

Auf dem Eiland der Niedlichkeit
Florian Obkircher in FALTER 4/2010 vom 29.01.2010 (S. 27)
Unser Name bezieht sich auf die Glaskugeln. In Anspielung auf das Kindliche und Nette daran. Außerdem klingt Murmel Comics ein bisschen so wie Marvel Comics, nicht?", sagt Roland Schifferegger und grinst verschmitzt. An die andere Bedeutung des Wortes, an das leise, undeutliche Sprechen, habe er vor elf Jahren nicht gedacht, als er einen Namen für das Comicheft suchte, "weil murmeln tu ich ja eh selbst".
Der Lauteste ist er wirklich nicht. Schifferegger ist 44, Hornbrillenträger, Privatier und groß gewachsen. Er lächelt gerne, spricht leise, lässt seinen Südtiroler Dialekt nur selten durchblitzen und hält sich in Gesprächen vornehm zurück. Ein sympathischer Zeitgenosse.
Genau wie seine Comicfigur. Schifferegger zeichnet sich nämlich selbst. Im Rahmen der Comics-Anthologie Murmel bringt er Episoden aus seinem Leben regelmäßig auf Papier. Sei es die Einkaufstour durch den siebten Bezirk, eine Radfahrt im Schnee oder seine letzte Partynacht im Schikaneder: Der Alltag ist in seinen Geschichten ein Superheld.
Elf Jahre ist es her, dass Schifferegger und Sonja Eismann Murmel Comics gegründet haben. Als er sie damals bei ihrem Auslandssemester in Kalifornien besucht hat, stieß er dort auf Underground-Comics. Auf Comics mit direkteren, anderen Geschichten eben, die Do-it-yourself-Spirit atmeten und nicht für Kinder bestimmt waren. "Und Sonja fand: Hey, wir könnten das ja wirklich auch selber machen. Das war der Startschuss für Murmel", erinnert sich Schifferegger.
Seit dem erscheint die rund 50-seitige DIN-A5-Anthologie dreimal im Jahr. Früher in einer Auflage von 50 Stück, heute sind es 150. Früher im Copyshop in der Westbahnstraße schwarz-weiß kopiert und handgeheftet, heute digital gedruckt. "Seitdem gibt's in Murmel Comics endlich auch Graustufen. Außerdem sparen wir dadurch viel Arbeit und Zeit." Regulär wird das Heft an drei Orten in Wien (Lhotzkys Literaturbuffet, Motmotshop, Polyklamott) verkauft, es gibt einen Abonnenten in Wels.
Welteroberungsstrategien sehen wahrlich anders aus. Doch darum geht's den Murmels nicht, bei ihnen steht das soziale Netzwerk im Vordergrund. So besteht die Familie neben dem Kernteam, dem außer Schifferegger und Eismann noch Arno Raffeiner, Elfi Spießberger und Christian Zemsauer angehören, aus etwa 40 Hobbyzeichnern aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Südtirol, die ihre Comicstrips regelmäßig bei Murmel veröffentlichen.
"Das zeichnerische Können oder Nichtkönnen spielt dabei keine Rolle, denn niemand, der etwas erzählen oder zeichnen möchte, soll ausgeschlossen werden – es gibt weder ein zu schlecht noch ein zu gut. Dem Qualitätsterror setzt Murmel ein offenes, partizipatives System entgegen", proklamiert die Gruppe.
Wie man sich bei einer so offenen Politik dennoch Qualität bewahrt? Zemsauer, 36, Deutschlehrer und eigenen Angaben zufolge nach elf Jahren Murmel Comics außerdem Copyshop-Profihefter, meint: "Wir haben bis jetzt wirklich fast alle Einsendungen veröffentlicht. Denn die Leute, die sich für Murmel interessieren, schicken keinen Blödsinn. Wir haben noch nie einen Strip zugeschickt bekommen, in dem ein Typ mit der Kanone herumballert."
Das lassen schon die Themenvorgaben, die das Murmel-Kollektiv für seine Hefte auswählt, nicht wirklich zu: Mein liebstes Tier. Kind sein. Pläne machen. In der Küche. Themen, die viel über die Menschen dahinter aussagen.
"Murmel-Zeichner sind Beobachter", sagt Schifferegger über sich und seine Freunde. Zemsauer ergänzt: "Und sie sind sicher nicht die aufgeregtesten Menschen." Eine Tatsache, die sich schon an Schiffereggers Hobbys – Radfahren und Eichörnchenfüttern im Augarten – ablesen lässt.
Murmel-Zeichner wie -Leser, oft ja in Personalunion, sind Menschen, die sich Zeit nehmen. Menschen mit hintergründigem Humor. Menschen, die die Niedlichkeit der Volksschulschrift schätzen. Menschen eben, die ihre kleinen Geschichten in Comics erzählen. Davon, wie man im Thai-Restaurant die Brennpaste mit der Soße verwechselt. Oder von einem Zillertaler Hund, der die Zugfahrpläne auswendig weiß. Oder von einer Konzertreise zum Ladyfest in Rumänien, auf dem nur Männerbands spielen.
Diese und knapp 90 andere Geschichten aus 30 Murmel-Heften wurden gerade in Buchform beim Wiener Luftschacht-Verlag veröffentlicht. Ein Best-of sei es nicht, versichern die Macher, das widerspräche dem Anti-Qualitätsterror-Ansatz. "Me, Making Funny Faces" ist vielmehr eine subjektive Sammlung von Strips. Und eine Dokumentation, denn die meisten der originalen Murmel Comics aus der Anfangszeit sind schon lange vergriffen. Zum Titel meint Zemsauer: "Erstens zeichnen wir uns oft selbst. Und zweitens: Weil ja die meisten von uns erst durch Murmel mit dem Zeichnen begonnen haben, schaut das dann halt oft auch komisch aus."