

„Und die sind jetzt lesbisch?“
Kirstin Breitenfellner in FALTER 42/2023 vom 20.10.2023 (S. 29)
Im Jahr 2014 wurde in der Mühlfeldgasse 12 im 2. Wiener Gemeindebezirk mit beträchtlichem medialen Echo ein besetztes Haus geräumt. Ein Immobilienspekulant hatte das renovierungsbedürftige Gebäude mit dem Ziel gekauft, es zu sanieren und die Mieten kräftig anzuheben, wie man in der Nachbemerkung zu Verena Hochleitners Jugendromandebüt erfährt.
Um die widerspenstigen Altmieter zu vertreiben, wurden als kostenfreie Zwischenmieter Punks angeworben, doch die Idee misslang, da sich diese mit den Altmietern solidarisierten. In ihrer „Pizzeria Anarchia“ wurde in einem alten Pizzaofen nicht nur gebacken, es wurden auch Kino- und Diskussionsabende veranstaltet, ein Kost-nix-Laden installiert, kurz: Es entstand ein Zentrum des Protests gegen den neoliberalen Immobilienmarkt.
Die vielfach prämierte österreichische Illustratorin und Autorin Verena Hochleitner hat bereits 15 Kinderbücher vorgelegt, hier schreibt sie erstmals in Romanform. Dazu schlüpft sie abwechselnd in das Bewusstsein ihrer drei 16-jährigen Hauptfiguren: der unnahbaren, schweigsamen, intelligenten und schönen Katha, die mit ihrer depressiven Mutter in dem besetzten Haus wohnt; der schüchternen Nico, die mit ihrem Adoptivvater und ihrem Bruder in einer ehemaligen WG-Wohnung lebt; und von Sydney, Träger eines „Man Bun“ genannten Haarknotens, der mit seiner Mutter Malu, einer Biologin mit internationaler Karriere, gerade erst nach Wien gezogen ist und sich auf die Suche nach seinem Vater begibt.
Er ist in Katha verliebt und versucht ihr unauffällig näher zu kommen. Diese kämpft aber zu sehr mit ihrer medikamentenabhängigen Mutter, um das zu bemerken. Auf einem Schulausflug kommen Katha, Nico und Sydney zusammen mit dem Schwimm-Ass Paul vom Weg ab und müssen im Wald übernachten. Dort kommen sich Katha und Nico überraschend näher. Dass sich in der Nähe Wildtierkameras befinden, ahnt niemand. Inzwischen wird fieberhaft nach ihnen gesucht. Sie sind sozusagen berühmt geworden.
„Obwohl keine·r der Fabulous Four etwas ausgeplaudert hat, scheint die ganze Schule zu wissen, was auf den Fotos der Wildtierkameras zu sehen ist.“ Letztere haben nämlich die Aktivitäten der Abgängigen dokumentiert. In den sich entspannenden Pausenhofdiskussionen bilden sich aktuelle Diskurse ab: „Und die sind jetzt lesbisch?“ „Wenn schon, dann ist die bi. Also wenn du mich fragst!“ „Das nennt man queer! Du kennst dich wirklich überhaupt nicht aus.“ „Na ja, ich find es super, wenn man sich raustraut und zu dem stehen kann, wer oder was mensch ist.“
Gut und Böse sind in diesem mit Sensitivity-Reading überprüften und in gendersensibler Orthografie verfassten Buch – entgegen dem changierenden Glanz des Titels „Flimmern“ – sehr klar, manchmal auch zu klar aufgeteilt. Dann tritt die pädagogische Botschaft in den Vordergrund, und man hat den Eindruck, dass Szenen eigens dazu dienen, bestimmte für Jugendliche relevante Themen anzusprechen. Etwa wenn der nette Förster, der die vier am Morgen aufgreift, im Auto Katha gegenüber gleich einmal übergriffig wird. Oder Sydney auf der Straße von Unbekannten wegen seiner dunklen Haare als „Araber“ beschimpft wird und Wochen später von einem Lehrer erklärt bekommt, dass er davon traumatisiert sei und das nicht alleine bewältigen könne.
Das Schönste an dieser klug konstruierten Geschichte sind die sie begleitenden Schwarz-Weiß-Aquarelle, die der Handlung jeweils nachgestellt sind. Hier zeigt Hochleitner ihr ganzes Talent, hier wird ein liebevoller, anarchischer Blick sichtbar, der im Text manchmal zu sehr von dem Bemühen verdeckt wird, alles richtig machen zu wollen.