Das Ende der Maurerkelle

30 Jahre Wohnbau in Österreich 1990 - 2020 / 30 Jahre Wohnbau in Österreich | 1990-2020
296 Seiten, Hardcover
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ISBN 9783950063875
Erscheinungsdatum 22.08.2022
Genre Wirtschaft/Einzelne Wirtschaftszweige, Branchen
Verlag Collage Verlag
Herausgegeben von Collage Verlag, Wien - Andreas Kreutzer Consulting e.U.
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Kurzbeschreibung des Verlags

Wohnen ist ein Grundrecht. Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte schreibt es fest. Denn Wohnen ist ein elementares und existenzielles Grundbedürfnis, ein Menschenrecht. Ein schönes Zuhause ist Erholungsraum und Ort für Selbstentfaltung zugleich. Es bietet Vertrautheit, Sicherheit und Privatheit. Damit trägt es ganz wesentlich zu einem Gefühl der Geborgenheit bei. Nicht zuletzt manifestiert sich die Identität eines Menschen in der Wahl seiner eigenen vier Wände. Sie belegen seinen gesellschaftlichen Status und seinen ökonomischen Aufstieg, womit das für so viele Menschen wichtige Bedürfnis nach sozialer Anerkennung befriedigt wird. Die Haltung zum Wohnen kann daher zweifellos auch als Abbild einer Gesellschaft verstanden werden. Eine hohe Wohnqualität schafft den sozialen Rahmen für eine kulturell und intellektuell emanzipierte Gesellschaft. Schon der soziale Wohnbau im Wien der 1920er und 1930er-Jahre war vom Ideal einer aufgeklärten Selbstbestimmtheit geprägt. Wenngleich dann die meisten der errichteten Gebäude formal kenntlich, gleichermaßen architektonisch wie ideologisch mehr Programm waren, als Geist anregender „Wohlfühloasen“ im heutigen Sinn. So kritisierte etwa der Wiener Architekt Josef Frank (1885-1967) bereits nach der Grundsteinlegung für den heutigen Karl-Seitz-Hof die kulturelle und ästhetische Ambivalenz des Wiener Wohnbauprogramms. Dabei legte er die Widersprüche zwischen politischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit schonungslos offen. Für Ihn fand die „proletarische“ Gesinnung keine Entsprechung in der „kleinbürgerlichen“ Form und der äußerlich vorgetragene Anspruch (Fassade) passte nicht zu den inneren Strukturen (Grundriss). Er hinterfragte die Verknüpfung von „Volkswohnungen“ und „Palast“, die er auf ein „kleinbürgerliches Geltungsstreben und aus der feudalen Vergangenheit übernommene Palastformen“ zurückführte. Für Frank war das ein Hindernis auf dem Weg zur idealen Wohnform: dem Einfamilienhaus.

Daneben hat Wohnen natürlich auch eine wirtschaftliche Dimension. Wohnen ist die vermutlich wichtigste Stütze der österreichischen Volkswirtschaft. Nach Berechnungen von KREUTZER FISCHER & PARTNER steuert der Sektor etwa 21 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und ernährt rund 776.000 Erwerbstätige und deren Familien. Die Wertschöpfungskette „Wohnen“ zieht sich wie ein roter Faden durch unser Leben. Sie beginnt bei der Mobilisierung von Bauland und der Errichtung der notwendigen Infrastruktur. Sie erstreckt sich weiter über Bauträger, Architekten und Planer bis hin zur Baustoffindustrie, den Baustoffhandel und dem ausführenden Sektor der Bauwirtschaft. Und sie endet bei den der Bauwirtschaft nachgelagerten Bereichen, zu denen wir beispielsweise die Immobilienwirtschaft zählen Energieversorger, Hersteller von Einrichtungsgegenständen und Haushaltselektronik sowie deren Vertriebskanäle, Versicherungen oder Handwerks- und Reparaturdienste. Kurzum, im ökonomischen Kontext ist Wohnen omnipräsent. Wohnen bedient deshalb nicht nur menschliche Grundbedürfnisse, Wohnen ist auch Ware und Dienstleistung. Selbst im Sozialismus wurde und wird nicht kostenfrei gewohnt. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob man mit Wohnen ein Geschäft machen darf. Wohnungen sind zweifelsohne ein Wirtschaftsgut. Nichtsdestotrotz bleiben sie bis zu einem bestimmten Grad immer auch ein Sozialgut. Weshalb es legitim ist zur Diskussion zu stellen, wer, wo und wieviel von der Rechnung bezahlt. Oder anders gefragt: Sind in Anbetracht der existenziellen Notwendigkeit des Wohnens die Gesetze des freien Marktes in allen Wertschöpfungssegmenten uneingeschränkt anzuwenden? Sind nicht da und dort ordnungspolitische Pflöcke einzuschlagen, um das Gemeinwohl abzusichern oder um zu starke asymmetrische Verteilungen innerhalb der Wertschöpfungskette zu verhindern?
Bekanntlich ist der Wohnungssektor für spekulative Verwerfungen besonders anfällig. Und das aus gutem Grund: Baugrundstücke sind ein endliches Gut. Im Gegensatz zu Waren oder Dienstleistungen ist Bauland – auf die Lage bezogen – unikal. In diesem Sinne ist es weder skalierbar, noch kann es vermehrt werden. Insofern ist auch jedes Wohngebäude, jede Wohnung ein Einzelstück, neben der Tatsache, dass Wohnraum in den allermeisten Fällen zudem das Ergebnis individuell geplanter Maßarbeit ist. Die Spielregeln des Wettbewerbs am Immobilienmarkt unterscheiden sich deshalb grundlegend von jenen der industriellen Produktion und der meisten Dienstleistungen. Überspitzt formuliert ist das Geschäft mit Wohnimmobilen dem Kunstmarkt näher, als allen anderen Märkten auf denen identisch reproduzierbare Waren oder Dienstleistungen gehandelt werden. Denn bei seriell hergestellten Produkten oder Dienstleistungen ist der Preis nicht zuletzt das Resultat von Wettbewerb und Skaleneffekten. Bei Unikaten ist die Konkurrenzrivalität naturgemäß vergleichsweise schwächer ausgeprägt. Die Herstellkosten werden auf Basis von Losgröße 1 berechnet. Im Prinzip greift das Höchstbieterprinzip. Und das kann mitunter zu Verzerrungen im Preisgefüge führen. Bei Kunstwerken mag das kein gröberes Problem sein. Bei Wohnraum hat es jedoch möglicherweise existenzielle Folgen, wenn etwa lokal verfügbarer Wohnraum für bestimmte Bevölkerungsgruppen einfach nicht mehr leistbar ist. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen solcher Segregationsprozesse werden oftmals unterschätzt.
In den letzten dreißig Jahren haben sich diesbezüglich auch in Österreich die Zeichen für eine gesellschaftliche Spaltung verstärkt. Das lag jedoch nicht alleine an den steigenden Bodenpreisen. Auch die handwerklich geprägten, personalintensiven Segmente der Wertschöpfungskette „Wohnen“ haben kräftig an der Preisschraube gedreht. So wurde etwa von der Bauwirtschaft wenig unternommen um einen Preisauftrieb über der Inflationsrate zu unterbinden. Zwischen 1990 und 2020 wurden im großvolumigen Wohnbau Kostensteigerungen bei Lohn und Material Jahr für Jahr mehr oder weniger 1:1 an die Bauherren weitergegeben. Folglich wuchsen im Wohnungs- und Siedlungsbau die Baupreise jährlich um durchschnittlich 2,6 Prozent und damit um etwa ein Drittel rascher als die Inflation. Diese lag im Mittel bei zwei Prozent pro Jahr. Während sich die Lebenserhaltungskosten seit 1990 um 82 Prozent erhöhten, verteuerten sich die Errichtungen von Mehrfamilienhäusern um 113 Prozent. Für Häuslbauer kam es noch dicker. Hier lag der jährliche Preisauftrieb bei durchschnittlich 3,2 Prozent. In Summe ergab das in den letzten dreißig Jahren eine Verteuerung um 160 Prozent . Dass der Markt die Preissteigerungen ohne Murren akzeptierte, hatte einen guten Grund: Der Bedarf an neuem Wohnraum wuchs konstant. Die Nachfrage übertraf längstens seit 1995 konstant das Angebot, nicht zuletzt als Folge wachsender Migration und sinkender Haushaltsquoten. Die Wohnbaupolitik reagierte auf die sich verändernden Rahmenbedingungen zu schleppend, sodass sich wenige Jahre nach der Jahrtausendwende ein gewaltiger Überhang an Wohnungssuchenden ergab. Dieser schob sowohl die Mieten als auch die Häuserpreise am Sekundärmarkt an. Trotz in den letzten Jahren hoher Wohnbauproduktion ist dieser Überhang bis heute nicht abgebaut. Zum einen weil die Anzahl der Haushalte stabil wuchs. Zum anderen bediente die Immobilienwirtschaft zunehmend den Markt für Nebenwohnsitze und Wohnungen, die als reine Finanzanlagen angeschafft wurden. Wohnraum zum Zwecke einer dauerhaften Bewohnung wurde definitiv zu wenig gebaut. Zwischen 1990 und 2020 stieg die Anzahl der Hauptwohnsitze in Österreich um 34 Prozent, auf 3,99 Millionen. Die Anzahl der Nebenwohnsitze und Wohneinheiten ohne Wohnsitzangabe erhöhte sich im selben Zeitraum indessen um 114 Prozent auf rund 913 Tausend. Und zweifellos wurde der Trend zu „Betongold“ durch das in den letzten Jahren extrem niedrige Zinsniveau und die immer stärker aufkeimende Inflationsangst in breiten Teilen der Bevölkerung verstärkt . Was bei der Sache allerdings massiv verstört, ist der Umstand, dass selbst von den in den letzten dreißig Jahren mit Wohnbauförderung errichteten Miet- und Eigentumswohnungen zuletzt rund fünfzehn Prozent nicht dauerhaft bewohnt wurden.
Die prosperierende Nachfrage hielt jedoch nicht nur die Preiselastizität bei Baudienstleistungen nieder. Zudem wurde von der Bauwirtschaft jeglicher Druck genommen, die Arbeitsprozesse zu optimieren und die Arbeitsproduktivität zu verbessern. Man lebte diesbezüglich wie in einer geschützten Werkstätte. Die Folgen dieser „Beharrungspolitik“ waren aus volkswirtschaftlicher Sicht fatal. Denn während sich zwischen 1995 und 2020 die Arbeitsproduktivität gesamtwirtschaftlich um mehr als ein Drittel verbesserte, entwickelte sich die Bauwirtschaft diesbezüglich bestenfalls seitwärts, laut Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung sogar um sage und schreibe 17 Prozent rückläufig. Anders ausbuchstabiert: Der Output pro geleisteter Arbeitsstunde lag im Jahr 2020 um 17 Prozent unter jenem 25 Jahre davor. Der Ordnung halber sei an dieser Stelle festgehalten, dass der von Statistik Austria dokumentierte Produktivitätsverlust von einigen Vertretern der Bauindustrie vehement bestritten wird. Und in der Tat ist im Wohnbau in den letzten Jahrzehnten etwa der Vorfertigungsgrad im Rohbau zweifellos gestiegen. Doch das reichte offenbar nicht um die Arbeitsproduktivität zu steigern, zumal gleichzeitig auch der Arbeitsaufwand wuchs. Zum einen wegen immer undurchsichtigerer, ordnungspolitischer, bau- und verfahrenstechnischer Reglements. Zum anderen auf Grund einer zunehmend komplexeren Bauproduktion. Die Rechnung für die weitgehende Tatenlosigkeit am Bau zahlten die Haushalte, die diese neu errichteten Wohnungen und Eigenheime bezogen. Die österreichische Wohnbaupolitik stand ihnen nicht zur Seite. Sie fungierte eher als Komplize der Wohnungswirtschaft, denn als Advokat der Wohnenden. Die öffentliche Hand negierte zu lange die Zeichen für die Notwendigkeit einer Dynamisierung der Wohnbauproduktion. Man unternimmt bis heute kaum etwas gegen den mancherorts massiven Preisauftrieb bei Grund und Boden. Ganz im Gegenteil: Erst durch die Widmungspolitk der Kommunen wird der Grundstein für Spekulationsgewinne gelegt. Dass der Mehrwert, der bei Umwidmung von Grünland in Bauland entsteht, steuerlich abgeschöpft werden könnte, kommt der Politik nicht in den Sinn. Vielmehr gefällt sie sich in der Rolle des Ausrichters von Architekturwettbewerben und als Retter des Weltklimas, der im Wohnungssektor seine Projektionsfläche findet.

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ISBN 9783950063875
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FALTER-Rezension

Neubau in Stadt und Land

Andreas Kreutzer in FALTER 39/2022 vom 28.09.2022 (S. 18)

Wohnen ist ein Grundrecht. Artikel 11 des "Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" schreibt es fest. Denn Wohnen erfahren wir als ein elementares und existenzielles Grundbedürfnis. Ein schönes Zuhause bietet Raum für Erholung und Selbstentfaltung, Vertrautheit, Sicherheit und Privatheit. Damit trägt es ganz wesentlich zu einem Gefühl der Geborgenheit bei.
Nicht zuletzt zeigt sich die Identität eines Menschen an der Wahl seiner eigenen vier Wände. Sie belegen seinen gesellschaftlichen Status und seinen ökonomischen Aufstieg, womit das für so viele Menschen wichtige Bedürfnis nach sozialer Anerkennung befriedigt wird. Die Haltung zum Wohnen kann als Abbild einer Gesellschaft verstanden werden. Eine hohe Wohnqualität schafft den sozialen Rahmen für eine kulturell und intellektuell emanzipierte Gesellschaft.

Die Wertschöpfungskette rund um das Wohnen Daneben hat Wohnen auch eine wirtschaftliche Dimension. Es ist die vermutlich wichtigste Stütze der österreichischen Volkswirtschaft. Nach Berechnungen von Kreutzer Fischer &Partner steuert der Sektor etwa 21 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und ernährt rund 776.000 Erwerbstätige und deren Familien.

Die Wertschöpfungskette "Wohnen" zieht sich wie ein roter Faden durch unser Leben. Sie beginnt bei der Mobilisierung von Bauland und der Errichtung der notwendigen Infrastruktur. Sie erstreckt sich weiter über Bauträger, Architekt*innen und Planer*innen bis hin zur Baustoffindustrie, den Baustoffhandel und dem ausführenden Sektor der Bauwirtschaft. Sie endet bei den der Bauwirtschaft nachgelagerten Bereichen.

Dazu zählen die Immobilienwirtschaft, Energieversorger, Herstellende von Einrichtungsgegenständen und Haushaltselektronik sowie deren Vertriebskanäle, Versicherungen, Handwerks-und Reparaturdienste. Kurzum, im ökonomischen Kontext ist Wohnen omnipräsent.

Wohnen wird immer teurer, Preise und Mieten steigen Wohnen bedient deshalb nicht nur menschliche Grundbedürfnisse, Wohnen ist auch Ware und Dienstleistung. Selbst im Sozialismus wurde und wird nicht kostenfrei gewohnt. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob man mit Wohnen ein Geschäft machen darf. Wohnungen sind ein Wirtschaftsgut. Allerdings eines, das sich zuletzt massiv verteuert hat.

Laut Erhebungen von Statistik Austria stiegen die Grundstückspreise für Einund Zweifamilienhäuser zwischen 2015 und 2020 in Tirol und Vorarlberg um jährlich fünf beziehungsweise acht Prozent, im Großraum Wien im Jahresdurchschnitt um knapp sieben Prozent. Der durchschnittliche Verkaufspreis pro Quadratmeter von Eigenheimen erhöhte sich im selben Zeitraum im Bundesschnitt um fast fünf Prozent pro Jahr, in Vorarlberg waren es jährlich sogar elf Prozent.

Noch etwas stärker war der Preisauftrieb bei Eigentumswohnungen. Im Jahresdurchschnitt stieg der Preis pro Quadratmeter um etwas mehr als sechs Prozent auf Bundesebene und um rund neun Prozent in Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg.

Die Mieten steigen bereits seit Beginn der 2000er-Jahre überdurchschnittlich rasch. In den letzten zwanzig Jahren erhöhte sich der durchschnittliche Mietzins pro Quadratmeter mehr als doppelt so rasch wie die Inflation.

Für viele stellt sich daher die Frage: "Wie lange können wir uns Wohnen noch leisten?" In der öffentlichen und medialen Diskussion geht es zumeist um leistbare Mieten, zuletzt auch verstärkt um rasch steigende Häuserpreise. In Salzburg und Tirol wird der Ausverkauf von Grund und Boden an Ausländer*innen diskutiert. Die Lösungsvorschläge reichen von der Mietpreisbremse oder dem Mietpreisdeckel über die Abschaffung der Maklergebühr für Wohnungssuchende bis hin zu gesetzlichen Regelungen zur Bauland-und Wohnraummobilisierung.

Die dem Preisauftrieb zugrunde liegenden Probleme werden damit nicht angesprochen. Denn dass Bauen und Wohnen immer teurer werden, hat mit drei Faktoren zu tun.

Die Faktoren für die enorme Verteuerung des Wohnens Dass sich Bauland mancherorts massiv verteuerte, lag im Wesentlichen daran, dass genau dort die Umwidmungen von Forst-und Agrarflächen in Bauland im letzten Jahrzehnt dramatisch zurückgefahren wurden, obgleich die Nachfrage nach Bauflächen für den Wohnbau wuchs. Die rückläufige Bereitstellung von Grund und Boden für den Wohnbau war Ergebnis der Diskussion über Bodenversiegelung und der Angst vor überhandnehmendem Zuzug.

Der aktive Leerstand, also die am Markt zum Kauf oder zur Vermietung angebotenen Wohnungen und Häuser, übersteigt selten die Marke von vier Prozent des Wohnungsbestandes. Um Wohnungsund Mietpreise unter Druck zu setzen, ist ein Leerstand von zumindest acht Prozent erforderlich.

In den letzten drei Dekaden wurden in Österreich mehr als 1,4 Millionen Wohneinheiten neu errichtet. Dabei bediente die Immobilienwirtschaft mit viel Verve den Markt für Nebenwohnsitze und Wohnungen, die als reine Finanzanlagen angeschafft wurden. Wohnraum zum Zwecke einer dauerhaften Bewohnung wurde zu wenig gebaut.

Zwischen 1990 und 2020 wuchs die Zahl der Hauptwohnsitze in Österreich um 34 Prozent auf 3,99 Millionen. Die Zahl der Nebenwohnsitze und Wohneinheiten ohne Wohnsitzangabe erhöhte sich im selben Zeitraum indessen um 114 Prozent auf rund 913.000.

Rund fünfzehn Prozent der in den letzten dreißig Jahren mit Wohnbauförderung errichteten Wohnungen in Mehrfamilienhäusern wurden im Jahr 2020 nicht dauerhaft bewohnt -das sind rund 104.000 Wohnungen. Mit einem zwischenzeitlichen Leerstand lässt sich eine derart hohe Zahl nicht erklären.

Offensichtlich wurden mit Hilfe der staatlichen Wohnbauförderung Nebenwohnsitze und Anlagewohnungen finanziert. Damit entzog man dem sozialen Wohnbau jede sechste bis siebente neu errichtete geförderte Wohnung. Zumindest 4,6 Milliarden Euro an Wohnbauförderung wurden an der eigentlichen Bestimmung "vorbeigebaut".

Mit den Jahren verlor die Wohnbauförderung mehr und mehr von ihrer preisdämpfenden Funktion. Zum einen, weil der Förderdurchsatz in den letzten Jahren massiv schrumpfte. Zwischen 1990 und 2010 wurden etwa 95 Prozent aller Mehrfamilienhäuser mit staatlicher Förderung errichtet. Zuletzt waren es nur noch sechzig Prozent. Bei Eigenheimen in den letzten zehn Jahren nur dreißig Prozent.

Zum anderen ist die Dotierung der Wohnbauförderung seit dreißig Jahren bei etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr gedeckelt. Da die Baupreise in diesem Zeitraum stiegen, stand ab 2011 nur noch die Hälfte des marktrelevanten Outputs der 1990er-Jahre zur Verfügung. Seit 2018 ist es nur noch ein Drittel.

Ein weiterer Faktor: Die Bauwirtschaft hält im Großen und Ganzen an handwerklichen Bauprozessen fest.

Die Arbeitsproduktivität am Bau ist kaum gewachsen Zwischen 1990 und 2020 wurden im großvolumigen Wohnbau Kostensteigerungen bei Lohn und Material Jahr für Jahr mehr oder weniger eins zu eins an die Bauherr*innen weitergegeben.

Folglich wuchsen im Wohnungs-und Siedlungsbau die Baupreise jährlich um durchschnittlich 2,6 Prozent und damit um etwa ein Drittel rascher als die Inflation. Diese lag im Mittel bei zwei Prozent pro Jahr. Während sich die Lebenserhaltungskosten seit 1990 um 82 Prozent erhöhten, verteuerten sich die Errichtungen von Mehrfamilienhäusern um 113 Prozent.

Für Häuslbauer*innen kam es noch dicker. Hier lag der jährliche Preisauftrieb bei durchschnittlich 3,2 Prozent. In Summe ergab das in den letzten dreißig Jahren eine Verteuerung um 160 Prozent.

Während sich zwischen 1995 und 2020 die Arbeitsproduktivität gesamtwirtschaftlich um mehr als ein Drittel verbesserte, entwickelte sich die Bauwirtschaft diesbezüglich bestenfalls seitwärts. Zwar ist etwa der Vorfertigungsgrad im Rohbau in den letzten Jahrzehnten gestiegen, doch das reichte offenbar nicht, um die Arbeitsproduktivität zu steigern.

Denn gleichzeitig wuchs auch der Arbeitsaufwand infolge immer umfangreicherer ordnungspolitischer bau-und verfahrenstechnischer Reglements sowie einer komplexeren Bauproduktion.

Nicht förderlich für Produktivitätssteigerungen erwies sich auch die enorme Anzahl an Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette "Wohnen". Mit ihren unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Interessen haben auch sie Innovationen und Prozessverbesserungen gebremst und damit zum Preisauftrieb beigetragen.

Die Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz erscheinen enorm. Lediglich 31 Prozent der Arbeitszeit auf der Baustelle werden für das Bauen verwendet, stellt die ETH Zürich in einer Studie fest. Weitere neun Prozent der Arbeitszeit benötigt man für Transporte. Vierzehn Prozent entfallen auf unproduktive, aber bauprozessbedingte Wegzeiten. Beides kann man unter notwendigem Logistikaufwand subsummieren.

Dazu kommen 22 Prozent der Arbeitszeit, die unproduktiven Tätigkeiten der Baustellenlogistik zugeordnet werden können. Dazu zählen personalbedingte Unterbrechungen, Auf-und Umräumen, störungsbedingte Unterbrechungen und Materialsuche. Die Personalstehzeiten werden von der ETH mit 19 Prozent der Arbeitszeit quantifiziert.

In Summe gibt es daher zumindest theoretisch zwischen 30 und 40 Prozent Rationalisierungspotenzial. Mit einer besseren Planung und einem effektiveren Baustellenmanagement könnte dieses abgeschöpft werden.

Ein Wohnbau ist eine teure Maßarbeit geblieben Wir sind es gewohnt, dass neunzig Prozent der von uns gekauften Waren aus industrialisierter Fertigung kommen. Beim vergleichsweise hochpreisigen Produkt Wohnbau setzen wir aber nach wie vor auf individuelle Maßarbeit. Nahezu jedes neu errichtete Wohngebäude wird projektspezifisch geplant, danach gesondert ausgeschrieben und als Einzelstück errichtet. Also mit immer wieder unterschiedlichen Baustoffen und Ausbaumaterialien sowie anderer Gebäudetechnik.

Die Bauprozesse werden jedes Mal gesondert organisiert, wodurch sich die Lernkurve deutlich flacher entwickelt als in der Sachgüterindustrie. Nicht zuletzt führt diese Art des Losgröße-1-Bauens dazu, dass die Bauwirtschaft steigende Kosten, etwa bei Material-oder Personalaufwand, nicht durch eine erhöhte Produktivität, zumindest teilweise, abfangen kann.

Dabei wäre der Handlungsbedarf für eine stärkere Industrialisierung groß. In einer GU-Preisberichtigung des Wirtschafts-und Arbeitsministeriums aus den späten 1950er-Jahren wird der Arbeitskostenanteil im Wohnbau mit lediglich 22 Prozent angegeben. Heute sind es abhängig vom Gewerk zwischen vierzig und sechzig Prozent.

Warum im Wohnbau zumeist Unikate produziert werden, kann niemand genau sagen. Es war eben immer schon so.

Vordergründig wird die Vorgangsweise mit dem vermeintlichen Anspruch an individuell errichtete Wohngebäude begründet. Tatsächlich ist es aber wohl so, dass dieses Bauen in Losgröße 1 die tradierten handwerklichen Strukturen und Prozesse zementiert. Und offensichtlich wollen alle, die mit Wohnbau Geld verdienen, diese nicht antasten. Ein in Serie produziertes Eigenheim kostet um die Hälfte weniger als ein in Maßarbeit errichtetes.

Industrielle Bauweise zur Senkung der Kosten Bei einer industriellen Bauweise würde sich die Wertschöpfung wohl völlig anders verteilen als heute. Im Geschoßwohnbau könnte um zumindest vierzig Prozent günstiger gebaut werden. Um diese Diskussion nicht führen zu müssen, wird das individuelle Wohngebäude zum Dogma erklärt und serielles Bauen mit uniformen Plattenbauten gleichgestellt.

Dabei schließen in Serie gefertigte Produkte Individualität nicht aus. Es bedarf keiner Maßarbeit, um Individualität zu produzieren. Die Automobilindustrie ist ein gutes Beispiel dafür, wie Serienfertigung mit Individualität in Gleichklang gebracht werden kann. So ist ein VW Golf der letzten Generation, berücksichtigt man alle Kombinationsmöglichkeiten wie etwa Motorisierung, Lackierung oder Innenausstattung, rein rechnerisch ab Werk in 250.000 Varianten zu haben.

Im Gebäudebestand würde man eine großflächige Umstellung des Wohnbaus auf industrielle Fertigung kaum merken. Selbst unter der unrealistischen Annahme, dass wir im Geschoßwohnbau bis 2050 nur noch in zehn verschiedenen Varianten bauen und jährlich ein Prozent des Wohnbaubestandes abreißen, würde bei konstanter Bauleistung die Variantenvielfalt im Gebäudebestand von heute rund 177.000 unterschiedlichen Gebäudetypen lediglich auf 138.000 Varianten sinken.

Die Befürchtung von monotonen, gleichartigen Stadt-und Ortsbildern ist unbegründet. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion brachte einer der Teilnehmenden, die Art, wie wir heute Wohnbau realisieren, wie folgt auf den Punkt: "Zwei identische Wohngebäude sind ein Zufall, bei drei gleichen Gebäuden sprechen wir bereits von einer Serie." Erlauben wir uns doch, etwas großzügiger zu denken.

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