
Der Rebell im biblischen Alter
Werner Hörtner in FALTER 44/2014 vom 29.10.2014 (S. 19)
Der Arzt, Politaktivist und Schriftsteller Alfredo Bauer wird 90 und veröffentlicht ein Buch über Jesus, David, Adam und Eva
Wie so viele andere Juden musste auch der Wiener Alfredo Bauer 1938 aus dem zu einem Teil Nazideutschlands gewordenen Österreich flüchten. Er landete in Argentinien, wo er Verwandte hatte und wo ihm später eine beeindruckende Karriere als Arzt, Politaktivist und Schriftsteller gelingen sollte.
Bauer, 1924 in Wien geboren, studierte in Buenos Aires Medizin und betätigte sich politisch in der antifaschistischen Exilorganisation "Austria Libre", dann als Mitglied der Kommunistischen Partei Argentiniens und schließlich in der sozialistischen Bewegung "Vorwärts", einem bereits 1882 von deutschen Arbeitsmigranten in Argentinien gegründeten Verein.
Neben Politik und Medizin ist Literatur die dritte Achse in Bauers Leben. Sein zumindest vorläufig letztes Werk wurde gerade rechtzeitig zu seinem 90er von der Kramer Gesellschaft herausgegeben, "Der sanfte Rebell".
Es handelt sich dabei um eine Neuerzählung berühmter biblischer Geschichten, beginnend mit Jesus und dann immer weiter zurück zum Buch Esther, zu König David, zu Abraham und seinen Nachkommen bis hin zu Adam und Eva.
Niemand in Bauers Freundeskreis kann sich erklären, wie er seine vielen Aktivitäten in der zeitlichen Begrenzung eines Tages, eines Jahres, eines Lebens unterbringen konnte.
Vor zwei Jahren veröffentlichte Alfredo Bauer im Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft in Wien einen Romanzyklus mit dem Titel "Die Vorgänger", was er selbst als sein wichtigstes Werk bezeichnet, als sein Lebenswerk.
Seine fünf autobiografischen Bücher, teils auf Spanisch geschrieben und in Argentinien verlegt, teils auf Deutsch in der DDR erschienen, wurden in Zusammenarbeit mit dem Autor in einem einzigen Band zusammengefasst. Sie basieren auf den Tagebuchaufzeichnungen seines Urgroßvaters Adolf Baiersdorf, einem Teilnehmer der Revolution von 1848, und führen bis zur Flucht in die "Neue Welt". Eine Geschichte über die Siege und Niederlagen im Kampf um die jüdische Emanzipation, über das Erstarken der Sozialdemokratie und ihre verhängnisvollen Fehler im Vorfeld des Ersten Weltkrieges.
Gegen die Kollektivschuld
Trotz aller Gräuel, die seine Vorgänger und teilweise er selbst erlebt haben, bewahrt sich der Autor seinen Glauben an die Menschheit. Ein Glauben, den er seiner Meinung nach von seinen Vorfahren geerbt hat.
"Hartnäckig glaubten sie daran, dass auf die Dauer die Vernunft sich durchsetzen müsse. Dass am Ende dieses verdammte, seit undenklichen Zeiten getriebene Spiel, den Menschen zu gebrauchen, um seinesgleichen zu schlagen und zu schinden, nicht mehr zu machen sein würde", schreibt Bauer in der Einleitung. Vor zwei Jahren, zum Erscheinen dieses Buches, kam Alfredo Bauer zum letzten Mal nach Österreich. Dabei besuchte er mehrere Städte und vor allem Schulen. Und wie immer bei seinen öffentlichen Auftritten in Österreich trat der lebenslange Antifaschist und Sozialist mit Vehemenz gegen die Pauschalverurteilung von Deutschland und Österreich wegen des Holocausts auf.
"Diejenigen, die jene Untaten begangen haben, waren ja zunächst Feinde ihres eigenen Volkes und eben dadurch auch unsere Feinde", sagte er damals.
Heine und Napoleons Frau
Bauer beschäftigte sich viel mit der Geschichte der Juden (unter anderem in einer mehrbändigen "Kritischen Geschichte des Judentums" und im Sammelband "2000 Jahre jüdisches Schicksal"), mit der Emanzipation der Frauen, mit der ewigen Frage von Gut und Böse. Er schrieb Biografien über Stefan Zweig, über Marie Louise (die österreichische Frau Napoleons), über Mussolini, Erzählungen und übersetzte deutschsprachige Autoren (Heine, Soyfer und Mitterer) ins Spanische.
Im aktuellen Werk "Der sanfte Rebell" präsentiert er die biblischen Erzählungen in Szenenfolgen, die er mit lyrischen Elementen ausschmückt. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er der Rolle der Frau in der Bibel. Die "unbefleckte Empfängnis" interpretiert und kritisiert Bauer als "Entweiblichung" der Frau.
Bei der erstmaligen Präsentation des Buches am 11. November wird Felix Mitterer, den eine lange Zusammenarbeit mit Bauer verbindet, Passagen aus dem Werk vorlesen.


