

Schwappel und Sieglinde säuseln in Schönbrunn
Klaus Nüchtern in FALTER 21/2013 vom 24.05.2013 (S. 26)
Der Wiener Daniel Spitzer (1835–1893) galt als satirisch geschärfte Speerspitze des Wiener Feuilletons und war als solche sogar dem Feuilletonverächter Karl Kraus ein Vorbild. Seine über Jahrzehnte aufrechterhaltene Kolumne "Wiener Spaziergänge" galt in liberalen Kreisen als Pflichtlektüre.
Dass Richard Wagner ins Visier des jüdischen Fabrikantensohns geriet, hat auch, aber sicher nicht nur den unverstellten Antisemitismus Wagners zur Ursache. Und mehr noch als gegen Wagner selbst richtet sich der Spott von Spitzers "Verliebte Wagnerianer" ja auch gegen dessen haltlose Verehrer, von denen der Meister selbst meinte, sie seien so dumm, "man könnte die Wände mit ihnen durchtrennen".
Das hoh(l)e Pathos wird in Spitzers "Novelle" in ständige satirische Spannung zu den prosaischen Niederungen des Alltags gesetzt; eines Alltags allerdings, der – zwischen Hietzinger Landhaus und Wohnung am Stadtpark – ziemlich gut gepolstert ist.
Den Komfort sichert der schönen Leonie die Heirat mit dem Bierbrauer Plunz, der seiner jungen Gattin allerdings zu fad und vulgär ist, sobald sie mit der Kunstwelt in Gestalt des Wagner-Epigonen Schwappel, Schöpfer der "Berserker-Symphonie", in Berührung gerät. Spitzer hat ihm boshafterweise noch den Schwappel-Förderer und -Verehrer Goldschein hinzugesellt, einen Vertreter jüdischen Selbsthasses, dem seine "Schwanhilde"-Oper nicht und nicht von der Hand gehen will.
Spitzers auktoriale Ironie schlachtet das Humorpotenzial der Konstellation auf nicht immer subtile, aber sehr effektive Weise aus – kulminierend in einer grotesken Parodie auf einen hier allerdings eher ziemlich unflotten Dreier in der Schlossallee von Schönbrunn.
Am Ende begreift auch Leonie, dass sie keine Sieglinde und Schwappel ganz sicher kein Siegmund ist. Der vermeintlich tumbe Bierbrauergatte aber erweist sich als gewiefter Wagner-Exeget, wenn er den vielverachteten Hunding gegen den Vorwurf verteidigt, ein Tyrann zu sein. Denn wenn schon Siegmund "dem Manne vor dem ganzen Publikum Hörner aufsetzt, braucht auch der Mann kein Bedenken zu tragen, seine Frau bei offener Scene zu misshandeln".