

Wir Kinder von Max und Lola
Dominik Graf in FALTER 21/2015 vom 22.05.2015 (S. 34)
Der Regisseur Max Ophüls nahm kurz vor seinem Tod ein grandioses Hörspiel über das Filmemachen auf. Nun ist Ophüls’ Kinomanifest neu auf CD erschienen
Das Glück der Filmarbeit ist für den Regisseur grenzenlos. Er, seine wunderbaren Mitarbeiter, Kameraleute, Drehbuchautoren, Musiker, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Maskenbildner, sie alle und vor allem die Schauspieler bilden eine verschworene Gemeinschaft, die gemeinsam den Film formt. Die ihm mit ihren unterschiedlichen Talenten Gesicht und Rhythmus gibt, um am Ende etwas Einmaliges abzuliefern, ebenso unterhaltsam wie tief berührend oder auch provokant. Etwas, das als Kunst gelten kann, als Vision, die das filmische Tagesgeschäft überlebt und ins Pantheon eingeht.
So sieht die helle, lustvolle Seite der Traumwelt des Max Ophüls aus, des wahrscheinlich bislang größten deutschsprachigen Regisseurs. 1902 geboren, begann Ophüls als Schauspieler, lieferte nach ein paar hübschen kleinen Regieversuchen mit Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“, 1932, unter Mitwirkung Karl Valentins in der Bavaria gedreht, eine fulminante Talentdemonstration ab und landete mit „Liebelei“ – seiner ersten Arthur-Schnitzler-Verfilmung – 1933 einen Riesenhit.
Der Saarbrücker Jude musste ins Exil, gelangte nach Jahren in Frankreich nach Hollywood, hielt sich dort wacker im Studiosystem („Caught“, „Letter from an Unknown Woman“). Max Ophüls kehrte schließlich nach Europa zurück, feierte nochmals einen Welterfolg mit dem Schnitzler-Stück „Der Reigen“, 1950, und landete schließlich wieder in Deutschland – in Geiselgasteig. Dort drehte er seinen allergrößten, teuersten Film, „Lola Montez“, 1955, der ihn jedoch seine Karriere kostete. Seine letzten legendären Leistungen bis zu seinem Tod zwei Jahre später produzierte er im Radiostudio in Baden-Baden.
Ophüls liebte nicht alles und jeden beim Filmemachen. Derjenige, der aus seiner Sicht pausenlos den arkadischen Frieden des kunstvollen Werkelns am Film stört, der einen Schatten auf das herrliche „Spiel im Dasein“ wirft, das man als Filmregisseur leben kann, das ist der Produzent, der Geldgeber, zusammen mit seinem Aftervasallen vor Ort, dem Produktionsleiter. Sie sind die mächtigen Bad Guys, die desillusionierenden Erbsenzähler im Ophüls’schen Universum. Man muss also den Produzenten umgarnen, bezirzen, ihn an sein besseres kulturelles Ich erinnern, ihn notfalls unter den Tisch trinken – aber ohne ihn geht es leider nicht. Mit ihm oft auch nicht.
Kaum ein Regisseur hatte solche Kämpfe mit den Kaufleuten des Kinos zu bestehen wie Ophüls. Alle seine Äußerungen sind von dieser Dualität bestimmt, Geld versus Kunst. Als er als Kind die Inschrift auf dem alten Frankfurter Opernhaus, „dem Wahren, Schönen, Guten“, las und sie zu Hause – sein Vater war Textilkaufmann – wiedergab als: „den guten schönen Waren“ – da war ihm der Slalom zwischen Hochkultur und Kommerz bereits in jeder Hinsicht vorbestimmt. Er hat diese Episode oft erzählt, sie mag erfunden sein – egal.
Nun sind Max Ophüls’ „Gedanken über Film“ – sie entstanden unmittelbar im Anschluss an die verheerenden Erfahrungen von „Lola Montez“ – zum ersten Mal auf CD erschienen. Es ist ein inszenierter Vortrag über sein geliebtes Metier, bei dem er sich auf lustigste Weise ständig selbst in die Quere kommt.
Es gibt nur zwei Ophüls-Hörspiele, dies ist das dritte, eine Hybride, ein inszenierter Hör-Essay. Es sind Sensationen – eigentlich Hör-Filme, gleitende, mäandernde Stimm-Opern. Er, den sie in Hollywood „the Traveller“ nannten, weil die Kamera bei ihm geradezu unaufhörlich durch die Dekorationen kurvte, fand im Radiostudio einen aufwendigen, akustischen Stil, der seinem optischen Inszenierungsstil frappant entsprach, einem völlig originären Amalgam aus traumwandlerischer Musikalität des inszenierten Erzählens, Humor, Ideenreichtum und einer gnadenlos existenzialistischen Tongebung in der Schauspielerkunst.
So auch hier. Während der Vortragende spricht – Ophüls selbst, auf ungemein charmante Weise, mit seiner herrlichen Betonung des „ö“ bei „Regissööör“, – arbeitet es in ihm: Andere Stimmen mischen sich ein, korrigieren, kommentieren, es kommen Erinnerungen dazwischen, die Ebenen durchdringen sich.
Aus dem Widerstand gegen das ihm als Auftrag übergebene Vortragsthema „Filmschaffen als Aufgabe und Verpflichtung“ (Ophüls: „Das war mir zu viel“) macht er eine glänzende Anfangsnummer für die Zuhörer, die – „ich habe mich erkundigt“ – nach der Arbeit nun diese mühsame Veranstaltung hinter sich bringen müssen: „Ich will keinen Vortrag halten, Sie wollen keinen hören, ich denke, jetzt wäre eigentlich die Zeit, dass wir wieder auseinandergehen könnten ...“ Schallendes Gelächter.
Aber Ophüls lässt nicht locker. Er bohrt sich liebend in sein Thema, breitet seine Problemfelder aus, zum Beispiel „die Entdeckung der Talente – ein Mysterium für mich. Ist Karriere Schicksal, Zufall, kann man sie planen?“
Sein fröhlich glucksendes Organ wird kontrastiert mit den nörgelnden Murmlern aus seiner inneren Theaterloge: „Achtung, jetzt legt er die Karten auf den Tisch!“ – „Echte Karten? Falsche Karten?“ – „Na, da werden nicht nur Trümpfe dabei sein.“
Wie immer bei Ophüls ist da dieser fantastisch lakonische Stil der verschiedenen Sprecher, wenn sie dazwischenraunen, maulen oder einen weiterdrängenden Straßenbahnschaffner geben, der allegorisch mit Trambahngebimmel den Vortragenden zu Eile und Konsistenz mahnt.
Am lustigsten vielleicht ist der Dialog mit einem imaginären Geldgeber, der Ophüls zwar gerne einen Film finanzieren würde, aber nur, wenn der Regisseur ihm eine kleine Sicherheit liefern könnte, dass das Endergebnis dem Publikum gefalle und dass er – der Produzent – sein investiertes Geld zurückbekäme.
Ophüls zitiert Goethe: „So wenig der Arzt sich nach den Grillen seiner Patienten, der Richter sich um die Leidenschaften der Parteien zu kümmern hat ... – ebenso wenig sieht der wahre Künstler das Gefallen als den Zweck seiner Arbeit.“ Als er mit seinem Zitat endet, blickt er auf: „Mein Geldgeber war weg.“
Hinter den Scherzen steht jedoch ein sehr ernstes Problem. Ophüls liefert den idealen Kommentar zum momentanen Zustand der Branche: Er fordert beispielsweise geduldiges Geld zum Produzieren und geduldige Zuschauer – „Nicht den Tageserfolg, nicht die errechenbare Quote!“ Im Hintergrund flüstert ihm die Produktionsstimme litaneiartig weiter ein: „Time is money.“
Herrlich ist sein kleiner Hohn- und Spott-Exkurs über die amerikanische Erfindung des sogenannten „Gallup poll“, einer Probevorführung mit minutiös gemessener Publikumsreaktion, die auf einem endlosen Papierstreifen fieberkurvenartig gemessen wurde. Für Ophüls ist es der Höhepunkt der Selbsterniedrigung des Produzenten vor dem Götzen der Zuschauermeinung, wenn erwachsene Männer auf Knien in Büros an diesen Papierstreifen entlangrutschen, um in regelmäßigen Abständen auszurufen: „Sehen Sie, ich hab’s doch gewusst, dieser Witz funktioniert nicht“ oder „Hier, die Stelle mochten die Zuschauer nicht ...“
Ophüls beschwört: „Das Publikum ist besser, als unsere Industriekapitäne uns glauben machen wollen.“ Das ist, wie wir heute wissen, leider nur rührende Hoffnung. Ebenso anrührend sein Plädoyer für die namenlosen Mitarbeiter des Films, die Handwerker, die die Studiobauten errichten, die am nächsten Tag wieder abgerissen werden und dann nur noch im Geiste auf dem Zauberstreifen des Films bestehen.
Ophüls gibt sich sanft wie ein Lamm. Aber er war kein Lamm, man weiß das. In dem riesigen Zirkuszelt in der Bavaria ließ er Lola Montez, verkörpert von der ungeliebten Produzentenbesetzung Martine Carol, die ihre Sache dennoch sehr gut machte, unter der Peitsche des großartigen Zirkusdirektors Peter Ustinov ihr Leben allegorisch durchspielen. Hierher lud er befreundete deutsche Regisseure ein, zeigte ihnen stolz den ganzen Aufwand und überraschte den einen oder anderen mit dem geradezu dämonischen Spruch: „Man muss die Produzenten vernichten.“ Was ihm in diesem Fall auch gelang. „Film muss ein Kampf sein zwischen den ‚schönen guten Waren‘ und dem ‚Wahren, Schönen, Guten‘. Gelingt der Austausch, kommt etwas zustande, was lebensberechtigt ist.“
Große Produzenten haben in Deutschland zweifellos ab und zu großes Kino produziert, manche unter Einsatz ihrer gesamten Existenz. Ihre Nachgeborenen betreten momentan im deutschen Film eine neue Kampfzone, sie arbeiten an einer neuen Herrlichkeit ihres Berufsstandes. Das geht nur auf Kosten aller anderen Filmberufe, auch des Regisseurs. Wir lesen, wie Produzenten, die sich für höhere, akademische Funktionärsposten berufen fühlen, große Gedanken zum Kino formulieren wie: „ein Film, der nicht gesehen wird, ist so etwas Ähnliches wie ein Bild, das falsch herum an der Wand hängt“.* Wow!
Wir erleben, dass deutsche Produzenten heute vor lauter Hybris bei der Präsentation eines TV-Renommierprodukts den jungen Regisseur des Werks gar nicht erst mit auf die Bühne nehmen.** Und wir hören, dass mächtige Landesförderer hinter geschlossenen Türen Filmstudenten raten, möglichst nur Projekte à la „Honig im Kopf“ einzureichen. Nichts gegen den Blockbuster „Honig im Kopf“, aber kommerzhörige Infiltrationsagitation der Förderer an der Kinojugend klingt nach peinlichster Parteikampfrhetorik und obendrein nach Gefallsucht und Geschmacksverirrung.
Wir wissen also, was die Stunde geschlagen hat, ihr Produzenten! Und wir denken mit Ophüls, dass ab sofort jeder, wirklich jeder Film wieder vor allem anderen ein Regiefanal werden muss. Der gute Max soll schließlich stolz auf uns sein.