

Eine Projektionsfläche namens Christian Pilnacek
Barbaba Tóth in FALTER 10/2025 vom 05.03.2025 (S. 21)
Über Christian Pilnaceks allerletzte Stunden vor seinem Tod in den frühen Morgenstunden weiß man bis heute nichts, nur wie seine Leiche gefunden wurde, ist unstrittig. Am 20. Oktober 2023 fanden Bauarbeiter einen leblosen Körper in einem Seitenarm der Donau bei Rossatz.
Am Abend zuvor war Pilnacek als Geisterfahrer von der Polizei aufgehalten worden, er war alkoholisiert, musste seine Autoschlüssel abgeben und sah einer Anzeige wegen fahrlässiger Gemeingefährdung entgegen. Daraufhin ließ er sich von einer Bekannten abholen, die in Rossatz lebte, im gleichen Haus wie seine damalige Lebensgefährtin Karin Wurm. Zu Hause angekommen, verärgert und unter Druck, zog er sich um und ging noch einmal raus. Zurück kam er nie.
Das sind die wenigen Fakten, auf die sich die Autoren zweier aktueller Bücher zum Fall Pilnacek einigen könnten. Sonst findet sich nichts Gemeinsames, was wohl daran liegt, dass beide Autoren eine Schlagseite haben. Peter Pilz, Ex-Politiker und jetzt Publizist, glaubt nicht an einen Selbstmord Pilnaceks, sondern vermutet, dass er in den Stunden vor seinem Tod nicht alleine gewesen ist. Das ist auch die Version von Pilnaceks Lebensgefährtin Wurm.
Gernot Rohrhofer, Presse-Journalist, vertritt die "offizielle" Darstellung von Pilnaceks Tod, dafür gibt er Pilnaceks Witwe Caroline List, Präsidentin des Straflandesgerichtes Graz, viel Platz. Ihre Erzählung: Pilnacek wurde quasi in den Tod getrieben, von seinen Gegnern in der Justiz und den Medien. Wurm sieht sie bloß als Zufallsbekanntschaft, eine, die ihren Mann womöglich manipuliert hat.
Welche Version stimmt, weiß man nach Lektüre beider Bücher am Ende nicht, dafür ist es vielleicht auch zu früh. Bei Pilz bekommt man einen guten Überblick über Ermittlungsschlampereien rund um den Fall Pilnacek, er vermutet dahinter ein politisches Komplott. Wer Pilz kennt, weiß, dass er seine Recherchen gerne mit viel Spekulation auflädt, eine seiner größten Schwächen. Rohrhofer hingegen erzählt entlang der offiziellen Berichte, ohne zu hinterfragen, wo es tatsächlich angebracht wäre. Nicht gerade einfacher wird es, wenn man mit berücksichtigt, dass Pilnaceks Witwe Buchautor Pilz angezeigt hat, sich die Akteure und damit ihre Narrative im Fall Pilnacek also feindlich gegenüberstehen.
Aber warum ist das alles nach wie vor so "heiß", dass alle Medien anlässlich der Buchpräsentationen den Fall Pilnacek erneut aufgriffen? Pilnacek, 60, war eine der schillerndsten Figuren des politischen Wien. Als langjähriger Doppelsektionschef und auch Generalsekretär galt er als der heimliche Justizminister. Alle clamorösen Akten gingen über seinen Schreibtisch. Das gab ihm große Einsicht - und Macht.
Seinen Kritikern galt Pilnacek als verlängerter Arm der ÖVP. Er führte einen Kleinkrieg gegen die Korruptionsermittler der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft in seinem eigenen Haus, die er - so wie die ÖVP unter ihrem Ex-Parteichef Sebastian Kurz - als Teil eines "roten Netzwerkes" sah. Der Vorwurf des Amtsmissbrauchs begleitete ihn schon länger. Die grüne Justizministerin Alma Zadić zerschlug 2020 seine Doppelsektion und nahm ihm damit einen Teil seiner Macht. 2021 suspendierte sie ihn, nachdem Chats aus seinem Handy eine Verletzung des Amtsgeheimnisses nahelegten. Seit diesem Zeitpunkt frequentierte Pilnacek wie gehabt seine Lieblingslokale in der Wiener Innenstadt, in denen er früher Hof gehalten hatte. Aber er war nicht mehr der, der über die Reputation anderer entscheiden konnte. Jetzt musste er für seine eigene Rehabilitierung kämpfen. Er repräsentierte den Stolz und die Kompetenz des österreichischen Beamtentums genauso wie seine größte Schwäche: Anmaßung und Eitelkeit.
Kurz nach seinem Tod wurde dann auch noch ein geheim aufgenommenes Tondokument bekannt, entstanden Ende Juli beim Wiener Innenstadtitaliener "Il Cavalluccio", einem von Pilnaceks Revieren. Pilnacek beschwerte sich über Interventionen, allen voran durch den damaligen ÖVP-Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. Aber er beklagte auch, dass die Partei ihm jetzt, wo er so unter Druck ist, nicht helfe. Daraufhin setzte Zadić eine Untersuchungskommission ein, die aufklären sollte, ob es in Österreich eine Zwei-Klassen-Justiz gibt. Ihr Vorsitzender Martin Kreutner kam ein gutes halbes Jahr später zum Schluss: in politisch brisanten Fällen durchaus.
Dazu passt, dass Pilnacek am Tag seines Todes bei einer Veranstaltung in der ungarischen Botschaft FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker um ein "vertrauliches Gespräch mit FPÖ-Chef Herbert Kickl" gebeten hatte, wie Pilz und Rohrhofer übereinstimmend betonen. Hafenecker legte nach Bekanntwerden von Pilnaceks Tod dazu einen Aktenvermerk an. Wollte da jemand auspacken?
Als am 20. Oktober 2023 klar war, wie prominent die Wasserleiche ist, passierten dem Landeskriminalamt Niederösterreich Dinge, die nicht passieren sollten. Der Tatort wird nicht gut abgesichert, Pilnaceks privates Handy und sein Laptop werden nicht sichergestellt und zum Akt gelegt. Stattdessen wird das Handy seiner Witwe übergeben, die es mit einem Bunsenbrenner vernichtet. Somit ließ sich nicht mehr rekonstruieren, mit wem Pilnacek vor seinem Tod noch Kontakt hatte.
Ebenso abenteuerlich der Weg von Pilnaceks privatem Laptop, den er bei seiner Geisterfahrt bei sich hatte. Er landet über Umwege bei einem Journalisten der Kronen Zeitung, eine Sicherungskopie davon bei Pilz und anderen Investigativjournalisten, ehe der Krone-Mann ihn dann dem Leiter der Pilnacek-Untersuchungskommission, Kreutner, aushändigt.
Der Kampf um die Deutungshoheit über Pilnaceks Schicksal geht also weiter. War er tatsächlich ein Opfer der "Medienjustiz"? Oder posthumer Kronzeuge für das problematische Machtverständnis der ÖVP, also Täter und Opfer zugleich? Die Pilnacek-Biografie, die das beantwortet, muss erst noch geschrieben werden.
In dieser Rezension ebenfalls besprochen: