

Propagandameister und Influencer avant la lettre
Kirstin Breitenfellner in FALTER 42/2021 vom 20.10.2021 (S. 42)
Mediengeschichte: Stefan Schlögl und Wolfgang Hartl legen ein witziges und vor allem schönes Napoleon-Buch vor
Der Titel klingt so vollmundig, dass man ihn nicht für bare Münze nehmen kann: „Napoleon schläft mit Mona Lisa. Die ganze Wahrheit über den Kaiser der Fake News“. Alleine die Begriffe „ganze Wahrheit“ und „Fake News“ schlagen sich. Und wie kann Napoleon mit einem Bild schlafen? Mit dem ersten Buch der neu gegründeten Edition 5Haus, benannt nach dem 15. Wiener Gemeindebezirk, in dem der Verlag residiert, gelingt Stefan Schlögl zusammen mit seinem Grafiker und Illustrator Wolfgang Hartl ein Husarenstück: zum 200. Todestag des großen Feldherrn und gescheiterten Eroberers ein Buch vorzulegen, das sich tatsächlich von den gängigen Publikationen zu Jubiläen unterscheidet. Aber von vorne.
Begonnen hatte alles mit der Kinderbuchreihe „Asagan“, die mit 100 bis 500 Jahre alten Wien-Stichen Geschichten für Kinder von heute erzählt. Bislang sind acht Bände erschienen, die Wolfgang Hartl mit Erika Friedl gestaltet hat. Sie wurden in den neugegründeten Verlag übernommen, der es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Genregrenzen zu sprengen – und mit dem ersten „Sachbuch“ weiter in diese Richtung geht. Unterhaltung, Satire und ernste Information stellen für den Verlagsleiter Schlögl keine Widersprüche dar. Weil ihm Wolfgang Hartls Idee zu einem Napoleon-Buch so gefiel, übernahm er selbst den Textpart. Bei der Recherche fiel ihm der akribische, sozusagen moderne Umgang des „Influencers“ mit seinem eigenen Image auf – ein gefundenes Fressen für den Medienmenschen Schlögl. Napoleon sei nicht der Erste gewesen, der Bildinszenierungen als Mittel der Manipulation verwendet habe, aber dank der damals neuen Medien Zeitung, Flugblatt und Plakat habe er das auf eine vorher nicht da gewesene Art und Weise tun können.
Dass Schlögl, der bisher unter anderem als Redakteur beim Standard und im Wien-Büro der Zeit als Verlagslektor und als freier Journalist tätig war, das Schreiben des so eleganten wie süffisanten Textes Spaß gemacht hat, spürt man in jeder Zeile. Herausgekommen ist ein ebenso lehrreiches wie witziges Buch, in dem Information und Illustrationen ein neues Ganzes bilden und das dem allseits bekannten Leben des Napoleon Bonaparte eine neue Facette hinzufügt: die Analyse seiner Medienstrategien.
„Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat“, lautet ein Spruch, der Napoleon bloß zugeschrieben wird und der sich deswegen als Motto des Buches gut eignet. „Es kommt nicht auf die Wahrheit an, sondern darauf, was die Leute für die Wahrheit halten“ – dieses Zitat stammt vom Meister der Selbstinszenierung selbst.
Die 120 bis 250 Jahre alten Stiche und Drucke, die – aufgepimpt mit ironischen Bildunterschriften – jede Seite zu einer Augenweide machen, wurden in Antiquariaten, auf Auktionen und Flohmärkten entdeckt und angekauft. Ergänzt werden sie von Scans aus öffentlichen Bibliotheken wie der British Library. Von über 50.000 Bildern schafften es etwas über 200 in den vorliegenden Band.
Sie wurden von Wolfgang Hartl kunstvoll manipuliert. Napoleon ist immer mit einer Sonnenbrille mit blau-roten Gläsern ausgestattet. Einmal bekommt der Tatmensch fünf Arme, ein anderes Mal steigt aus dem Schädel des Feldherrn und „embedded journalist seiner selbst“ ein zweiter Napoleon und verkündet „Und dann bla, bla, bla“. Das klingt respektlos und ist es auch. Trotzdem werden die Leistungen des „Befreierdiktators“ damit nicht geschmälert. „Message-Control, Kampagnen-Journalismus, Zielgruppen-Marketing: Wie kein anderer beherrschte Napoleon die Techniken der Selbstdarstellung“, lautet die dazugehörige Bildunterschrift.
Der Selfmade-Kaiser war schüchtern, selbstausbeuterisch und unsicher, ein Kontrollfreak, der zu Wutanfällen neigte. Hier erfährt man nicht nur alles über seine Feldzüge, sondern auch über den gigantischen Kunstraub, die „Work-Life-Balance“ und die Marotten Napoleons sowie sein schwieriges Verhältnis zu Frauen, von der Liebschaft mit der jungen Desirée über die Lebensliebe zur ehemaligen Prostituierten Joséphine, die er selbst zur Kaiserin krönte, bis zur Mutter des Thronfolgers in spe aus dem Hause Habsburg.
Ein richtiger Spaß wird die Geschichte, wenn Hartl und Schlögl Social-Media-Profile („150.869 Beiträge, 100 Mio. Abonnenten, 0 abonniert“) und Ratgeberlisten wie „Management by Bonaparte. In zehn Punkten zum Erfolg“ oder Unterkunftbewertungen von seinen Verbannungsorten anlegen. Edutainment vom Feinsten.