

Kirstin Breitenfellner in FALTER 32/2025 vom 08.08.2025 (S. 30)
Für Hiroshima gibt es im Japanischen drei Schreibweisen: für die Stadt vor dem Bombenabwurf, für die von der US-amerikanischen Atombombe verwüstete sowie für die heutige, wiederaufgebaute Stadt. Im Deutschen lässt sich das nicht abbilden. Der Untertitel des Jugendromans "Die weiße Laterne" von Shaw Kuzki heißt deswegen schlicht "Hiroshima, Hiroshima, Hiroshima".
Um 8.15 Uhr Ortszeit starben am 6. August 1945 auf einen Schlag über 70.000 Menschen, bis Jahresende waren weitere 140.000 an den Strahlenschäden umgekommen. Die Wunde klafft heute noch in der japanischen Gesellschaft.
Protagonistin der Geschichte, die im Jahr 1970 spielt, ist die zwölfjährige Nozomi. Sie feiert mit ihrer Familie das Laternenfest, bei dem für die Toten und Vermissten mit Namen beschriftete Laternen in den Fluss gelassen werden. Nozomis Mutter schreibt wie jedes Jahr auf die grüne den Namen ihrer Schwester, die weiße bleibt unbeschriftet.
Zum ersten Mal stellt sich das Mädchen die Frage, für wen diese bestimmt sein könnte, und beginnt mit Nachforschungen. Ein weiterer Anstoß, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, stellt die Begegnung mit einer alten Dame dar, die in Nozomi jemanden zu erkennen glaubt.
Unterstützung erfährt Nozomi bei ihrem Kunstlehrer, Herrn Yoshioka, der ein Projekt zum 25. Jahrestages des "großen Blitzes", wie die Katastrophe genannt wird, organisiert. Er ermuntert die Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und Großeltern über ihren Kummer und ihre Verluste immer noch schweigen, Fragen zu stellen, Erinnerungen zutage zu fördern. Sein Motto dabei lautet: "Kleine Geschichten mit Sorgfalt zu erzählen, ist der beste Weg, große Ereignisse darzustellen."
Auf diese Weise werden Schicksale von Menschen sichtbar, die ohne Vorwarnung aus dem Leben gerissen wurden: jenes von Nozomis Tante, die als junge Lehrerin mit sechs Schülerinnen unterwegs war, der Nachbarin, die mit ihrem Sohn geschimpft hatte, ohne zu wissen, dass sie ihn nie wieder sehen würde, oder jenes des Kunstlehrers selbst, der sich nach einem Streit nicht mehr bei seiner Geliebten entschuldigen konnte.
Die Hinterbliebenen plagen Schuldgefühle und die Unfähigkeit, offen zu trauern. "Der große Blitz hat das Schicksal vieler Menschen verändert. Viele, die körperlich überlebt haben, sind innerlich gestorben", sagt der Großvater von Nozomis neuem Freund Kozo.
Shaw Kukzi, die in Japan zu den erfolgreichsten Autorinnen für Heranwachsende zählt, gelingt es mit diesem stillen Buch, ein dunkles Stück Geschichte behutsam zu erhellen. Auch das Rätsel um die alte Dame, die in Nozomi jemand anderen sah, löst sich zum Schluss auf.