

Eins, zwei. Zack, zack, zack
Sebastian Fasthuber in FALTER 11/2020 vom 13.03.2020 (S. 28)
Kim Ryeo-Ryeong erzählt von einem 17-Jährigen in Seoul
Korea ist überall. Die südkoreanische Popkultur, K-Pop genannt, hat in den letzten Jahren ganz Asien und in der Folge auch Europa und Nordamerika erobert, die Boygroup BTS führte mehrfach die US-Charts an. Der Film zog nach, die Gesellschaftssatire „Parasite“ räumte heuer vier Oscars ab. Sogar nach Nordkorea sollen schon DVDs eingeschmuggelt worden sein. Das Buchgeschäft hat die koreanische Welle verhältnismäßig langsam erreicht. Han Kang gewann mit „Die Vegetarierin“, ihrem Roman über eine Hausfrau, die alle tierischen Produkte aus ihrem Haushalt verbannt, 2016 den Man Booker Prize. Jeong Yu-jeong wiederum ließ mit ihren harten, aber auch literarisch ansprechenden Thrillern aufhorchen. Noch sind Übersetzungen aus dem Koreanischen aber selten geblieben.
Mit Kim Ryeo-Ryeong lässt sich nun eine weitere Autorin in deutscher Sprache entdecken. Im Schweizer Verlag Baobab Books ist ihr Roman „Eins – zwei. Eins – zwei – drei“ erschienen, mit dem ihr 2008 in ihrer Heimat der Durchbruch gelang. Dass das kein Zufall war, ist nach ein paar Seiten klar: Der atemlose Rhythmus und der rotzige Ton des Romans packen einen sofort.
Ohne jede Einleitung befindet man sich im skurrilen Leben des 17-jährigen Wan-Duk, der mit seinem kleinwüchsigen Vater und seinem stotternden Onkel in einer Ein-Zimmer-Wohnung lebt. Die Geschichte wird so lebendig, sprunghaft und kühn erzählt, wie es im Kopf eines Spätpubertierenden auch zugeht. So wirkt auch der Schulunterricht wie ein wilder Action-Film. Gewalt ist omnipräsent. Lehrer versetzen ihren Schülern systematisch Schläge, und die Vorbereitungsstunden auf die Universität heißen zwar „FL“ (Freiwilliges Lernen), sind aber Pflicht. Wan-Duk drückt sich vor ihnen, wo er nur kann. Umso öfter prügelt er sich, weil er wegen seines Vaters und seiner Armut gehänselt wird. Sein Klassenlehrer Dung-Ju scheint dennoch einen Narren an ihm gefressen zu haben. Er lauert dem Jungen auch privat immer wieder auf, kümmert sich um ihn, dann wieder demütigt er Wan-Duk vor dessen Klassenkollegen. Er flucht und trinkt Whisky, engagiert sich in einer Kirche und kümmert sich um Ausländer, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden.
In puncto Rasanz, Wendungen und überraschenden Bildern braucht das Buch keinen Vergleich mit angloamerikanischer Literatur zu scheuen. Es drückt sich aber auch nicht vor schwierigen Themen und gibt einen Einblick in die weniger schönen Seiten der koreanischen Kultur, darunter eine tief sitzende Fremdenfeindlichkeit.
Eines Tages taucht Wan-Duks Mutter auf, die die Familie kurz nach der Geburt verlassen hat. Dass sie eine Vietnamesin ist, schockiert den Jugendlichen zunächst. Im Laufe des Romans nimmt Kim Ryeo-Ryeong das Tempo eine wenig zurück und geht tiefer in die Beschreibungen der Beziehungen. Die Mutter nähert sich langsam wieder der Familie an. Das gilt auch für den Vater, der verzweifelt versucht, für den Lebensunterhalt aufzukommen und selten zu Hause ist. Und irgendwann wird auch die Figur des Lehrers, die ein, zwei Geheimnisse verbirgt, greifbar. Wan-Duk bemüht sich derweil, seine Kraft nicht mehr mit Schlägereien zu verschwenden. Er beginnt Kickboxen zu trainieren. Ein Mädchen aus seiner Klasse, das ihm auf Schritt und Tritt folgt, meldet sich gleich freiwillig als seine „Managerin“.
Eine gelungene, fast klischeefreie Liebesgeschichte hat die Autorin damit auch noch in das Buch gepackt, ohne es zu überladen. Mit einer Altersempfehlung wurde das Buch nicht versehen. Obwohl in einem Kinderbuchverlag erschienen, ist es aufgrund der streckenweise groben Sprache und Inhalte frühestens ab 13 zu empfehlen. Auf das Etikett „Jugendbuch“ lässt es sich aber keinesfalls reduzieren. Wer mit 17-Jährigen zu tun hat, den 17-Jährigen in sich noch manchmal spürt oder einfach eine gute, originell erzählte Geschichte schätzt, darf sich herzlich angesprochen fühlen.