

Jetzt ist aber Schluss!
Gerlinde Pölsler in FALTER 4/2018 vom 26.01.2018 (S. 46)
Petra Szammer erzählt über Gewalt in der Kindheit und wie sie sich vom schweren Erbe befreite
Mama, wie war meine Geburt? Die kleine Petra fragt das öfter. Doch wenn die Mutter überhaupt antwortet, dann, dass sie enttäuscht gewesen sei, dass sie ein Mädchen bekommen hat.
Die Mutter lässt das Kleinkind oft allein, zwingt es später zum Scheitlknien, schlägt es. Sie ignoriert ihr Kind. So wie sie selbst einst geschlagen und ignoriert worden war.
Die Psychotherapeutin Petra Szammer, Jahrgang 1964, erzählt in ihrer berührenden Biografie „Von einer zur anderen“, wie sich Erfahrungen von Krieg, Gewalt und brutalem Drill in ihrer Familie fortpflanzten. Transgenerationale Weitergabe nennt sich dieses Phänomen. „Leid potenziert sich, je länger wir es verdrängen“, sagt die Autorin. Gerade das Schweigen der Eltern – mit dem Ziel, die Kinder zu schützen – macht es diesen schwer. Sie spüren: Da ist etwas Bedrohliches; sie können es aber nicht benennen.
Die Autorin trägt Erinnerungsfragmente zusammen: von ihrer Mutter Gundula, geboren 1944, die hören muss, sie sei ein „Nazi-Balg“. Gundulas Mutter hat ebenso wenig Freude mit ihr wie die Großmutter, bei der sie das Kind abgibt.
Ab der NS-Zeit war die Erziehung geprägt vom Bestseller „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“: Johanna Haarer zeichnete darin ein Bild vom Kind als Feind. Dessen Bedürfnisse zählten nicht, vielmehr gelte es, seinen Willen zu brechen, damit es einst seinen Vaterlandspflichten nachkommt. Noch jahrzehntelang wirkt diese „schwarze Pädagogik“ nach.
Petra Szammer trifft es besonders hart: Ihr Bruder, der ersehnte Sohn, stirbt mit wenigen Jahren an einem Herzfehler. Nach der Geburt eines weiteren Sohnes verlässt die Mutter die Familie. Sie nimmt alles mit, was ihr gehört – die Kiste mit Petras gesammelten Liebesbezeugungen lässt sie da. Die Zwölfjährige bleibt zurück beim Vater, der für seine Verzweiflung keine Worte findet.
Szammers Buch ist keine Anklage. „Ich stelle mir meine Eltern vor, als sie noch klein waren. (…) Ihre Angst und Hilflosigkeit, weil niemand da war, der ihre Gefühle ernst genommen und bestätigt hätte.“ Ihre Ahnen, meint sie, konnten sich dem verhängnisvollen Erbe noch nicht entziehen.
Petra Szammer konnte. Die erste eigene Wohnung brachte die Wende, Szammer arbeitete als Kinderbetreuerin. Sie beschäftigte sich mit Montessori-Pädagogik und gewaltfreier Kommunikation und gründete einen Kindergarten, den sie 30 Jahre lang führte. Jahrelang beschäftigte sie sich mit ihrer Geschichte, stellte sich ihr in Therapien. In den 1990ern bekam sie selbst eine Tochter – und konnte den Bann brechen, wie sie sagt: „Unsere Generation hatte als Erste die Möglichkeit, die Muster der Gewalt zu reflektieren und zu durchbrechen.“
Auf ihr Buch hin würden sich viele melden, die Ähnliches erlitten hätten. Szammer möchte alle ermutigen, sich damit zu befassen. Traumata müssten nicht mehr zwangsweise an die nächste Generation weitergegeben und auch nicht durch Gewalt an sich selbst oder anderen ausagiert werden. Bei ihr selbst hätten die schmerzhaften Erfahrungen sogar dazu geführt, „dass ich meine Lebensaufgabe fand“.