

Sentimental Journey
Christopher Wurmdobler in FALTER 42/2012 vom 19.10.2012 (S. 44)
Hotels mit unglücklichen Namen: Franz Wenzl und Conny Habbel haben sich auf die Reise begeben – und ein Buch gemacht
Hotel Kummer – der Name lade ja nun wirklich nicht ein, findet Franz Adrian Wenzel. Der Beherbergungsbetrieb mit dem unglücklichen Namen an der Wiener Mariahilfer Straße brachte Wenzel – Autor, "Austrofred" und mit seiner Band Kreisky sehr erfolgreich – auf die Idee, sich gemeinsam mit der Fotografin Conny Habbel auf die Reise zu machen und dabei ausschließlich in "traurigen Hotels" zu übernachten. Diese Woche erscheint der hübsche wie melancholische Erzähl- und Bildband "Herzbrechhotel". Hier erklärt das Duo, wie es dazu kam.
Falter: Hotel Angst, Hotel Zorn, Hotel Kummer – wie haben Sie die Hotels und Pensionen, die das Unglück im Namen tragen, gesucht und gefunden?
Conny Habbel: Gesucht haben wir sie großteils im Internet. Wir haben alles gegoogelt, von "Allein" bis "Zorn", von "Frust" bis "Wut". Immer mit dem Zusatz "Hotel" oder "Pension". Beim Suchen wurde uns bewusst, wie viele unglückliche Begriffe es gibt, es taucht immer ein weiterer auf, und nachts fallen einem wieder ganz neue ein, nach denen man morgens sofort sucht.
Ist Gästen und Besitzern überhaupt klar, dass "Pension Trauer" oder "Hotel Leiden" keine idealen Namen für einen Beherbergungsbetrieb sind?
Habbel: Ganz herausfinden konnten wir das nicht, da wir ja inkognito unterwegs waren. Die Pensionen Trauer, Flucht und Hunger zum Beispiel waren nach ihren Besitzern benannt. Die Hotels Zorn, Leiden und Verloren in Belgien und den Niederlanden wiederum sind ja nur aus unserer deutschsprachigen Perspektive traurig. Und das berühmteste Haus auf unserer Reise, das Hotel Angst in Italien, ist über solche Überlegungen ohnehin erhaben.
Und Sie haben da auch überall geschlafen?
Habbel: Ja, wir haben überall genächtigt, außer im Angst, das leider jahrzehntelang leer stand und momentan von amerikanischen Investoren renoviert wird.
Franz Adrian Wenzl: Das Hotel Angst ist ein sehr beeindruckender Bau. Im frühen 20. Jahrhundert war es das größte Luxushotel an der italienischen Riviera. Sechs Stöcke, riesengroß. Benannt ist es nach seinem Besitzer Adolf Angst.
Wie war diese "Sentimental Journey"?
Habbel: Manchmal glamourös, manchmal schäbig, oft melancholisch und meistens lustig.
Wenzl: Das Interessante dran war ja, dass weder Arbeit noch Urlaub in die Hotels geführt haben, sondern nur der Name. Das waren teilweise Häuser, wo wir sonst niemals hingekommen wären. Es gäbe einfach keinen Grund dafür.
In den Texten dazu geht es ja nicht immer um Zimmer oder Hotels, sondern meist um Menschen und Begegnungen. Erfunden oder echt passiert?
Wenzl: Zur Gänze erfunden ist fast nichts, aber manches ist schon seeehr viel weiter gesponnen oder stark verfremdet. Manches habe ich auch einfach in der Straßenbahn belauscht. Es heißt ja immer, dass das Leben die besten Geschichten schreibt, aber in Wirklichkeit schreibt die besten Geschichten der öffentliche Nahverkehr. Was ich zum Beispiel wirklich beobachtet habe, war, wie ein Mann im Flugzeug ganz plötzlich, ohne offensichtlichen Grund, zu weinen angefangen hat. Wie ein Hund. Eine Stewardess hat versucht, ihn zu trösten, er aber hat geweint und geweint und geweint und selbst völlig perplex darüber gewirkt. Allerdings habe ich in dem kurzen Text darüber nicht erwähnt, dass der Flug von München nach Rom war, am Tag nach dem Champions-League-Finale. Das hat mir nicht reingepasst, weil ich wollte das ein bisschen offener und vage metaphysisch gestalten. Wenn das einfach nur ein enttäuschter FC-Bayern-Fan gewesen ist, dann wär's fad. So weiß ich aber selber nicht, was mit ihm los war, und ich werde es wohl auch nicht mehr erfahren.
Sie sind beruflich oft in Hotels, kann man das noch genießen?
Wenzl: Ja, ich bin immer sehr gern in Hotels. Das ist immer ein bisschen erzwungene Askese, das mag ich schon hin und wieder. Es gibt nicht viel zu tun und das einzige Tor zur Welt ist der Teletext. Hotelbars sind dann zur Abwechslung aber auch gut.
Findet man Sie am Frühstücksbuffet?
Habbel: Selbstverständlich.
Wenzl: Jetzt, wo Sie es erwähnen: Die Frühstücksbuffetwurst ist tatsächlich das Einzige, was mir doch öfters ein bisschen zum Hals raushängt.
Lesen Sie in Hotelzimmern? Oder ist ein Zimmer nur zum Schlafen?
Wenzl: Also, ich hab auf Reisen schon immer ein, zwei Bücher mit. Schon allein deshalb, weil ich immer ein bisschen Fiktion zum Einschlafen brauche, das hält die Dämonen fern.
Habbel: Das Zimmer ist da zum Lesen, Schreiben, Fotosmachen, Nägelschneiden und Pläneschmieden. Auf unserer Tour haben wir uns aber auch mal Pizza vom Zusteller "heimliefern" lassen und eine vierteilige Fernsehserie über Frauen in den Wechseljahren geschaut.
Ihr Lieblings-Herzbrechhotel?
Habbel: "Zweiffel" bei Euskirchen oder "Flucht" in Paaren im Glien. Beides Pensionen, sehr reich an Glanzlichtern wie ausgestopften Füchsen, Bildertapeten, verstaubten Kuscheltieren oder ausgebleichten Kunstblumen.
Wenzl: In guter Erinnerung habe ich das Hotel Zorn. Nicht das Hotel selbst, sondern die Lage direkt an der holländischen Küste, aber die Lage ist ja bei Immobilien immer das Wichtigste. Wir waren am ersten schönen Frühlingstag dort, und aus irgendeinem Grund habe ich überhaupt nicht mit dem Meer gerechnet gehabt.