

Entdeckungen im Fünferpack
Nikolaus Stenitzer in FALTER 41/2012 vom 12.10.2012 (S. 28)
Große Literatur von Frauen in reizvoller Ausstattung bietet der außergewöhnliche Verlag edition fünf
Bücher, die wir uns selber wünschen": So beschreibt die edition fünf ihr Programm. Die Wünsche der Verlegerin Silke Weniger und ihrer Herausgeberinnen Karen Nölle und Christine Gräbe sind dabei Glücksfälle für Lesende, denn die meisten Bücher, die hier verlegt werden, wären andernfalls schlicht nicht zu haben: Entweder sind sie es nicht mehr, da vergriffen, oder waren es niemals, weil sie noch niemand entdeckt hat.
Fünf Titel erscheinen jeden Herbst. Es handelt sich um Neuauflagen, um literarische Debüts und neue Übersetzungen, dabei insgesamt oft um Werke von Autorinnen, die im deutschsprachigen Raum unbekannt oder vergessen sind. Genau: Es handelt sich immer um Autorinnen. Die edition fünf gibt ausschließlich von Frauen geschriebene Werke heraus. Die Verlegerinnen wollen damit nicht nur verschwundene Bücher, sondern auch Traditionslinien weiblichen Schreibens zugänglich und nachvollziehbar machen. Dass die Bücher im "Paket" präsentiert werden – fünf Titel, unter ein Motto gestellt –, ist nicht ganz ohne Tücke. Es ist zum Beispiel ein wenig schwer einzusehen, dass ein so bemerkenswerter Roman wie "Vor ihren Augen sahen sie Gott" von Zora Neale Hurston (aus dem letztjährigen Programm) nicht mit Getöse allein ins Rampenlicht gerückt wird. Gleichzeitig ist das Konzept des "thematischen" Verlegens gerade durch den Ansatz der edition fünf interessant, wie auch das diesjährige Programm zeigt, das unter dem Titel "Spiegel" der Selbst- und Außenwahrnehmung von Frauen gewidmet ist.
Die Neuentdeckung der aktuellen Edition ist Alice Pung. Die Australierin wurde für ihren ersten Roman "Ungeschliffener Diamant" bereits mit Sylvia Plath verglichen, 2007 wurde das Buch mit dem Preis für das beste australische Debüt ausgezeichnet.
Pung beschreibt mit viel Witz ihr eigenes Aufwachsen im Melbourner Stadtteil Footscray und in der dort ansässigen kambodschanisch-chinesischen Community – eine Coming-of-Age-Geschichte, die den liebenswürdig routinierten Spott über "die eigenen Leute" beherrscht und zugleich wie nebenher klärt, dass keine noch so vordergründig exotische Gemeinschaft allein aus ihrer Herkunft besteht.
Mit der Neuübersetzung von Marchesa Colombis "Un matrimonio in provincia" macht man einen modernen Klassiker wieder zugänglich. Die Autorin, mit bürgerlichem Namen Maria Antonietta Torriani (1840–1920), war im Italien des späten 19. Jahrhunderts als Schriftstellerin und Feministin ebenso bekannt wie als schillernde Figur der Mailänder Gesellschaft. "Un matrimonio in provincia" wurde 1885 veröffentlicht. Die großartige Polemik auf die bürgerliche Romantik und die Tücken des Heiratsmarktes, die mit ihrer klaren, kompromisslos modernen Sprache der naturalistischen Bewegung des Verismo zugeordnet wird, blieb das berühmteste Werk der Autorin. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1976 im Anschluss an die Wiederentdeckung Colombis durch die Schriftstellerin Natalia Ginzburg und sollte bis heute der einzige übersetzte Titel bleiben.
Es wäre vielleicht ein interessantes Wagnis gewesen, ein bisher ganz unbekanntes Buch zu übersetzen (unter dem Pseudonym Marchesa Colombi erschienen neben zahlreichen Essays, Kinderbüchern und Theaterstücken auch noch mehrere Romane). Die neuerliche Verfügbarkeit des bekannten Werks, das nun unter dem Titel "Ein Bräutigam fürs Leben" erschienen ist, bleibt aber natürlich eine sehr gute Nachricht, zumal auch die Übersetzung von Christine Gräbe gut gelungen ist.
Dass sich schließlich Marilynne Robinsons Debütroman "Housekeeping", den die edition fünf unter dem Titel "Haus ohne Halt" aufgelegt hat, nicht auf der Backlist eines großen Verlages findet, ist regelrecht unglaublich. Mit nur drei veröffentlichten Romanen (deren zweiter, "Gilead", mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde) wird Robinson in den USA zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart gezählt. Im deutschsprachigen Raum wurde sie bisher kaum wahrgenommen.
"Haus ohne Halt" erzählt die Geschichte von zwei Schwestern, deren Aufwachsen in Idaho vor allem zwei Orte bestimmen: Da ist zum einen der See, auf dessen Grund der Zug mit ihrem Großvater, dem Schaffner, spurlos verschwunden ist; und auf der anderen das Haus, in dem die Tante der Kinder einen Haushalt führt, der sich nach und nach immer weiter von allen Konventionen der Haushaltsführung und des akzeptierten Lebens im Allgemeinen entfernt.
So weit, dass nicht nur die Dorfgemeinschaft unruhig wird, sondern auch die Schwestern mit der Entscheidung konfrontiert werden, welche Art von Leben wünschenswert ist – im Dorf, in der Gesellschaft, für Frauen – und welche möglich. Der Gratwanderung zwischen dem Freiheitsversprechen des Lebens am Rand und der darin zugleich enthaltenen realen Gefahr für Leib und selbstbestimmtes Leben entspricht Robinsons eindringliche Sprache, deren Kraft auch in der Übersetzung, die Karen Nölle für die Wiederauflage neu bearbeitet hat, eindrucksvoll erhalten bleibt.
Die edition fünf legt ihre Bücher als Geschenke an. Die Herausgeberinnen beschenken die Leserinnen und Leser mit dem, was sie mögen, diese werden wiederum ihrerseits als Schenkende angesprochen. "Leseglück zum Weitertragen" lautet ein Slogan des Verlages, und auf den Banderolen, mit denen die roten Leinenbände versehen sind, ist sogar Platz für eine Widmung freigehalten.
Die Aufmachung ist liebenswürdig. Sie sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier unterhaltsame, fesselnde, aber auch wirklich große Bücher zu haben sind.
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