
Das schwule Wien und ein uner-gründlicher Mann
Sebastian Fasthuber in FALTER 47/2020 vom 18.11.2020 (S. 32)
Im kleinen Wiener Verlag Septime erscheinen immer wieder großartige Bücher. Dazu zählen übersetzte Schätze – Romane des japanischen Autors Shusaku Endo (1923–1996) oder des Norwegers Jan Kjærstad –, aber auch Werke heimischer Autorinnen und Autoren. Jüngster Grund zur Freude ist Jürgen Bauers Roman „Por-trait“, der literarische Raffinesse und Unterhaltung unter einen Hut bringt.
Weiterbildung gibt’s obendrauf: Das Buch ist im schwulen Wien der 1970er- und frühen 80er-Jahre angesiedelt – zwischen im Geheimen ausgelebter Sexualität und dem immer stärker werdenden Wunsch, sich nicht mehr verstecken zu müssen.
Das Zentrum des Romans bildet Georg. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs geboren, aus bäuerlichen Verhältnissen in die Stadt geflohen und nun als Jurist auf Karriere eingestellt, würde es ihm nie einfallen, sich zu outen. Wirklich er selbst sein kann er nur in einer Handvoll Lokalen und Cafés, in denen die Szene unter sich ist und niemand Angst haben muss, verprügelt oder als „Warmer“ beschimpft zu werden.
Der Clou des Romans ist, dass der Held darin nie zu Wort kommt. Bis zum Ende bleibt er eine schwer zu fassende, ja unergründliche Figur. Bauer bietet drei Versionen seiner Lebens-geschichte und lässt jene Menschen erzählen, die Georg am nächsten gekommen sind: seine Mutter Mariedl, seinen langjährigen Lover Gabriel und seine Ehefrau Sara, die er nicht nur zum Schein heiratet. Das Herzstück sind Gabriels Schilderungen. Georg ist schon 30, als er den da noch minderjährigen Wildfang kennenlernt. Gabriel rebelliert gegen alle Konventionen und führt ein selbstzerstörerisches Leben. Georg wirft er vor, im Grunde so bürgerlich-spießig zu sein wie Heteros.
Die drei Fassungen der Geschichte decken sich zum Teil, widersprechen einander mitunter aber auch massiv. Es gibt eben nicht nur eine Wahrheit über einen Menschen; zumal über einen, der nie offen über seine Gefühle gesprochen hat. „Portrait“ schildert eine vergangene Epoche. Verschlossene Typen wie Georg indes gibt es immer noch.


