

„Sex and the City“ meets „American Psycho“
Karin Cerny in FALTER 41/2018 vom 12.10.2018 (S. 26)
„Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ bestätigt Ottessa Moshfeghs Ruf als eine der spannendsten Autorinnen der USA
Faszinierend amoralische Frauenfiguren sind die Spezialität der US-Amerikanerin Ottessa Moshfegh, 1981 in Boston geboren mit kroatisch-iranischen Wurzeln. In „Eileen“ (2015), einem Psychothriller, der Alfred Hitchcock gefallen hätte, arbeitet eine 24-Jährige in einem Jugendgefängnis und ist nicht minder gestört als die minderjährigen Straftäter, die hier einsitzen. Sie ist brutal und sensibel, egozentrisch und genau in der Beobachtung anderer, monströs und doch zutiefst sympathisch, weil sie mit einer tristen Umgebung hadert, die jungen, intelligenten Frauen keine Perspektiven bietet.
In ihrem jüngsten Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ dreht die Autorin die Schraube weiter. Diesmal steht keine soziale Außenseiterin aus der Provinz im Zentrum, sondern eine vermeintliche Gewinnern: Die Erzählerin ist 27, sieht aus wie ein Model, hat an einer Eliteuniversität studiert, jobbt in einer angesagten Kunstgalerie und muss sich um Geld keine Sorgen machen.
Sie hat genug von ihren Eltern geerbt, um sich an Apartment an Manhattans Upper East Side kaufen zu können und bloß als Hobby arbeiten zu gehen. Trotzdem ist sie unzufrieden und möchte sich eine Auszeit gönnen. Sie glaubt tatsächlich daran, dass sie nach einem ein Jahr währenden „Winterschlaf“ als neuer Mensch erwachen würde, der den Tod der Eltern, der sie emotional völlig kalt gelassen hatte, ebenso verarbeitet hätte wie die gestörte On-off-Beziehung mit dem zur Vergewaltigung neigenden und auch ansonsten phänomenal widerwärtigen Trevor.
Wellness der anderen Sorte, Aussteigen einmal anders: Die junge Frau gaukelt einer Psychiaterin Schlafstörungen vor und bekommt sofort Probepackungen von Psychopharmaka verschrieben, die noch nicht am Markt sind. Sie wirft sich die ärgsten Hämmer ein und stellt als Schlafwandlerin Sachen an, von denen sie nach dem Erwachen naturgemäß überrascht ist: Sie kauft online Unterwäsche von Victoria’s Secret, flirtet via Chat mit unbekannten Männern oder bestellt Unmengen an Essen. Sonderlich zu irritieren scheint sie das aber nicht. Hin und wieder schaut ihre beste Freundin Reva vorbei, die allerdings zu sehr mit sich und ihrer Bulimie beschäftigt ist, um die Probleme der Ich-Erzählerin überhaupt mitzubekommen: „Sie war Sklavin von Äußerlichkeiten und Statussymbolen, was in Manhattan natürlich nichts Ungewöhnliches war.“
Die Treffen mit der durchgeknallten, extrem skrupellosen Ärztin Dr. Tuttle, die Eso-Gebrabbel liebt und stets aus Neue vergisst, dass die Eltern ihrer Patientin gestört sind, gehören zu den Highlights des beeindruckend zynischen Romans, der das Leben in New York vor 9/11 nachzeichnet und dabei wie ein aberwitziger Mix aus „Sex and the City“-Oberflächlichkeit und „American Psycho“-Sadismus wirkt.
Während Bret Easton Ellis die Gewalt- und Drogenexzesse eines Wallstreet-Yuppies übersteigerte, stellt Moshfegh eine Frau ins Zentrum, die ihrem Dasein als perfektes Deko-Objekt entkommen möchte: „Mein Äußeres machte mich zur Gefangenen in einer Welt, in der Aussehen mehr zählte als alles andere.“ Während sich der überdrehte, gefühlskalte Oberschichten-Snob Patrick Bateman aus „American Psycho“ gern Trash-Talkshows reinzieht, schaut Moshfeghs Figur andauernd kitschige Hollywood-Filme, Whoopie Goldberg ist ihr Idol. Anstatt andere zu killen, versucht sie, sich selbst ruhigzustellen.
Moshfeghs brutal-witziger Roman zeigt den amerikanischen Albtraum aus weiblicher Sicht und endet konsequenterweise mit den Anschlägen vom 11. September 2001. Es ist ein großer literarischer Wurf, was nicht zuletzt daran liegt, dass gängige Erwartungshaltungen unterlaufen werden und sich die Autorin nicht in eine Schublade stecken lässt. Am Ende bestehen ihre renitenten Frauen in einer Gesellschaft, in der eigentlich kein Platz für sie vorgesehen ist.