ISBN 9783901174650
Erscheinungsdatum 24.10.2007
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FALTER-Rezension

Graz war nie modern

Albert Kirchengást in FALTER 45/2007 vom 09.11.2007 (S. 6)

Der Formenkanon der Moderne ist en vogue. Die Ambivalenz seiner Wurzeln nicht. Diese legt nun eine Publikation für Graz frei.

Wer vom einschlägigen Heftchen aus dem Grazer Tourismusbüro zur "modernen Architektur" geführt werden will, kann sich zumindest sicher sein, dass er nicht dort ankommt. Die Verwechslung ist paradigmatisch: Zwischen "modernem" Bauen der Zwanzigerjahre und zeitgenössischem wird hier kein Unterschied gemacht.

Das ist kein Einzelfall: Weder der 2003 mit landespolitischem Wohlwollen publizierte "Architekturführer Graz" noch jener Dietrich Eckers aus dem Jahr 1987 bemühen sich um eine Darstellung des vor den Fünfzigerjahren Errichteten. So viel konsequente Leugnung macht neugierig: Ist da nichts? Doch: Nur einige der interessantesten Bauten, vor allem von kritischen Architekten wie Herbert Eichholzer und Eugen Székely, sind inzwischen völlig aus dem Stadtbild verschwunden. Mangels öffentlichen Bewusstseins und tätiger Institutionen konnten Unfälle wie der Thalia-Umbau, ehedem eines der wenigen noch intakten Fünfziger-Ensembles in Österreich, passieren. Dennoch finden sich noch einige herausragende Bauten, allen voran das Stadtwerke-Gebäude am Andreas-Hofer-Platz oder das ehemalige Hotel International mit den Kammersälen in der Strauchergasse sowie das Werkbundhaus, hübsch rot hinter einem steinernen Sockel und einer hölzernen Pergola in der Schubertstraße versteckt.

Die Kunsthistorikerin Antje Senarclens de Grancy untersucht in ihrem aktuellen Buch "Keine Würfelwelt" erstmals ausführlich die Grazer Bauszene der Zwischenkriegszeit. Aber auch de Grancys Vorgängerbuch, das man als ersten Teil ihrer chronologischen Auseinandersetzung mit der Geschichte der lokalen Architekturdiskurse ab 1900 sehen kann, belegt, wie gering das Interesse an diesem Thema ist. In wissenschaftlichen Publikationen international zitiert, findet es in Graz erschütternd wenig Resonanz. Nun, nach siebenjähriger Recherchetätigkeit, füllt sich mit ihrer neuen kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung eine, wie de Grancy nachweist, heikle Lücke: Die Architektur der Grazer Moderne war demnach ein Amalgam aus Modernität und Traditionsgebundenheit. Eher eine doppelbödige Sache. Um es aufs streitbare Klischee zu bringen - unentschieden zwischen Flachdach und Satteldach. Am besten, man baute beides. Je nachdem, für wen.

Während in Wien einer einseitig technik- und fortschrittsgerichteten Moderne eine "moderate", undogmatische Moderne entgegengesetzt wurde, grenzten sich die Grazer selbst von diesem Modell ab. Im Fokus lag eine anti-urbane, auf Tradition, Boden und Heimat gerichtete Version "freudiger Sachlichkeit", die im Grazer Werkbundhaus von 1928 als vielleicht einzigem Beispiel die Synthese innerhalb eines Bauwerks schafft. Die weltanschaulichen und ästhetischen Brüche gingen auch mitten durch Leben und Werk der Architekten. Selbst Herbert Eichholzer, der im Widerstand von den Nazis hingerichtet wurde, hat neben modernen Strukturen à la Le Corbusier steirische Bauernstuben gestaltet. Bis vor kurzem hat der Verein "Baukultur Steiermark", der besondere Bauleistungen mit dem "Geramb-Dankzeichen für gutes Bauen" auszeichnet, den Namen "Verein für Heimatschutz" fortgeführt. War der Heimatschutzverein zu Beginn des 20. Jahrhunderts Träger einer - wenn auch traditionsgebundenen - Architekturreform, so gehörten einige der Mitglieder ab den Dreißigerjahren personell einem völkisch-nationalsozialistischen Kreis an und hoben noch in den Siebzigern verharmlosend Fritz Haas' NS-Planungen für die Führerstadt Graz hervor. Die Ambivalenzen der Zwischenkriegszeit, die 1945 oft nahtlos weitergeführt wurden, sind heute im öffentlichen Bewusstsein kaum präsent.

"Keine Würfelwelt" schreibt darum keine traditionelle Architekturgeschichte, die herausragende Bauten einer Epoche untersucht, sondern sucht durch Darstellung der Debatten, Kontroversen und Meinungsbildner der Architekturmoderne in Vereinen (wie dem Steiermärkischen Werkbund und der Sezession Graz), in Ausstellungen, Zeitschriften und Tageszeitungen die Doppelbödigkeit von Konzepten wie jenem einer im Steirischen und Alpin-Traditionellen verankerten "bodenständigen" Moderne zum Vorschein zu bringen.

Augenfällig im annähernd zeitgleich erschienenen "06/07 jahrbuch.architektur.HDA.graz", einer vermittelnden Werkschau des Hauses der Architektur Graz, wird ein Projekt der Architekten Fiedler/Tornquist, das die sensible Adaptierung einer Schlüssel-Architektur von Eichholzer/Badl aus dem Jahr 1936 vorexerziert. Der geglückten Revitalisierung des "Hauses Lind" ging 2001 eine solitäre Rettungsaktion unter Initiative der beiden Architekten voraus. Denn trotz erreichtem Denkmalschutz-Status ließ damals ein privater Investor zunächst die Fenster herausbrechen, das Haus sollte verfallen, das Grundstück selbst aber war wertvoll.

Für de Grancy, die gemeinsam mit Heimo Halbrainer selbst eine Eichholzer-Monografie herausgegeben hat, wird gerade die Person Eichholzer gern als "Feigenblatt" zur Abwehr eines dialektischen Blicks auf ihn und seine Zeit eingesetzt: "Man darf nicht vergessen, dass die Moderne an sich ja kein geschlossenes ästhetisches System war und viel breiter und ambivalenter, als es uns eine Geschichtsschreibung bis in die Achtzigerjahre glauben ließ." "Haus Lind" ist aber kein Fremdkörper im Jahrbuch: Alles wieder da - Bandfenster, Flachdach, kubische Formen. Ob die Betonung der eigenen Geschichtslosigkeit und originären Expressivität der Grazer Schule nicht geradezu befördert hat, dass die eigene unreflektierte Geschichte heute als unreflektierte Form wiederkehrt? Unreflektiert, weil, wie de Grancy in der Fallstudie Graz zeigt, diese eindeutige "weiße" Moderne ein retrospektives Konstrukt ist.

Im Diktat eines Trends werden Stil-Schablonen des frühen 20. Jahrhunderts bedingungslos kopiert. Welche Bauten aber würden präsentiert, wenn die Auseinandersetzung mit den Ambivalenzen und Defiziten der klassischen Moderne in den Diskurs eingegangen wäre? Für die Würfelwelt, die Kuben der neuen formalistischen Moderne, nehme man das Jahrbuch zur Hand. Für die kritische Betrachtung ihrer Vorbilder hat de Grancy eine Wegmarke gesetzt.

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