

Willkommen in X-ville
Maya McKechneay in FALTER 41/2017 vom 13.10.2017 (S. 17)
Mit ihrem zweiten Roman, „Eileen“, legt Ottessa Moshfegh ein düsteres, kinokompatibles Kleinstadtporträt vor
Es gibt keinen trostloseren Ort als die amerikanische Kleinstadt, die hier nur als „X-ville“ bezeichnet wird: Jugendgefängnis, Alko-Shop, Polizeiwache und eine Kneipe, die man als Frau besser nicht alleine betritt. Dazwischen winterliche Straßenzüge und verwahrloste Einfamilienhäuser, aus deren Fenstern Säufer mit Gewehren auf Schulkinder zielen. Wer hier seine Jugend überlebt, der kann getrost in die Welt ziehen. Etwas Besseres findet sich überall.
Das wird auch der Titelheldin von Ottessa Moshfeghs Roman „Eileen“ irgendwann bewusst. Als Ich-Erzählerin erinnert sich die mittlerweile 70-Jährige an jene Woche vor dem Weihnachtsfest 1964, die ihr den entscheidenden Ruck gibt, das heimatliche Drecksnest zu verlassen. Eileens Rückblenden sind chronologisch angelegt, die Kapitel sind nach den jeweiligen Wochentagen benannt – und es wird bald klar, dass der Leidensdruck der Protagonistin von „Freitag“ bis „Heiligabend“ so lange wächst, bis ihr am Ende der Kragen platzen wird.
Österreichischen Lesern dürfte die Figur der Eileen übrigens vertraut vorkommen, ist sie doch eine Seelenverwandte von Elfriede Jelineks „Klavierspielerin“ Erika Kohut. Auch Eileen fühlt sich ausgetrocknet und mit Anfang 20 bereits wie eine alte Jungfer. Allein mit ihren devianten, erotischen Fantasien, verbirgt sie ihre ausschweifenden Gedanken hinter einem besonders strengen Äußeren. Und als Voyeurin verfolgt sie Männer, die sie begehrt, nur aus der Ferne. Passenderweise arbeitet sie als Sekretärin in einem Jugendgefängnis, in dem straffällig gewordene Burschen überwacht und für Selbstbefriedigung bestraft werden.
Den Job verdankt Eileen ihrem Vater, einem ehemaligen Polizisten, der wegen Alkohol- und Gewaltexzessen entlassen wurde und nun die Tochter im gemeinsamen Haushalt drangsaliert: „Als ich ihn ein einziges Mal gebeten hatte, nicht ständig auf mir herumzuhacken, lachte er sich halb tot und schützte am nächsten Morgen einen Herzinfarkt vor“, erinnert sich die Protagonistin.
Im Lauf der erzählten Woche widerfahren ihr noch weitere Demütigungen, doch wird sie nie selbstmitleidig, bleibt der Tonfall lapidar. Wie ein zähes Tier passt sich Eileen ihrer Umgebung an – bis eine neue Kollegin das strenge Regiment im Gefängnis aufmischt und Eileen vor ein moralisches Dilemma stellt.
Nach „McGlue“ (2014) ist „Eileen“ der zweite Roman der Autorin. In den USA bereits 2015 erschienen, verhalf er Mossfegh (Jg. 1981) zum PEN/Hemingway-Preis und einem Platz auf der noblen Granta-Liste der besten Jungautoren. Moshfegh, die in den Staaten geborene Tochter kroatisch-iranischer Einwanderer, zählt somit offiziell zu Amerikas großen Literaturhoffnungen. Von der US-Ostküste, an der „Eileen“ spielt, übersiedelte die Autorin kürzlich nach Los Angeles – vielleicht auch deshalb, weil sich die Filmindustrie für ihre Stoffe interessiert.
Schon beim Lesen wirkt „Eileen“ äußerst „filmisch“. So erinnert etwa das düstere X-ville, in dem es ständig schneit, an das „Upside-Down“, das schwarze Paralleluniversum der TV-Serie „Stranger Things“. Die beschriebenen Landschaften und Räume erscheinen wie ein Zerrspiegel des amerikanischen Alltags. Was bleibt, ist eine Strafkolonie, in der die Erwachsenen die Jugend gezielt mit ihren Ängsten und Neurosen infizieren, sodass Moshfeghs Roman generell als Kritik einer Gesellschaft aufgefasst werden darf, der die Empathie abhanden gekommen ist – ob damals während des Vietnamkriegs oder heute im neokonservativen Trumpland.
Als atmosphärisch dichter Thriller mit einer Heldin, der man selbst nicht recht über den Weg traut, ist „Eileen“ aber auch als Stoff extrem kinokompatibel, und so ist es kein Wunder, dass – dem Branchenmagazin Hollywood Reporter zufolge – sich Scott Rudin, der u.a. Filme von Wes Anderson und den Coen Brothers produziert hat, sich die Rechte bereits gesichert hat. Die Chancen, dass Moshfeghs finsteres Sittengemälde demnächst auf die Leinwand kommt, stehen also gut.